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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Gefahr unterlagen die Kommunalbehörden, unterlagen die Finanz-, die Polizei-
nnd auch die Jnstizbehörden zeitweise. Dieser Mißbrauch ist es, der das Heer¬
wesen des dreißigjährigen Kriegs charakterisirt; mit diesem Mißbrauch hängt
aber andrerseits ein gewisser technisch-militärischer Fortschritt, hängt die Aus¬
bildung von militärischen Formen zusammen, die später in andrer Verbindung
mit dem politischen und sozialen Leben sich als brauchbar bewährt haben."
Der hier bezeichneten Gescchr ist auch die Industrie zweifellos unterlegen, das
Manchestertum ist nur zu geneigt, in dem Menschen ein zweibeiniges Wesen
zu sehen, dessen Bestimmung es ist, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen.
Nachdem die bedrückte Arbeiterschaft die allgemeine Aufmerksamkeit auf die ent-
standnen Mißstnude gelenkt hat, ist es selbstverständlich Sache der Staats¬
gewalt, dafür zu sorgen, daß die Bedeutung dessen, was die Klassen unsers
Volkes von einander trennt, nicht etwa größer werde, als was alle Bolksklasseu
von fremden Völkern trennt. Die internationalen und kosmopolitischen Phan¬
tastereien der Arbeiterklassen wollen wir ihnen nicht gar so hoch anrechnen;
das ist eine deutsche Untugend, die ihnen lange genug von den andern Klassen
vorgemacht worden ist, erst von der Ritterschaft, dann vom Bürgertum. Wenn
das Bürgertum das Eigentum lange als unverletzliches Heiligtum erklärt hat,
so ist ein ebenso schroff ausgedrückter Gegensatz ja verständlich; in der Praxis
hat der Staat als organisirte Gesamtheit längst den richtigen Mittelweg ein¬
geschlagen und sich das Recht der Expropriation gegen Entschädigung gewahrt.
Es ist denen, die kein Eigentum besitzen als ihrer Hände Arbeit, gewiß nicht
zu verdenken, wenn sie diese Arbeit für ebenso wertvoll, ebenso heilig halten,
wie den zufällig mit dem Menschen verknüpften Besitz, ja es ist unbedingt an¬
zuerkennen, daß die redliche Arbeit jeder Art überhaupt das Grundprinzip eines
jeden geselligem Volkstums ist.

Daß eingefleischte Plutokraten vom Schlage des Herrn von Stumm uns
sozialistische Gesinnung, Beförderung der Sozialdemokratie vorwerfen werden,
soll uns nicht anfechten. Wir wissen, daß alle volkstümlichen Bewegungen
stets mit form- und haltlosen Ungestüm vermischt waren und fast niemals von
vornherein klare politische Ziele verfolgten: deshalb darf ihnen aber noch
nicht ohne weiteres ein berechtigter Kern abgesprochen werden. Wir wissen
aus der Geschichte, daß es nichts unpolitischeres giebt, als bei solchen Dingen
die gemäßigten Reformer kurzerhand mit den Fanatikern zusammenzuwerfen, so
"schneidig" das anch dem oberflächlichen Blick erscheinen mag. Nach den Aus¬
führungen des vorigen Abschnitts wird es niemand verwundern, wenn wir
unsre Ansicht dahin zusammenfassen, daß wir glauben, in keinem Lande der
Welt seien so günstige Aussichten vorhanden, um aus den gegenwärtigen
sozialen Nöten herauszukommen wie in Deutschland, weil kein andres eine so
starke und nationale Monarchie besitzt. Gerade die nationale und konstitu¬
tionelle Monarchie, die monarchische Initiative mit populären Eifer vereint,


Gefahr unterlagen die Kommunalbehörden, unterlagen die Finanz-, die Polizei-
nnd auch die Jnstizbehörden zeitweise. Dieser Mißbrauch ist es, der das Heer¬
wesen des dreißigjährigen Kriegs charakterisirt; mit diesem Mißbrauch hängt
aber andrerseits ein gewisser technisch-militärischer Fortschritt, hängt die Aus¬
bildung von militärischen Formen zusammen, die später in andrer Verbindung
mit dem politischen und sozialen Leben sich als brauchbar bewährt haben."
Der hier bezeichneten Gescchr ist auch die Industrie zweifellos unterlegen, das
Manchestertum ist nur zu geneigt, in dem Menschen ein zweibeiniges Wesen
zu sehen, dessen Bestimmung es ist, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen.
Nachdem die bedrückte Arbeiterschaft die allgemeine Aufmerksamkeit auf die ent-
standnen Mißstnude gelenkt hat, ist es selbstverständlich Sache der Staats¬
gewalt, dafür zu sorgen, daß die Bedeutung dessen, was die Klassen unsers
Volkes von einander trennt, nicht etwa größer werde, als was alle Bolksklasseu
von fremden Völkern trennt. Die internationalen und kosmopolitischen Phan¬
tastereien der Arbeiterklassen wollen wir ihnen nicht gar so hoch anrechnen;
das ist eine deutsche Untugend, die ihnen lange genug von den andern Klassen
vorgemacht worden ist, erst von der Ritterschaft, dann vom Bürgertum. Wenn
das Bürgertum das Eigentum lange als unverletzliches Heiligtum erklärt hat,
so ist ein ebenso schroff ausgedrückter Gegensatz ja verständlich; in der Praxis
hat der Staat als organisirte Gesamtheit längst den richtigen Mittelweg ein¬
geschlagen und sich das Recht der Expropriation gegen Entschädigung gewahrt.
Es ist denen, die kein Eigentum besitzen als ihrer Hände Arbeit, gewiß nicht
zu verdenken, wenn sie diese Arbeit für ebenso wertvoll, ebenso heilig halten,
wie den zufällig mit dem Menschen verknüpften Besitz, ja es ist unbedingt an¬
zuerkennen, daß die redliche Arbeit jeder Art überhaupt das Grundprinzip eines
jeden geselligem Volkstums ist.

Daß eingefleischte Plutokraten vom Schlage des Herrn von Stumm uns
sozialistische Gesinnung, Beförderung der Sozialdemokratie vorwerfen werden,
soll uns nicht anfechten. Wir wissen, daß alle volkstümlichen Bewegungen
stets mit form- und haltlosen Ungestüm vermischt waren und fast niemals von
vornherein klare politische Ziele verfolgten: deshalb darf ihnen aber noch
nicht ohne weiteres ein berechtigter Kern abgesprochen werden. Wir wissen
aus der Geschichte, daß es nichts unpolitischeres giebt, als bei solchen Dingen
die gemäßigten Reformer kurzerhand mit den Fanatikern zusammenzuwerfen, so
„schneidig" das anch dem oberflächlichen Blick erscheinen mag. Nach den Aus¬
führungen des vorigen Abschnitts wird es niemand verwundern, wenn wir
unsre Ansicht dahin zusammenfassen, daß wir glauben, in keinem Lande der
Welt seien so günstige Aussichten vorhanden, um aus den gegenwärtigen
sozialen Nöten herauszukommen wie in Deutschland, weil kein andres eine so
starke und nationale Monarchie besitzt. Gerade die nationale und konstitu¬
tionelle Monarchie, die monarchische Initiative mit populären Eifer vereint,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/590>, abgerufen am 08.01.2025.