Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Doktrinarismus in der Sozialpolitik demokmtie und der Kathedersozialismus unsre Arbeiter ganz zu Narren und Was Herr Professor Reinhold über die Assoziation gesagt hat, war Doktrinarismus in der Sozialpolitik demokmtie und der Kathedersozialismus unsre Arbeiter ganz zu Narren und Was Herr Professor Reinhold über die Assoziation gesagt hat, war <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227479"/> <fw type="header" place="top"> Doktrinarismus in der Sozialpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2102" prev="#ID_2101"> demokmtie und der Kathedersozialismus unsre Arbeiter ganz zu Narren und<lb/> zu vaterlandslosen Gesellen gemacht hat. Wir haben erfahren, was in der<lb/> Sozialpolitik das Katheder anrichten kann. Statt dem Frieden zu dienen, hat<lb/> man in der Theorie die Unzufriedenheit gelehrt und in der Praxis jede Zu¬<lb/> friedenheit vernichtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2103" next="#ID_2104"> Was Herr Professor Reinhold über die Assoziation gesagt hat, war<lb/> — wenn der Bericht uns recht belehrt — nicht gerade neu und wichtig. Daß<lb/> nur Illusionisten von ihr die Lösung der sozialen Frage erwarten konnten,<lb/> und daß thatsächlich die Prodnktivassoziationen von Arbeitern mit verschwin¬<lb/> denden Ausnahmen mißglückt sind, ist sicher der Zuhörerschaft am 9. Februar<lb/> gerade so bekannt gewesen, wie auf der andern Seite die Thatsache, daß Bürger<lb/> und Bauern, Gewerbetreibende und Landwirte die ihnen einzeln fehlende<lb/> Kapitalkraft durch genossenschaftliche Selbsthilfe auch schon vor der Befruchtung<lb/> durch die Miquelsche Zentralgeuossenschaftskasfe in Preußen vielfach mit großem<lb/> und dauerndem Erfolge zu ersetzen versucht haben. Aber Reinhold hat recht:<lb/> für die Arbeiter ist die Assoziation als Mittel, ihnen neben dem Lohn auch<lb/> den Unternehmergewinn zuzuwenden, bisher eine Illusion gewesen und wird<lb/> eine Illusion bleiben, solange die Arbeiter Arbeiter sind. Auch dem, was der<lb/> Herr über die Gewinnbeteiligung gesagt haben soll, ist nicht zu widersprechen.<lb/> Es ist eine Illusion, zu glauben, daß die Gewinnbeteiligung jemals in den<lb/> gewerblichen, kaufmännischen oder landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnisfen die<lb/> Regel werden könne. Sie wird immer die seltene, die Regel bestätigende Aus¬<lb/> nahme bleiben, die von den persönlichen Eigenschaften der Beteiligten und von<lb/> der besondern Art des Geschäfts abhängt. Was aber drittens der Herr Professor<lb/> von den Gewerkvereinen hält, ist weniger klar ausgedrückt und muß etwas näher<lb/> besehen werden. Vielleicht liegt das auch an unsrer Quelle, vorläufig müssen<lb/> wir uns an sie halten. Wiederholt hat darnach der Vortragende seinen Zu¬<lb/> hörern die beruhigende Bersichernng gegeben, daß er eigentlich ein warmer<lb/> Freund der Arbeiterkoalitionen sei, die den Kampf uns Dasein regeln wollten.<lb/> Er scheint ja auch der Schulgerechtem Ansicht zu sein, daß sich durch sie in<lb/> England immer mehr „ein System der Übereinstimmung zwischen Arbeitgebern<lb/> und Arbeitnehmern herausgebildet" habe. Er scheint sogar durch eine Anzahl<lb/> „durchaus berechtigter" Streiks die Überzeugung gewonnen zu haben, „daß die<lb/> Arbeiter unter Aufraffung aller sittlichen Kräfte, die die allerhöchste Hoch¬<lb/> achtung verdient," gegen ihr trauriges Geschick angekämpft hätten, so im Kon-<lb/> fektionsarbeiterstrcik, im Hamburger Hasenarbeiterstreik, im Aufstand der eng¬<lb/> lischen Maschinenbauer. Die Gewerkschaften, meint er, seien Institute, von<lb/> denen man hoffen könne, daß sie den Arbeitern in ihren Lohnkämpfen gute<lb/> Dienste leisten würden. Es sei ihnen zu wünschen, daß das Vorurteil der<lb/> Unternehmer falle, und daß sie sowohl wie die Regierungen ihre „gegensätzliche<lb/> Stellung" aufgaben. Sie böten ein Mittel, das freie Spiel der Kräfte wirklich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0577]
Doktrinarismus in der Sozialpolitik
demokmtie und der Kathedersozialismus unsre Arbeiter ganz zu Narren und
zu vaterlandslosen Gesellen gemacht hat. Wir haben erfahren, was in der
Sozialpolitik das Katheder anrichten kann. Statt dem Frieden zu dienen, hat
man in der Theorie die Unzufriedenheit gelehrt und in der Praxis jede Zu¬
friedenheit vernichtet.
Was Herr Professor Reinhold über die Assoziation gesagt hat, war
— wenn der Bericht uns recht belehrt — nicht gerade neu und wichtig. Daß
nur Illusionisten von ihr die Lösung der sozialen Frage erwarten konnten,
und daß thatsächlich die Prodnktivassoziationen von Arbeitern mit verschwin¬
denden Ausnahmen mißglückt sind, ist sicher der Zuhörerschaft am 9. Februar
gerade so bekannt gewesen, wie auf der andern Seite die Thatsache, daß Bürger
und Bauern, Gewerbetreibende und Landwirte die ihnen einzeln fehlende
Kapitalkraft durch genossenschaftliche Selbsthilfe auch schon vor der Befruchtung
durch die Miquelsche Zentralgeuossenschaftskasfe in Preußen vielfach mit großem
und dauerndem Erfolge zu ersetzen versucht haben. Aber Reinhold hat recht:
für die Arbeiter ist die Assoziation als Mittel, ihnen neben dem Lohn auch
den Unternehmergewinn zuzuwenden, bisher eine Illusion gewesen und wird
eine Illusion bleiben, solange die Arbeiter Arbeiter sind. Auch dem, was der
Herr über die Gewinnbeteiligung gesagt haben soll, ist nicht zu widersprechen.
Es ist eine Illusion, zu glauben, daß die Gewinnbeteiligung jemals in den
gewerblichen, kaufmännischen oder landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnisfen die
Regel werden könne. Sie wird immer die seltene, die Regel bestätigende Aus¬
nahme bleiben, die von den persönlichen Eigenschaften der Beteiligten und von
der besondern Art des Geschäfts abhängt. Was aber drittens der Herr Professor
von den Gewerkvereinen hält, ist weniger klar ausgedrückt und muß etwas näher
besehen werden. Vielleicht liegt das auch an unsrer Quelle, vorläufig müssen
wir uns an sie halten. Wiederholt hat darnach der Vortragende seinen Zu¬
hörern die beruhigende Bersichernng gegeben, daß er eigentlich ein warmer
Freund der Arbeiterkoalitionen sei, die den Kampf uns Dasein regeln wollten.
Er scheint ja auch der Schulgerechtem Ansicht zu sein, daß sich durch sie in
England immer mehr „ein System der Übereinstimmung zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern herausgebildet" habe. Er scheint sogar durch eine Anzahl
„durchaus berechtigter" Streiks die Überzeugung gewonnen zu haben, „daß die
Arbeiter unter Aufraffung aller sittlichen Kräfte, die die allerhöchste Hoch¬
achtung verdient," gegen ihr trauriges Geschick angekämpft hätten, so im Kon-
fektionsarbeiterstrcik, im Hamburger Hasenarbeiterstreik, im Aufstand der eng¬
lischen Maschinenbauer. Die Gewerkschaften, meint er, seien Institute, von
denen man hoffen könne, daß sie den Arbeitern in ihren Lohnkämpfen gute
Dienste leisten würden. Es sei ihnen zu wünschen, daß das Vorurteil der
Unternehmer falle, und daß sie sowohl wie die Regierungen ihre „gegensätzliche
Stellung" aufgaben. Sie böten ein Mittel, das freie Spiel der Kräfte wirklich
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