Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.vor fünfzig Jahren republikanische Linke, und sie ging ganz folgerichtig zur offnen Revolution An der Souveränität der größern Einzelstaaten, an ihren monarchischen Also fanden sich die politischen Kräfte, deren Zusammenwirken allein die vor fünfzig Jahren republikanische Linke, und sie ging ganz folgerichtig zur offnen Revolution An der Souveränität der größern Einzelstaaten, an ihren monarchischen Also fanden sich die politischen Kräfte, deren Zusammenwirken allein die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0575" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227477"/> <fw type="header" place="top"> vor fünfzig Jahren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2097" prev="#ID_2096"> republikanische Linke, und sie ging ganz folgerichtig zur offnen Revolution<lb/> über, als die Regierungen im April 1849 die Reichsverfassung verwarfen.<lb/> Ihr völliger Sieg würde das Prinzip der Bolkssouveränität auch in Deutsch¬<lb/> land durchgesetzt und die parlamentarische Republik auch hier begründet haben,<lb/> ein auf alle Fälle möglicher Teilsieg im Süden und Westen aber hätte die<lb/> Nation auseinandergerissen, denn niemals hätten sich der Norden und der Osten<lb/> einer solchen Verfassung gefügt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2098"> An der Souveränität der größern Einzelstaaten, an ihren monarchischen<lb/> und militärischen Kräften zerschellte nicht nur die republikanische Bewegung,<lb/> sondern auch die Reichsverfassung und das Frankfurter Parlament. Aber<lb/> wenn dies daran eine schwere Schuld trug, so trifft die andre Hälfte der<lb/> Schuld die deutscheu Fürsten und in erster Linie den mächtigsten von ihnen,<lb/> den König von Preußen. Daß Österreich sich der Paulskirche widersetzte, war<lb/> nur in der Ordnung, denn sein Staatsinteresse forderte das; daß Friedrich<lb/> Wilhelm IV. nicht rechtzeitig, d. h. im Frühjahr 1848, die Leitung der natio¬<lb/> nalen Bewegung ergriff, war ein schwerer Fehler, denn es lief gegen das<lb/> Interesse seines Staats; daß er am 3. April 1849 die Kaiserkrone ablehnte, war<lb/> in dieser Lage nicht mehr zu vermeiden, denn er konnte niemals die Souverä¬<lb/> nität der Paulskirche anerkennen, ohne die Grundlage der deutschen Monarchie<lb/> aufzugeben. Es ist das Entscheidendste, was der König überhaupt gethan hat.<lb/> Freilich ging diese Entscheidung wie die ganze Haltung des Königs weniger aus<lb/> der klaren stantsmünnischen Erwägung hervor, mit der damals Bismarck ein<lb/> „Einschmelzen der preußischen Krone" verwarf, als aus seinem mittelalterlich-<lb/> romantischen Doktrinarismus, der ebenso wenig wie die Mehrheit des Frank¬<lb/> furter Parlaments die Notwendigkeit der Trennung von Osterreich und die<lb/> Unmöglichkeit begriff, Österreich anch nur in der Weise zum friedliche» Verzicht<lb/> auf seine historische Stellung zu bewegen, daß es ihm als „deutschen König"<lb/> die Heergewalt im ganzen außerösterreichischen Deutschland überließ, die er doch<lb/> wollte. Aus diesem Doktrinarismus geschah es auch, daß der König die<lb/> lebendigen Kräfte und Bedürfnisse der Nation verkannte und in der neuen Kaiser¬<lb/> krone, die ihm die edelsten Männer Deutschlands antrugen, nichts anders sehen<lb/> wollte als ein Werk der gottlosen Revolution, als „einen Reif ans Dreck und<lb/> Letten gebacken." Daß endlich die europäische Lage, die Mißgunst Frankreichs<lb/> und Englands, die unverhüllte Feindschaft Rußlands, die Gegnerschaft Öster¬<lb/> reichs die Neugestaltung Deutschlands aufs äußerste erschwerten, das sah der<lb/> König deutlicher als die Abgeordneten in Frankfurt, und er wußte, daß er<lb/> nicht der Mann sei, auf dem Schlachtfelde eine Kaiserkrone zu erringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2099" next="#ID_2100"> Also fanden sich die politischen Kräfte, deren Zusammenwirken allein die<lb/> deutsche Gesamtverfassung schaffen konnte, 1848/49 nicht zusammen, sondern<lb/> sie arbeiteten gegen einander und verdarben den Erfolg. Erst als das deutsche<lb/> Bürgertum auf den Traum der Volkssouveräuitüt verzichtet hatte, als ein ent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0575]
vor fünfzig Jahren
republikanische Linke, und sie ging ganz folgerichtig zur offnen Revolution
über, als die Regierungen im April 1849 die Reichsverfassung verwarfen.
Ihr völliger Sieg würde das Prinzip der Bolkssouveränität auch in Deutsch¬
land durchgesetzt und die parlamentarische Republik auch hier begründet haben,
ein auf alle Fälle möglicher Teilsieg im Süden und Westen aber hätte die
Nation auseinandergerissen, denn niemals hätten sich der Norden und der Osten
einer solchen Verfassung gefügt.
An der Souveränität der größern Einzelstaaten, an ihren monarchischen
und militärischen Kräften zerschellte nicht nur die republikanische Bewegung,
sondern auch die Reichsverfassung und das Frankfurter Parlament. Aber
wenn dies daran eine schwere Schuld trug, so trifft die andre Hälfte der
Schuld die deutscheu Fürsten und in erster Linie den mächtigsten von ihnen,
den König von Preußen. Daß Österreich sich der Paulskirche widersetzte, war
nur in der Ordnung, denn sein Staatsinteresse forderte das; daß Friedrich
Wilhelm IV. nicht rechtzeitig, d. h. im Frühjahr 1848, die Leitung der natio¬
nalen Bewegung ergriff, war ein schwerer Fehler, denn es lief gegen das
Interesse seines Staats; daß er am 3. April 1849 die Kaiserkrone ablehnte, war
in dieser Lage nicht mehr zu vermeiden, denn er konnte niemals die Souverä¬
nität der Paulskirche anerkennen, ohne die Grundlage der deutschen Monarchie
aufzugeben. Es ist das Entscheidendste, was der König überhaupt gethan hat.
Freilich ging diese Entscheidung wie die ganze Haltung des Königs weniger aus
der klaren stantsmünnischen Erwägung hervor, mit der damals Bismarck ein
„Einschmelzen der preußischen Krone" verwarf, als aus seinem mittelalterlich-
romantischen Doktrinarismus, der ebenso wenig wie die Mehrheit des Frank¬
furter Parlaments die Notwendigkeit der Trennung von Osterreich und die
Unmöglichkeit begriff, Österreich anch nur in der Weise zum friedliche» Verzicht
auf seine historische Stellung zu bewegen, daß es ihm als „deutschen König"
die Heergewalt im ganzen außerösterreichischen Deutschland überließ, die er doch
wollte. Aus diesem Doktrinarismus geschah es auch, daß der König die
lebendigen Kräfte und Bedürfnisse der Nation verkannte und in der neuen Kaiser¬
krone, die ihm die edelsten Männer Deutschlands antrugen, nichts anders sehen
wollte als ein Werk der gottlosen Revolution, als „einen Reif ans Dreck und
Letten gebacken." Daß endlich die europäische Lage, die Mißgunst Frankreichs
und Englands, die unverhüllte Feindschaft Rußlands, die Gegnerschaft Öster¬
reichs die Neugestaltung Deutschlands aufs äußerste erschwerten, das sah der
König deutlicher als die Abgeordneten in Frankfurt, und er wußte, daß er
nicht der Mann sei, auf dem Schlachtfelde eine Kaiserkrone zu erringen.
Also fanden sich die politischen Kräfte, deren Zusammenwirken allein die
deutsche Gesamtverfassung schaffen konnte, 1848/49 nicht zusammen, sondern
sie arbeiteten gegen einander und verdarben den Erfolg. Erst als das deutsche
Bürgertum auf den Traum der Volkssouveräuitüt verzichtet hatte, als ein ent-
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