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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

Der Müserstleiue liest seinen Sprach in großer Aufregung ans seinem etwas
hoch gehaltnen Hut ab, der das Konzept birgt:

Nu kümmt die Reih u mich.
Ich wußt nit, wie ich a Tnnzera sollt krieg.
Doa is mirs Kntterla eingefalln,
U mancher dacht, die würd nur wos maln.
Dos Hot mir ke Mensch zugetraut,
Aß ich kriegt n Kirmesbraut.
Vwat!
S Katterln ihr Voter sen schlau:
Sie sur zur Kirmes verkäst a Sau.
Doa ham in'r nu gut Kirmes nachu:
U 'n Gutt fusils nit, in'r han gut lach".
Vivat!
Is ober die Kirmes nachher vorbei:
Wie wern in'r erschreckn,
Wenns beßt:
Wie solln in'r die Schuldn deckn?
Vivat!

Der Kleine wurde am Rockschoß gezupft. Madlene lacht ihm zu: Wie n
Gstudirter! Aber diesmal gab er sein Siegel nicht her: er hatte seine Stirne ab¬
zuwischen.

Vom Plan bewegt sich nach Beendigung des Aktes der Zug nach dem Wirts¬
haus und ans den Tanzboden, wo das Blotzpaar erst drei Reihen allein zu tanzen
hat, worauf noch drei Reihen unter der Beteiligung aller fünf Paare folgen. Von
da aus verfügt sich dann jeder Kirmesbnrsch mit ins Huus seiner Tänzerin, wo
er als Gast zur Mahlzeit freundliche Aufnahme findet, sich mitunter aber recht
linkisch benimmt, beim Essen kerzengrad dasitzt, die linke Hand meistens unter dem
Tisch bergend. Damit schließen die besondern Zeremonien des ersten Kirmes¬
tags, dessen übrige Zeit bis in die späte Nacht hinein dem Tanzvergnügen ge¬
widmet ist.

So ist der erste Kirmestag durch Glauben und Brauch gewiß gefeit gegen¬
über der vermaledeiten Welt. Wie konnte dieser Ring denn von List, Leidenschaft,
Eigensucht und stinkender Fäulnis durchbrochen werden?

Im Müsershaus war heute das Mittagsmahl bar der geistigen Sättigung,
die es sonst gewöhnlich in sich schloß. Diese geistige Sättigung bestand am Müsers-
tisch nicht etwa in einem heitern Redeverkehr: sie lag im befriedigten Gefühl der
trauten Zusammengehörigkeit, das sich ohne viel Redens selbst genug ist. Es fehlt
aber an diesem Tisch heute der Gast des Döhlerskätterle, der Kleine. Mau denkt
ja mit Freuden seines Glücks; aber am Müserstisch ist und bleibt heute eine
gewaltige Lücke.

Der Kleine fehlt heut.

Man folles nit mein'n; aber ich kenn basi

Drei helle Glockenschläge der Schwarzwälderin erschallten. Von den beiden
nach dem Wirtshaus gerichteten Fenstern ward das eine vom Großen eingenommen,
das andre von der Madlene. Nunmehr müssen sich die Kirmespaare zum Tanz


Madlene

Der Müserstleiue liest seinen Sprach in großer Aufregung ans seinem etwas
hoch gehaltnen Hut ab, der das Konzept birgt:

Nu kümmt die Reih u mich.
Ich wußt nit, wie ich a Tnnzera sollt krieg.
Doa is mirs Kntterla eingefalln,
U mancher dacht, die würd nur wos maln.
Dos Hot mir ke Mensch zugetraut,
Aß ich kriegt n Kirmesbraut.
Vwat!
S Katterln ihr Voter sen schlau:
Sie sur zur Kirmes verkäst a Sau.
Doa ham in'r nu gut Kirmes nachu:
U 'n Gutt fusils nit, in'r han gut lach».
Vivat!
Is ober die Kirmes nachher vorbei:
Wie wern in'r erschreckn,
Wenns beßt:
Wie solln in'r die Schuldn deckn?
Vivat!

Der Kleine wurde am Rockschoß gezupft. Madlene lacht ihm zu: Wie n
Gstudirter! Aber diesmal gab er sein Siegel nicht her: er hatte seine Stirne ab¬
zuwischen.

Vom Plan bewegt sich nach Beendigung des Aktes der Zug nach dem Wirts¬
haus und ans den Tanzboden, wo das Blotzpaar erst drei Reihen allein zu tanzen
hat, worauf noch drei Reihen unter der Beteiligung aller fünf Paare folgen. Von
da aus verfügt sich dann jeder Kirmesbnrsch mit ins Huus seiner Tänzerin, wo
er als Gast zur Mahlzeit freundliche Aufnahme findet, sich mitunter aber recht
linkisch benimmt, beim Essen kerzengrad dasitzt, die linke Hand meistens unter dem
Tisch bergend. Damit schließen die besondern Zeremonien des ersten Kirmes¬
tags, dessen übrige Zeit bis in die späte Nacht hinein dem Tanzvergnügen ge¬
widmet ist.

So ist der erste Kirmestag durch Glauben und Brauch gewiß gefeit gegen¬
über der vermaledeiten Welt. Wie konnte dieser Ring denn von List, Leidenschaft,
Eigensucht und stinkender Fäulnis durchbrochen werden?

Im Müsershaus war heute das Mittagsmahl bar der geistigen Sättigung,
die es sonst gewöhnlich in sich schloß. Diese geistige Sättigung bestand am Müsers-
tisch nicht etwa in einem heitern Redeverkehr: sie lag im befriedigten Gefühl der
trauten Zusammengehörigkeit, das sich ohne viel Redens selbst genug ist. Es fehlt
aber an diesem Tisch heute der Gast des Döhlerskätterle, der Kleine. Mau denkt
ja mit Freuden seines Glücks; aber am Müserstisch ist und bleibt heute eine
gewaltige Lücke.

Der Kleine fehlt heut.

Man folles nit mein'n; aber ich kenn basi

Drei helle Glockenschläge der Schwarzwälderin erschallten. Von den beiden
nach dem Wirtshaus gerichteten Fenstern ward das eine vom Großen eingenommen,
das andre von der Madlene. Nunmehr müssen sich die Kirmespaare zum Tanz


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[0564] Madlene Der Müserstleiue liest seinen Sprach in großer Aufregung ans seinem etwas hoch gehaltnen Hut ab, der das Konzept birgt: Nu kümmt die Reih u mich. Ich wußt nit, wie ich a Tnnzera sollt krieg. Doa is mirs Kntterla eingefalln, U mancher dacht, die würd nur wos maln. Dos Hot mir ke Mensch zugetraut, Aß ich kriegt n Kirmesbraut. Vwat! S Katterln ihr Voter sen schlau: Sie sur zur Kirmes verkäst a Sau. Doa ham in'r nu gut Kirmes nachu: U 'n Gutt fusils nit, in'r han gut lach». Vivat! Is ober die Kirmes nachher vorbei: Wie wern in'r erschreckn, Wenns beßt: Wie solln in'r die Schuldn deckn? Vivat! Der Kleine wurde am Rockschoß gezupft. Madlene lacht ihm zu: Wie n Gstudirter! Aber diesmal gab er sein Siegel nicht her: er hatte seine Stirne ab¬ zuwischen. Vom Plan bewegt sich nach Beendigung des Aktes der Zug nach dem Wirts¬ haus und ans den Tanzboden, wo das Blotzpaar erst drei Reihen allein zu tanzen hat, worauf noch drei Reihen unter der Beteiligung aller fünf Paare folgen. Von da aus verfügt sich dann jeder Kirmesbnrsch mit ins Huus seiner Tänzerin, wo er als Gast zur Mahlzeit freundliche Aufnahme findet, sich mitunter aber recht linkisch benimmt, beim Essen kerzengrad dasitzt, die linke Hand meistens unter dem Tisch bergend. Damit schließen die besondern Zeremonien des ersten Kirmes¬ tags, dessen übrige Zeit bis in die späte Nacht hinein dem Tanzvergnügen ge¬ widmet ist. So ist der erste Kirmestag durch Glauben und Brauch gewiß gefeit gegen¬ über der vermaledeiten Welt. Wie konnte dieser Ring denn von List, Leidenschaft, Eigensucht und stinkender Fäulnis durchbrochen werden? Im Müsershaus war heute das Mittagsmahl bar der geistigen Sättigung, die es sonst gewöhnlich in sich schloß. Diese geistige Sättigung bestand am Müsers- tisch nicht etwa in einem heitern Redeverkehr: sie lag im befriedigten Gefühl der trauten Zusammengehörigkeit, das sich ohne viel Redens selbst genug ist. Es fehlt aber an diesem Tisch heute der Gast des Döhlerskätterle, der Kleine. Mau denkt ja mit Freuden seines Glücks; aber am Müserstisch ist und bleibt heute eine gewaltige Lücke. Der Kleine fehlt heut. Man folles nit mein'n; aber ich kenn basi Drei helle Glockenschläge der Schwarzwälderin erschallten. Von den beiden nach dem Wirtshaus gerichteten Fenstern ward das eine vom Großen eingenommen, das andre von der Madlene. Nunmehr müssen sich die Kirmespaare zum Tanz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/564>, abgerufen am 09.01.2025.