Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Am Ende des Jahrhunderts mitgewirkt hat. Schon des Verfassers eigne zahlreiche Schriften sind doch Am Ende des Jahrhunderts mitgewirkt hat. Schon des Verfassers eigne zahlreiche Schriften sind doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227452"/> <fw type="header" place="top"> Am Ende des Jahrhunderts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1971" prev="#ID_1970" next="#ID_1972"> mitgewirkt hat. Schon des Verfassers eigne zahlreiche Schriften sind doch<lb/> sicherlich nicht hauptsächlich von Menschen seinesgleichen gelesen worden, sondern<lb/> von denen, die wir zum Volke rechnen können. Und so wie er haben doch in<lb/> unsrer Zeit Hunderte von Schriftstellern der verschiedensten Wissensgebiete ge¬<lb/> arbeitet und gewirkt. Was aber den von ihm bis jetzt vermißten und der<lb/> Zukunft anheimgestellten Erfolg anlangt: auch bei dem allerweitesten Ent¬<lb/> gegenkommen wird die Wissenschaft an irgend einer Grenze Halt machen müssen,<lb/> denn ihre Gaben werden zu alleu Zeiten nur denen zu gute kommen, die<lb/> gelernt haben, sie zu genießen, was nie ohne Mühe und Zeitaufwand, ohne<lb/> ein gewisses Maß von Bildung und Wohlstand wird geschehen können. Es<lb/> wird auch immer solche geben, die Kaviar oder Lotus essen, und solche, die<lb/> es nicht thun, weil es ihnen nicht bekommen würde, oder weil sie kein Gelüsten<lb/> darnach in sich tragen. Nach dergleichen Unterschieden aber die Menschen ein¬<lb/> zuteilen in Volk und NichtVolk, ist zwar in der politischen Agitation üblich,<lb/> und es giebt auch wirksame Antithesen her für die Rhetorik, aber sachlich ist<lb/> es nicht richtig, und für die Geschichte hat es keinen Wert. Nun also —<lb/> gegenüber den großen Fortschritten der Naturwissenschaften und der darauf<lb/> gebauten Erfindungen und Einrichtungen zur Erhöhung unsrer materiellen<lb/> Wohlfahrt (und, fügen wir hinzu, gegenüber den-Fortschritten einiger andern<lb/> Wissenschaften) spielen doch Kunst und schöne Litteratur im letzten Drittel<lb/> unsers Jahrhunderts eine gar kümmerliche Rolle. Das ist nicht etwa<lb/> die Auffassung einer bestimmten Partei unter den Litteraten oder überhaupt<lb/> einer Tendenz, sondern es wird durch jenen Vergleich so offenkundig, daß es<lb/> merkwürdig wäre, wenn nicht auch eine spätere, von jeder persönlichen Be¬<lb/> fangenheit freie Geschichtsbetrachtung zurückblickend hier eine große Lücke an¬<lb/> setzen sollte. Man wird dann wohl sagen: Für Dichtung hatte man in Deutsch¬<lb/> land seit 1870 nicht mehr das allgemeine Interesse wie früher, und das war<lb/> der Anlaß, daß keine bedeutenden Talente mehr zur Entfaltung kamen,<lb/> vielleicht wird man auch den Satz umkehren, jedenfalls aber wird man, da<lb/> man ja einmal immer für alles Fehlende nach Ersatzerscheinungen sucht, dann<lb/> eine ungewöhnlich große Menge guter populär geschriebner Bücher aus alleu<lb/> Wissensgebieten vorfinden, einen Reichtum, wie ihn in der That kein früheres<lb/> Menschenalter gekannt hat. Die diese Bücher wenn auch nicht gerade für das<lb/> Volk im Büchnerschen Sinn, so doch für Leser von sehr verschiednen Kennt¬<lb/> nissen und Ansprüchen geschrieben haben, sind zum Teil selbständig schaffende<lb/> Schriftsteller, wie bis vor kurzem etwa Freytag, Riehl, Treitschke; sie sind auch<lb/> älter als die jüngsten Dichter und meist lange vor 1870 geboren, schon<lb/> weil sie zu ihrer Aufgabe auch etwas älterer Kenntnisse bedurften. Aber<lb/> trotzdem machen sie nicht den Eindruck der Dekadenz, den die Dichter geflissent¬<lb/> lich kundgeben, und in ihren Gliedern fühlen sie keine Ermüdung, womit diese<lb/> so gern kokettiren. Sie sind also die eigentlichen Positiven, die Optimisten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0550]
Am Ende des Jahrhunderts
mitgewirkt hat. Schon des Verfassers eigne zahlreiche Schriften sind doch
sicherlich nicht hauptsächlich von Menschen seinesgleichen gelesen worden, sondern
von denen, die wir zum Volke rechnen können. Und so wie er haben doch in
unsrer Zeit Hunderte von Schriftstellern der verschiedensten Wissensgebiete ge¬
arbeitet und gewirkt. Was aber den von ihm bis jetzt vermißten und der
Zukunft anheimgestellten Erfolg anlangt: auch bei dem allerweitesten Ent¬
gegenkommen wird die Wissenschaft an irgend einer Grenze Halt machen müssen,
denn ihre Gaben werden zu alleu Zeiten nur denen zu gute kommen, die
gelernt haben, sie zu genießen, was nie ohne Mühe und Zeitaufwand, ohne
ein gewisses Maß von Bildung und Wohlstand wird geschehen können. Es
wird auch immer solche geben, die Kaviar oder Lotus essen, und solche, die
es nicht thun, weil es ihnen nicht bekommen würde, oder weil sie kein Gelüsten
darnach in sich tragen. Nach dergleichen Unterschieden aber die Menschen ein¬
zuteilen in Volk und NichtVolk, ist zwar in der politischen Agitation üblich,
und es giebt auch wirksame Antithesen her für die Rhetorik, aber sachlich ist
es nicht richtig, und für die Geschichte hat es keinen Wert. Nun also —
gegenüber den großen Fortschritten der Naturwissenschaften und der darauf
gebauten Erfindungen und Einrichtungen zur Erhöhung unsrer materiellen
Wohlfahrt (und, fügen wir hinzu, gegenüber den-Fortschritten einiger andern
Wissenschaften) spielen doch Kunst und schöne Litteratur im letzten Drittel
unsers Jahrhunderts eine gar kümmerliche Rolle. Das ist nicht etwa
die Auffassung einer bestimmten Partei unter den Litteraten oder überhaupt
einer Tendenz, sondern es wird durch jenen Vergleich so offenkundig, daß es
merkwürdig wäre, wenn nicht auch eine spätere, von jeder persönlichen Be¬
fangenheit freie Geschichtsbetrachtung zurückblickend hier eine große Lücke an¬
setzen sollte. Man wird dann wohl sagen: Für Dichtung hatte man in Deutsch¬
land seit 1870 nicht mehr das allgemeine Interesse wie früher, und das war
der Anlaß, daß keine bedeutenden Talente mehr zur Entfaltung kamen,
vielleicht wird man auch den Satz umkehren, jedenfalls aber wird man, da
man ja einmal immer für alles Fehlende nach Ersatzerscheinungen sucht, dann
eine ungewöhnlich große Menge guter populär geschriebner Bücher aus alleu
Wissensgebieten vorfinden, einen Reichtum, wie ihn in der That kein früheres
Menschenalter gekannt hat. Die diese Bücher wenn auch nicht gerade für das
Volk im Büchnerschen Sinn, so doch für Leser von sehr verschiednen Kennt¬
nissen und Ansprüchen geschrieben haben, sind zum Teil selbständig schaffende
Schriftsteller, wie bis vor kurzem etwa Freytag, Riehl, Treitschke; sie sind auch
älter als die jüngsten Dichter und meist lange vor 1870 geboren, schon
weil sie zu ihrer Aufgabe auch etwas älterer Kenntnisse bedurften. Aber
trotzdem machen sie nicht den Eindruck der Dekadenz, den die Dichter geflissent¬
lich kundgeben, und in ihren Gliedern fühlen sie keine Ermüdung, womit diese
so gern kokettiren. Sie sind also die eigentlichen Positiven, die Optimisten,
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