Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sudermaims biblische Tragödie Johannes Jahrzehnt das große Wort in der Poesie gen'eher ist. Und wieder andre Die Tragödie beginnt mit einem Vorspiel, das uns in eine wilde Fels¬ Sudermaims biblische Tragödie Johannes Jahrzehnt das große Wort in der Poesie gen'eher ist. Und wieder andre Die Tragödie beginnt mit einem Vorspiel, das uns in eine wilde Fels¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227440"/> <fw type="header" place="top"> Sudermaims biblische Tragödie Johannes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1945" prev="#ID_1944"> Jahrzehnt das große Wort in der Poesie gen'eher ist. Und wieder andre<lb/> versichern lachend, daß der Verfasser mich in dem neuen Werke vollkommen<lb/> der Alte sei und das alte Spiel mit Glück fortsetze, den bunten gleißenden<lb/> Stein der Decadence so zu drehen und zu wenden, daß er neue Strahlen in<lb/> müde Augen und matte Seelen wirft. Ehe wir uns fragen, wie Sudermauu<lb/> zu dieser Tragödie gekommen ist, und untersuchen, welche Kräfte und Stim¬<lb/> mungen in ihr überwiegen und wirken, vergegenwärtigen wir uns die Anlage,<lb/> die Entwicklung und den Ausgang des „Johannes."</p><lb/> <p xml:id="ID_1946" next="#ID_1947"> Die Tragödie beginnt mit einem Vorspiel, das uns in eine wilde Fels¬<lb/> gegend in der Nähe Jerusalems führt. Zu Johannes, der in dieser Wüste<lb/> verweilt, drängen sich die Armen, die Gichtbrüchigen, die Verzweifelten aus<lb/> ganz Israel, in ihm ist das alttestamentarische Prvphetentnm neu verkörpert.<lb/> Wohl sagt er, daß das Wasser seiner Taufe nur „armes Wasser der Buße"<lb/> sei. „Der aber nach mir kommt, der wird euch mit dem Geist und mit Feuer<lb/> taufen"; wohl wehrt er seinen Anhängern, ihn selbst für den Verheißenen zu<lb/> halten, wohl fordert er, daß sie schweigend des Messias harren und bis dahin<lb/> das Unkraut jäten, das wuchert und frißt an ihrem Leibe, aber er verkündet<lb/> ihnen auch mit gewaltigen Worten, „wenn der Tag seiner Ernte wird gekommen<lb/> sein, dann wird er nach eignem Willen vor euch erscheinen, leuchtend als König<lb/> der Heerscharen! Und die vier Cherubim vor ihm her, auf gepanzerten Rossen<lb/> — mit flammenden Sicheln — zu mähen und zu zerstampfen." Und wie ihm<lb/> berichtet wird, daß neue Schmach über Israel kommen soll, daß Herodes, der<lb/> Vierfürst von Galiläa, sich mit Herodias, dem entlaufnen Weibe seines Bruders<lb/> Philippus, nächsten Tags vermählen, daß er sie in den Tempel in den Vorhof<lb/> der Weiber einführe» will, daß Unterhändler zwischen der Ehebrecherin und<lb/> zwischen Hohepriester«! und Priestern hin- und hergehen, um Herodias einen<lb/> feierlichen Empfang zu sichern, da flammt der Propheteuzorn in Johannes<lb/> empor, er erklärt, daß er ein priesterliches Wort „im Namen dessen, der da<lb/> kommen soll, und dem ich den Weg bereite mit meinem Leibe!" reden und nach<lb/> Jerusalem kommen wird. In Jerusalem beginnt dann auf einem Platze vor<lb/> dem Palast des Herodes der erste Akt der Tragödie. Der Prediger aus der<lb/> Wüste, den die Pharisäer und alle Buchstabenglänbigeu des alten Gesetzes<lb/> grimmig hassen, hat mit seinen Reden die Volksmassen in der Stadt gewaltig<lb/> erregt, er erweist sich als unantastbar für die Tücken und Listen seiner Feinde.<lb/> In ihm selbst aber ist unruhige Sehnsucht, in seine Felsenwüste zurückzukehre»,<lb/> und das dumpfe Verlangen nach dem, der kommen und stärker sein wird als<lb/> er. Im Zusammenprall mit den Werkheiligen, die er haßt, spricht Simon<lb/> der Galiläer das Wort: „Höher denn Gesetz und Opfer ist die Liebe." Und<lb/> wie er dies Wort vernommen hat, weiß Johannes auch, daß „dies Wisse»<lb/> deines Herzens, einfältig und fürchterlich, vor dem mir grauet," nicht ans der<lb/> Seele des einfachen GalilüerS stammt; unbekümmert um den Pr»ulei»z»g des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0538]
Sudermaims biblische Tragödie Johannes
Jahrzehnt das große Wort in der Poesie gen'eher ist. Und wieder andre
versichern lachend, daß der Verfasser mich in dem neuen Werke vollkommen
der Alte sei und das alte Spiel mit Glück fortsetze, den bunten gleißenden
Stein der Decadence so zu drehen und zu wenden, daß er neue Strahlen in
müde Augen und matte Seelen wirft. Ehe wir uns fragen, wie Sudermauu
zu dieser Tragödie gekommen ist, und untersuchen, welche Kräfte und Stim¬
mungen in ihr überwiegen und wirken, vergegenwärtigen wir uns die Anlage,
die Entwicklung und den Ausgang des „Johannes."
Die Tragödie beginnt mit einem Vorspiel, das uns in eine wilde Fels¬
gegend in der Nähe Jerusalems führt. Zu Johannes, der in dieser Wüste
verweilt, drängen sich die Armen, die Gichtbrüchigen, die Verzweifelten aus
ganz Israel, in ihm ist das alttestamentarische Prvphetentnm neu verkörpert.
Wohl sagt er, daß das Wasser seiner Taufe nur „armes Wasser der Buße"
sei. „Der aber nach mir kommt, der wird euch mit dem Geist und mit Feuer
taufen"; wohl wehrt er seinen Anhängern, ihn selbst für den Verheißenen zu
halten, wohl fordert er, daß sie schweigend des Messias harren und bis dahin
das Unkraut jäten, das wuchert und frißt an ihrem Leibe, aber er verkündet
ihnen auch mit gewaltigen Worten, „wenn der Tag seiner Ernte wird gekommen
sein, dann wird er nach eignem Willen vor euch erscheinen, leuchtend als König
der Heerscharen! Und die vier Cherubim vor ihm her, auf gepanzerten Rossen
— mit flammenden Sicheln — zu mähen und zu zerstampfen." Und wie ihm
berichtet wird, daß neue Schmach über Israel kommen soll, daß Herodes, der
Vierfürst von Galiläa, sich mit Herodias, dem entlaufnen Weibe seines Bruders
Philippus, nächsten Tags vermählen, daß er sie in den Tempel in den Vorhof
der Weiber einführe» will, daß Unterhändler zwischen der Ehebrecherin und
zwischen Hohepriester«! und Priestern hin- und hergehen, um Herodias einen
feierlichen Empfang zu sichern, da flammt der Propheteuzorn in Johannes
empor, er erklärt, daß er ein priesterliches Wort „im Namen dessen, der da
kommen soll, und dem ich den Weg bereite mit meinem Leibe!" reden und nach
Jerusalem kommen wird. In Jerusalem beginnt dann auf einem Platze vor
dem Palast des Herodes der erste Akt der Tragödie. Der Prediger aus der
Wüste, den die Pharisäer und alle Buchstabenglänbigeu des alten Gesetzes
grimmig hassen, hat mit seinen Reden die Volksmassen in der Stadt gewaltig
erregt, er erweist sich als unantastbar für die Tücken und Listen seiner Feinde.
In ihm selbst aber ist unruhige Sehnsucht, in seine Felsenwüste zurückzukehre»,
und das dumpfe Verlangen nach dem, der kommen und stärker sein wird als
er. Im Zusammenprall mit den Werkheiligen, die er haßt, spricht Simon
der Galiläer das Wort: „Höher denn Gesetz und Opfer ist die Liebe." Und
wie er dies Wort vernommen hat, weiß Johannes auch, daß „dies Wisse»
deines Herzens, einfältig und fürchterlich, vor dem mir grauet," nicht ans der
Seele des einfachen GalilüerS stammt; unbekümmert um den Pr»ulei»z»g des
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