Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches der wird es begreifen, welcher unerträgliche Zeitverlust mit den meisten Verhand¬ Im Abgeordnetenhause hat man die Mängel der Polizei, namentlich der Grcnzbotcn I 1898 <;4
Maßgebliches und Unmaßgebliches der wird es begreifen, welcher unerträgliche Zeitverlust mit den meisten Verhand¬ Im Abgeordnetenhause hat man die Mängel der Polizei, namentlich der Grcnzbotcn I 1898 <;4
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227411"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1870" prev="#ID_1869"> der wird es begreifen, welcher unerträgliche Zeitverlust mit den meisten Verhand¬<lb/> lungen zwischen Staat und Städten verbunden ist. Da gilt es, den städtischen<lb/> Wählerschaften ooulos zu demonstriren, daß die Staatsfürsorge für das Gemein¬<lb/> wohl nicht durch solche Querelen aufgehalten werden darf, selbst wenn einmal neue<lb/> Bahnhofanlagen, um den Spekulationen der gemeinsinnigen Bürgerschaft nicht gar<lb/> zu große Opfer zu bringen, etwas weit von den erwerbsinnigen Städten abgerückt<lb/> werden müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1871" next="#ID_1872"> Im Abgeordnetenhause hat man die Mängel der Polizei, namentlich der<lb/> Berliner und der „politischen," scharf durchgehechelt. Herausgekommen ist dabei<lb/> herzlich wenig, und wenn, wie die Herren wollen, die Hechelei in Kommission und<lb/> Plenum auch nochmals vorgenommen werden sollte, fo wird auch dadurch kaum<lb/> etwas besser gemacht werden. Das Verbessern liegt auf einem ganz andern Felde.<lb/> Die arge Übertreibung, die sich in den Redensarten zeigt: „Schutz gegen den Schutz¬<lb/> mann" und: „Was ist riskanter, in Preußen ans der Eisenbahn zu fahren oder<lb/> in Berlin seine Frau über die Straße gehen zu lassen?" bedürfen für ernsthafte<lb/> Leute kaum einer Widerlegung, dem gebildeten Manne, der Berlin kennt, muß man<lb/> sie aber nachgerade zum moralischen Vorwürfe machen. Einzelne sehr unangenehme<lb/> Belästigungen sind gar nicht zu vermeiden. Vor etwa zwanzig Jahren wurde in<lb/> Breslnu ein sehr schneidiger Staatsanwalt ans der Straße vom Schutzmann fest¬<lb/> genommen, weil er einem steckbrieflich verfolgten Gauner bedauerlicherweise sehr<lb/> ähnlich sah. Der Herr drohte dem armen Schutzmann mit allen möglichen<lb/> schlimmen Folgen und wollte nicht mit. Da wurde er „Per Schub" nach dem<lb/> Polizeibureau gebracht, wo sich die Verwechslung aufklärte. Ob der Schutzmann<lb/> von seinen Vorgesetzten gelobt worden ist, haben wir nicht gehört, aber die frei¬<lb/> sinnige Bürgerschaft bis zum Eckensteher herunter war voll Lob für die That.<lb/> Also so etwas kann vorkommen, ohne daß der liberale Mann Zetermordio zu<lb/> schreien braucht. Auch Schlimmeres kann vorkommen, ohne daß man deshalb der<lb/> ganzen Verwaltung einen Vorwurf machen darf. Aber wenn es so oft vorkommt,<lb/> wie in jüngster Zeit in Berlin, dann muß, schon weil der Staat, das Beamtentum,<lb/> die Polizei dadurch in gemeingefährlicher Weise blamirt werden, unter allen Um¬<lb/> ständen Abhilfe geschaffen werden. Wir haben uns auch entrüstet über die Roheiten,<lb/> Dummheiten und Faulheiten, die vorgekommen sind, aber wir haben bis jetzt nicht<lb/> den geringsten Grund für die Annahme finden können, daß die Leiter der Berliner<lb/> Polizei nicht schon ganz energisch und vielleicht auch mit ganz zweckmäßigen Mitteln<lb/> an der Arbeit sind, diesem Unfug für die Zukunft den Riegel vorzuschieben. Auch<lb/> die Herren Abgeordneten, soviel sie sonst wissen, können darüber gar nichts wissen.<lb/> Woher denn? Etwa durch den Erlaß oder Nichterlaß neuer Instruktionen und<lb/> Verfügungen, die man ihnen vorlegt oder nicht vorlegt? Der „ältere" Herr von<lb/> Koller hat ganz recht: So dumm ist kein Mensch, daß er nicht eine Verfügung<lb/> abfassen könnte! Auch die Herren Träger. Brömel, Porsch, die sehr klug sind,<lb/> würden wunderschöne Verfügungen abfassen, wenn man sie an die Tinte ran ließe,<lb/> daran ist gar nicht zu zweifeln. Aber helfen würden sie damit gar nichts. Die<lb/> Besserung muß sich vollziehen in der Praxis, im laufenden, täglichen Dienst- und<lb/> Geschäftsbetrieb. Die einzelnen Besserungsmaßregeln, auf die es ankommt, die<lb/> persönliche Unterweisung, Aufsicht und, wenn nötig, Strafe, spielen sich gar nicht<lb/> vor der Öffentlichkeit, auch uicht vor den Herren Träger, Brömel und Porsch ab.<lb/> Wenn mans anders machte, wäre es ein Fehler. Die Öffentlichkeit wird ja sehen,<lb/> daß es besser wird, daß man es besser gemacht hat. Auch wenn in der ersten<lb/> ^>eit noch manchmal ein Rückfall bekannt wird, wird man noch lange nicht be-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbotcn I 1898 <;4</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der wird es begreifen, welcher unerträgliche Zeitverlust mit den meisten Verhand¬
lungen zwischen Staat und Städten verbunden ist. Da gilt es, den städtischen
Wählerschaften ooulos zu demonstriren, daß die Staatsfürsorge für das Gemein¬
wohl nicht durch solche Querelen aufgehalten werden darf, selbst wenn einmal neue
Bahnhofanlagen, um den Spekulationen der gemeinsinnigen Bürgerschaft nicht gar
zu große Opfer zu bringen, etwas weit von den erwerbsinnigen Städten abgerückt
werden müssen.
Im Abgeordnetenhause hat man die Mängel der Polizei, namentlich der
Berliner und der „politischen," scharf durchgehechelt. Herausgekommen ist dabei
herzlich wenig, und wenn, wie die Herren wollen, die Hechelei in Kommission und
Plenum auch nochmals vorgenommen werden sollte, fo wird auch dadurch kaum
etwas besser gemacht werden. Das Verbessern liegt auf einem ganz andern Felde.
Die arge Übertreibung, die sich in den Redensarten zeigt: „Schutz gegen den Schutz¬
mann" und: „Was ist riskanter, in Preußen ans der Eisenbahn zu fahren oder
in Berlin seine Frau über die Straße gehen zu lassen?" bedürfen für ernsthafte
Leute kaum einer Widerlegung, dem gebildeten Manne, der Berlin kennt, muß man
sie aber nachgerade zum moralischen Vorwürfe machen. Einzelne sehr unangenehme
Belästigungen sind gar nicht zu vermeiden. Vor etwa zwanzig Jahren wurde in
Breslnu ein sehr schneidiger Staatsanwalt ans der Straße vom Schutzmann fest¬
genommen, weil er einem steckbrieflich verfolgten Gauner bedauerlicherweise sehr
ähnlich sah. Der Herr drohte dem armen Schutzmann mit allen möglichen
schlimmen Folgen und wollte nicht mit. Da wurde er „Per Schub" nach dem
Polizeibureau gebracht, wo sich die Verwechslung aufklärte. Ob der Schutzmann
von seinen Vorgesetzten gelobt worden ist, haben wir nicht gehört, aber die frei¬
sinnige Bürgerschaft bis zum Eckensteher herunter war voll Lob für die That.
Also so etwas kann vorkommen, ohne daß der liberale Mann Zetermordio zu
schreien braucht. Auch Schlimmeres kann vorkommen, ohne daß man deshalb der
ganzen Verwaltung einen Vorwurf machen darf. Aber wenn es so oft vorkommt,
wie in jüngster Zeit in Berlin, dann muß, schon weil der Staat, das Beamtentum,
die Polizei dadurch in gemeingefährlicher Weise blamirt werden, unter allen Um¬
ständen Abhilfe geschaffen werden. Wir haben uns auch entrüstet über die Roheiten,
Dummheiten und Faulheiten, die vorgekommen sind, aber wir haben bis jetzt nicht
den geringsten Grund für die Annahme finden können, daß die Leiter der Berliner
Polizei nicht schon ganz energisch und vielleicht auch mit ganz zweckmäßigen Mitteln
an der Arbeit sind, diesem Unfug für die Zukunft den Riegel vorzuschieben. Auch
die Herren Abgeordneten, soviel sie sonst wissen, können darüber gar nichts wissen.
Woher denn? Etwa durch den Erlaß oder Nichterlaß neuer Instruktionen und
Verfügungen, die man ihnen vorlegt oder nicht vorlegt? Der „ältere" Herr von
Koller hat ganz recht: So dumm ist kein Mensch, daß er nicht eine Verfügung
abfassen könnte! Auch die Herren Träger. Brömel, Porsch, die sehr klug sind,
würden wunderschöne Verfügungen abfassen, wenn man sie an die Tinte ran ließe,
daran ist gar nicht zu zweifeln. Aber helfen würden sie damit gar nichts. Die
Besserung muß sich vollziehen in der Praxis, im laufenden, täglichen Dienst- und
Geschäftsbetrieb. Die einzelnen Besserungsmaßregeln, auf die es ankommt, die
persönliche Unterweisung, Aufsicht und, wenn nötig, Strafe, spielen sich gar nicht
vor der Öffentlichkeit, auch uicht vor den Herren Träger, Brömel und Porsch ab.
Wenn mans anders machte, wäre es ein Fehler. Die Öffentlichkeit wird ja sehen,
daß es besser wird, daß man es besser gemacht hat. Auch wenn in der ersten
^>eit noch manchmal ein Rückfall bekannt wird, wird man noch lange nicht be-
Grcnzbotcn I 1898 <;4
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