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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Umistausstellungen und Aünstlervereine in Berlin

nennen. Die Vereinigung der "Dachauer," die uns in Berlin zu Anfang dieses
Jahres ihren ersten Besuch (bei Keller und Reiner) abgestattet haben, ist wohl
die neueste Erscheinung auf dem Gebiete der Kunstvereinsmeierei. Bei Lichte
betrachtet ist sie aber weiter nichts als ein Ableger der Münchner Sezession,
da an der Spitze dieser sehr abgeschlossenen, nur aus fünf Mitgliedern be¬
stehenden Gesellschaft Ludwig Dill, der Landschaftsmaler, und Fritz von Abbe
stehen. Sie verdankt ihre Existenz also nur einer Künstlerlaune; aber das
Publikum steht und wundert sich, welch ein neues Küustlerreich plötzlich er¬
standen ist!

Die Freunde dieser Sonderbestrebungen sehen sie freilich nur von ihrer
günstigsten Seite an. Sie freuen sich über den frischen, eigentümlichen, kühnen
Geist, der die meisten Mitglieder dieser Vereinigungen, bei ihrem ersten Auf^
treten wenigstens, durchdringt. Sie versprechen sich vieles und gutes von der
gegenseitigen Forderung, von dem edeln Wetteifer so vieler junger Kräfte.
Die Gefahren, die aus diesen Konventikeln erwachsen können und auch schon
erwachsen sind, sehen sie nicht oder wollen sie nicht sehen. Sie sehen nicht
die Gefahr, die wir noch als die geringste achten, die Förderung des Cliquen¬
wesens, sie scheu auch nicht die größere, daß diese Vereinigungen, statt daß
sie ihre Mitglieder jung und frisch erhalten, nur zur Pflege einer gewissen
technischen oder ästhetischen Einseitigkeit und schließlich zu einer unausstehlichen
Mauierirtheit und Unnatur führen, die wir besonders an den Arbeiten der
meisten Mitglieder des "Hamburger Künstlerklubs" und der "Dresdner Se¬
zession" beobachtet haben. Daß die ewige Experimentirsucht schließlich zur
Überhebung und zur völligen Verkennung des letzten Zwecks eines Kunstwerks
führt, sei beiläufig erwähnt, weil sich heute nur noch die wenigsten Künstler
um diesen Zweck Sorge machen.

Wir haben weder eine prophetische Gabe noch die Kraft eines Arztes,
der sich mit der Heilung von Volkskrankheiten befaßt. Wir wissen nicht, wohin
diese Absvnderungssucht unter den Künstlern führen oder wie lange sie dauern
wird, wir wissen auch nicht, wie die offenkundiger Schäden, die sie schon
jetzt angerichtet hat, zu verringern oder ganz zu beseitigen sind. Aber es
schien uns nützlich, zu einer Zeit, wo diese neue Schmarotzerpflanze die ruhige
Entwicklung unsrer deutschen Kunst fast zu ersticken droht, die Aufmerksamkeit
weiterer Kreise darauf zu lenken. Ist unsre Besorgnis vor dieser Erscheinung
übertrieben, so soll es uns freuen. Aber noch sehen wir keinen festen Punkt
aus dem Wirrsal ziellos hin- und herringeuder Kräfte auftauchen.


Adolf Rosenberg


Umistausstellungen und Aünstlervereine in Berlin

nennen. Die Vereinigung der „Dachauer," die uns in Berlin zu Anfang dieses
Jahres ihren ersten Besuch (bei Keller und Reiner) abgestattet haben, ist wohl
die neueste Erscheinung auf dem Gebiete der Kunstvereinsmeierei. Bei Lichte
betrachtet ist sie aber weiter nichts als ein Ableger der Münchner Sezession,
da an der Spitze dieser sehr abgeschlossenen, nur aus fünf Mitgliedern be¬
stehenden Gesellschaft Ludwig Dill, der Landschaftsmaler, und Fritz von Abbe
stehen. Sie verdankt ihre Existenz also nur einer Künstlerlaune; aber das
Publikum steht und wundert sich, welch ein neues Küustlerreich plötzlich er¬
standen ist!

Die Freunde dieser Sonderbestrebungen sehen sie freilich nur von ihrer
günstigsten Seite an. Sie freuen sich über den frischen, eigentümlichen, kühnen
Geist, der die meisten Mitglieder dieser Vereinigungen, bei ihrem ersten Auf^
treten wenigstens, durchdringt. Sie versprechen sich vieles und gutes von der
gegenseitigen Forderung, von dem edeln Wetteifer so vieler junger Kräfte.
Die Gefahren, die aus diesen Konventikeln erwachsen können und auch schon
erwachsen sind, sehen sie nicht oder wollen sie nicht sehen. Sie sehen nicht
die Gefahr, die wir noch als die geringste achten, die Förderung des Cliquen¬
wesens, sie scheu auch nicht die größere, daß diese Vereinigungen, statt daß
sie ihre Mitglieder jung und frisch erhalten, nur zur Pflege einer gewissen
technischen oder ästhetischen Einseitigkeit und schließlich zu einer unausstehlichen
Mauierirtheit und Unnatur führen, die wir besonders an den Arbeiten der
meisten Mitglieder des „Hamburger Künstlerklubs" und der „Dresdner Se¬
zession" beobachtet haben. Daß die ewige Experimentirsucht schließlich zur
Überhebung und zur völligen Verkennung des letzten Zwecks eines Kunstwerks
führt, sei beiläufig erwähnt, weil sich heute nur noch die wenigsten Künstler
um diesen Zweck Sorge machen.

Wir haben weder eine prophetische Gabe noch die Kraft eines Arztes,
der sich mit der Heilung von Volkskrankheiten befaßt. Wir wissen nicht, wohin
diese Absvnderungssucht unter den Künstlern führen oder wie lange sie dauern
wird, wir wissen auch nicht, wie die offenkundiger Schäden, die sie schon
jetzt angerichtet hat, zu verringern oder ganz zu beseitigen sind. Aber es
schien uns nützlich, zu einer Zeit, wo diese neue Schmarotzerpflanze die ruhige
Entwicklung unsrer deutschen Kunst fast zu ersticken droht, die Aufmerksamkeit
weiterer Kreise darauf zu lenken. Ist unsre Besorgnis vor dieser Erscheinung
übertrieben, so soll es uns freuen. Aber noch sehen wir keinen festen Punkt
aus dem Wirrsal ziellos hin- und herringeuder Kräfte auftauchen.


Adolf Rosenberg


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[0499] Umistausstellungen und Aünstlervereine in Berlin nennen. Die Vereinigung der „Dachauer," die uns in Berlin zu Anfang dieses Jahres ihren ersten Besuch (bei Keller und Reiner) abgestattet haben, ist wohl die neueste Erscheinung auf dem Gebiete der Kunstvereinsmeierei. Bei Lichte betrachtet ist sie aber weiter nichts als ein Ableger der Münchner Sezession, da an der Spitze dieser sehr abgeschlossenen, nur aus fünf Mitgliedern be¬ stehenden Gesellschaft Ludwig Dill, der Landschaftsmaler, und Fritz von Abbe stehen. Sie verdankt ihre Existenz also nur einer Künstlerlaune; aber das Publikum steht und wundert sich, welch ein neues Küustlerreich plötzlich er¬ standen ist! Die Freunde dieser Sonderbestrebungen sehen sie freilich nur von ihrer günstigsten Seite an. Sie freuen sich über den frischen, eigentümlichen, kühnen Geist, der die meisten Mitglieder dieser Vereinigungen, bei ihrem ersten Auf^ treten wenigstens, durchdringt. Sie versprechen sich vieles und gutes von der gegenseitigen Forderung, von dem edeln Wetteifer so vieler junger Kräfte. Die Gefahren, die aus diesen Konventikeln erwachsen können und auch schon erwachsen sind, sehen sie nicht oder wollen sie nicht sehen. Sie sehen nicht die Gefahr, die wir noch als die geringste achten, die Förderung des Cliquen¬ wesens, sie scheu auch nicht die größere, daß diese Vereinigungen, statt daß sie ihre Mitglieder jung und frisch erhalten, nur zur Pflege einer gewissen technischen oder ästhetischen Einseitigkeit und schließlich zu einer unausstehlichen Mauierirtheit und Unnatur führen, die wir besonders an den Arbeiten der meisten Mitglieder des „Hamburger Künstlerklubs" und der „Dresdner Se¬ zession" beobachtet haben. Daß die ewige Experimentirsucht schließlich zur Überhebung und zur völligen Verkennung des letzten Zwecks eines Kunstwerks führt, sei beiläufig erwähnt, weil sich heute nur noch die wenigsten Künstler um diesen Zweck Sorge machen. Wir haben weder eine prophetische Gabe noch die Kraft eines Arztes, der sich mit der Heilung von Volkskrankheiten befaßt. Wir wissen nicht, wohin diese Absvnderungssucht unter den Künstlern führen oder wie lange sie dauern wird, wir wissen auch nicht, wie die offenkundiger Schäden, die sie schon jetzt angerichtet hat, zu verringern oder ganz zu beseitigen sind. Aber es schien uns nützlich, zu einer Zeit, wo diese neue Schmarotzerpflanze die ruhige Entwicklung unsrer deutschen Kunst fast zu ersticken droht, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise darauf zu lenken. Ist unsre Besorgnis vor dieser Erscheinung übertrieben, so soll es uns freuen. Aber noch sehen wir keinen festen Punkt aus dem Wirrsal ziellos hin- und herringeuder Kräfte auftauchen. Adolf Rosenberg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/499>, abgerufen am 07.01.2025.