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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Kunstausstellungen und Künstlervereine in Berlin

Schätzung betrachtet werden, schon vor dreißig Jahren die Hellmalerei, den
Impressionismus, den Naturalismus und andre moderne Künsteleien und
Kunstkniffe gekannt, daß sie sie aber nur als untergeordnete Hilfsmittel zu
höhern Zielen benutzt, also in ihrem wirklichen Werte bereits erkannt haben.
Wenn heut dagegen ein junger Mann vier Frühlings- oder Sommerwochen
an der Riviera, im Harz, in einem Nordseebade oder auf Bornholm Land¬
schaften, Strandpartien oder Figuren gemalt und zwei Dutzend davon in Öl-,
Gouache- oder -- wie es die neueste Mode will -- in Temperafarben fertig gebracht
hat, dann läuft er damit im Herbst zu Schulte oder Gurlitt, je nach der
Heftigkeit seines künstlerischen Temperaments, und veranstaltet eine Sonder¬
ausstellung, die seinen Namen drei Wochen lang wenigstens im Gedächtnis
der Berichterstatter für die Tageszeitungen und der Besucher der Ausstelluugs-
lokale erhält. Dann wird er wieder von einem andern abgelöst, und nur
selten gelingt es einem, abermals in die Höhe zu kommen und seinen Namen
wieder aufzufrischen.

Mit den Vereinen geht es ebenso. Je mehr entstehen, desto mehr ver¬
lieren sie an Wirkung und Reiz. Das Publikum hat sehr bald eingesehen,
daß unter der Flagge von Vereinen meist nur noch leichte und schlechte Ware
eingeschmuggelt wird, daß die Vereinsmitglieder dem Publikum sogar eine Gunst
zu erweisen meinen, wenn sie es offen in die auch sonst nur schlecht verhehlten
Geheimnisse ihrer armseligen Kunst hineinblicken lassen oder vor seinen Augen
gar den letzten Kehricht ihrer Ateliers ausbreiten. Noch zu keiner Zeit hat
die Ausstellungssucht der alten und neuen Künstlervereinigungen in Berlin
einen solchen Umfang angenommen, wie in dem Winter von 1896 auf 1897,
und noch niemals zuvor hat sich ein solches Mißverhältnis zwischen ihren
hochtrabenden Absichten und ihren ärmlichen Leistungen gezeigt wie gerade jetzt.
Wir haben etwa fünfzig bis sechzig solcher Vereins-, Sonder- und Atelier¬
ausstellungen zu sehen bekommen; aber wir würden in die ärgste Verlegenheit
geraten, wenn wir aus dieser Masse von zwei- bis dreitausend Kunsterzeug¬
nissen jeglicher Art auch nur eiues nennen sollten, dem wir mit einiger Zuversicht
eine Lebensfähigkeit von mehreren Jahren voraussagen könnten. Experimente
und wieder Experimente, die jahraus jahrein erneuert werden, ohne jemals eine
reife Frucht zu zeitigen, weil ihre Urheber nie für einige Zeit zum Stillstand,
zu ruhiger Prüfung des Errungnen kommen können. Dem Einfältigen wohl
können alle diese Ausstellungen durch ihr Massenaufgebot und durch ihre Ab¬
sonderlichkeiten imponiren. Der Erfahrne und Schärferblickende sieht dort
aber nur leere Routine und breitgetretene Trivialität, hier nichts als die
leidige Experimentirsucht, die auch das gemeinsame geistige Band zwischen den
Vereinen modernster Tendenz bildet, mögen sie nun "Hamburger Küustlerklub,"
"Dresdner Sezession," "Vereinigung 1897" oder sonstwie heißen, oder mögen
sie sich nach dem Vorbilde der berühmten Schule von Fontainebleau oder
Barbizon nach einem weltfremden Dorfe "Worpsweder" oder "Dachauer"


Kunstausstellungen und Künstlervereine in Berlin

Schätzung betrachtet werden, schon vor dreißig Jahren die Hellmalerei, den
Impressionismus, den Naturalismus und andre moderne Künsteleien und
Kunstkniffe gekannt, daß sie sie aber nur als untergeordnete Hilfsmittel zu
höhern Zielen benutzt, also in ihrem wirklichen Werte bereits erkannt haben.
Wenn heut dagegen ein junger Mann vier Frühlings- oder Sommerwochen
an der Riviera, im Harz, in einem Nordseebade oder auf Bornholm Land¬
schaften, Strandpartien oder Figuren gemalt und zwei Dutzend davon in Öl-,
Gouache- oder — wie es die neueste Mode will — in Temperafarben fertig gebracht
hat, dann läuft er damit im Herbst zu Schulte oder Gurlitt, je nach der
Heftigkeit seines künstlerischen Temperaments, und veranstaltet eine Sonder¬
ausstellung, die seinen Namen drei Wochen lang wenigstens im Gedächtnis
der Berichterstatter für die Tageszeitungen und der Besucher der Ausstelluugs-
lokale erhält. Dann wird er wieder von einem andern abgelöst, und nur
selten gelingt es einem, abermals in die Höhe zu kommen und seinen Namen
wieder aufzufrischen.

Mit den Vereinen geht es ebenso. Je mehr entstehen, desto mehr ver¬
lieren sie an Wirkung und Reiz. Das Publikum hat sehr bald eingesehen,
daß unter der Flagge von Vereinen meist nur noch leichte und schlechte Ware
eingeschmuggelt wird, daß die Vereinsmitglieder dem Publikum sogar eine Gunst
zu erweisen meinen, wenn sie es offen in die auch sonst nur schlecht verhehlten
Geheimnisse ihrer armseligen Kunst hineinblicken lassen oder vor seinen Augen
gar den letzten Kehricht ihrer Ateliers ausbreiten. Noch zu keiner Zeit hat
die Ausstellungssucht der alten und neuen Künstlervereinigungen in Berlin
einen solchen Umfang angenommen, wie in dem Winter von 1896 auf 1897,
und noch niemals zuvor hat sich ein solches Mißverhältnis zwischen ihren
hochtrabenden Absichten und ihren ärmlichen Leistungen gezeigt wie gerade jetzt.
Wir haben etwa fünfzig bis sechzig solcher Vereins-, Sonder- und Atelier¬
ausstellungen zu sehen bekommen; aber wir würden in die ärgste Verlegenheit
geraten, wenn wir aus dieser Masse von zwei- bis dreitausend Kunsterzeug¬
nissen jeglicher Art auch nur eiues nennen sollten, dem wir mit einiger Zuversicht
eine Lebensfähigkeit von mehreren Jahren voraussagen könnten. Experimente
und wieder Experimente, die jahraus jahrein erneuert werden, ohne jemals eine
reife Frucht zu zeitigen, weil ihre Urheber nie für einige Zeit zum Stillstand,
zu ruhiger Prüfung des Errungnen kommen können. Dem Einfältigen wohl
können alle diese Ausstellungen durch ihr Massenaufgebot und durch ihre Ab¬
sonderlichkeiten imponiren. Der Erfahrne und Schärferblickende sieht dort
aber nur leere Routine und breitgetretene Trivialität, hier nichts als die
leidige Experimentirsucht, die auch das gemeinsame geistige Band zwischen den
Vereinen modernster Tendenz bildet, mögen sie nun „Hamburger Küustlerklub,"
„Dresdner Sezession," „Vereinigung 1897" oder sonstwie heißen, oder mögen
sie sich nach dem Vorbilde der berühmten Schule von Fontainebleau oder
Barbizon nach einem weltfremden Dorfe „Worpsweder" oder „Dachauer"


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[0498] Kunstausstellungen und Künstlervereine in Berlin Schätzung betrachtet werden, schon vor dreißig Jahren die Hellmalerei, den Impressionismus, den Naturalismus und andre moderne Künsteleien und Kunstkniffe gekannt, daß sie sie aber nur als untergeordnete Hilfsmittel zu höhern Zielen benutzt, also in ihrem wirklichen Werte bereits erkannt haben. Wenn heut dagegen ein junger Mann vier Frühlings- oder Sommerwochen an der Riviera, im Harz, in einem Nordseebade oder auf Bornholm Land¬ schaften, Strandpartien oder Figuren gemalt und zwei Dutzend davon in Öl-, Gouache- oder — wie es die neueste Mode will — in Temperafarben fertig gebracht hat, dann läuft er damit im Herbst zu Schulte oder Gurlitt, je nach der Heftigkeit seines künstlerischen Temperaments, und veranstaltet eine Sonder¬ ausstellung, die seinen Namen drei Wochen lang wenigstens im Gedächtnis der Berichterstatter für die Tageszeitungen und der Besucher der Ausstelluugs- lokale erhält. Dann wird er wieder von einem andern abgelöst, und nur selten gelingt es einem, abermals in die Höhe zu kommen und seinen Namen wieder aufzufrischen. Mit den Vereinen geht es ebenso. Je mehr entstehen, desto mehr ver¬ lieren sie an Wirkung und Reiz. Das Publikum hat sehr bald eingesehen, daß unter der Flagge von Vereinen meist nur noch leichte und schlechte Ware eingeschmuggelt wird, daß die Vereinsmitglieder dem Publikum sogar eine Gunst zu erweisen meinen, wenn sie es offen in die auch sonst nur schlecht verhehlten Geheimnisse ihrer armseligen Kunst hineinblicken lassen oder vor seinen Augen gar den letzten Kehricht ihrer Ateliers ausbreiten. Noch zu keiner Zeit hat die Ausstellungssucht der alten und neuen Künstlervereinigungen in Berlin einen solchen Umfang angenommen, wie in dem Winter von 1896 auf 1897, und noch niemals zuvor hat sich ein solches Mißverhältnis zwischen ihren hochtrabenden Absichten und ihren ärmlichen Leistungen gezeigt wie gerade jetzt. Wir haben etwa fünfzig bis sechzig solcher Vereins-, Sonder- und Atelier¬ ausstellungen zu sehen bekommen; aber wir würden in die ärgste Verlegenheit geraten, wenn wir aus dieser Masse von zwei- bis dreitausend Kunsterzeug¬ nissen jeglicher Art auch nur eiues nennen sollten, dem wir mit einiger Zuversicht eine Lebensfähigkeit von mehreren Jahren voraussagen könnten. Experimente und wieder Experimente, die jahraus jahrein erneuert werden, ohne jemals eine reife Frucht zu zeitigen, weil ihre Urheber nie für einige Zeit zum Stillstand, zu ruhiger Prüfung des Errungnen kommen können. Dem Einfältigen wohl können alle diese Ausstellungen durch ihr Massenaufgebot und durch ihre Ab¬ sonderlichkeiten imponiren. Der Erfahrne und Schärferblickende sieht dort aber nur leere Routine und breitgetretene Trivialität, hier nichts als die leidige Experimentirsucht, die auch das gemeinsame geistige Band zwischen den Vereinen modernster Tendenz bildet, mögen sie nun „Hamburger Küustlerklub," „Dresdner Sezession," „Vereinigung 1897" oder sonstwie heißen, oder mögen sie sich nach dem Vorbilde der berühmten Schule von Fontainebleau oder Barbizon nach einem weltfremden Dorfe „Worpsweder" oder „Dachauer"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/498>, abgerufen am 08.01.2025.