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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Diäten zu zahlen seien, wie die Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses
welche beziehen,^) er mag die Aufhebung des Jesuitengesetzes ein halbes Dutzend
mal beschließen, es nützt ihm nichts; der Bundesrat versagt die Bestätigung.
So steht es mit der Gesetzgebung, auf die er freilich im übrigen einen be¬
schränkten und bedingten Einfluß hat, von dem auch auf die Vertretung der
untern Klaffen in ihm ein Stückchen kommt, dagegen hat er auf Verwaltung
und Rechtspflege schlechthin gar keinen Einfluß. Die Verbindung dieser und
ähnlicher Behauptungen mit der "naturwissenschaftlichen" Grundlage wird auf
S. 87 vollzogen. (Zum Verständnis des Satzes schicke ich voraus, daß in
der Gesellschaftszwiebel die obere und die untere Mittelschicht mit und ^
bezeichnet werden, die höchste und die unterste Schicht mit und g): "Von
den elf Millionen Deutscher über fünfundzwanzig Jahren, welche das Reichs¬
tagswahlrecht besitzen, kommen etwa neun Millionen auf das Mittelgut der
Klassen L., a, L, d, aber mehr als 800000 Schwachbegabte der Klassen o und ä
stimmen ebenfalls mit und helfen mit ihrer Intelligenz das Schicksal des
Reiches lenken. Sie sind gerade ausreichend, um die höher Begabten lahm zu
legen, welche wegen der Symmetrie der Kurve die nämliche Zahl ausmachen."
Wir wollen nicht weiter dabei verweilen, daß "der Symmetrie der Kurve,"
d. h. einer durch willkürliche Anwendung der Kombinationslehre auf die Be¬
gabungen der Menschen gewonnenen Zahlenreihe, eine zwingende und gesetz¬
gebende Gewalt zugeschrieben wird; das haben wir abgemacht. Aber steht
denn die Sache so, daß unser Volk in zwei Parteien zerfiele, und die Schei¬
dungslinie irgendwo durch die Vegabungszwiebel quer durchginge, sodaß alle
Intelligenzen der einen, alle Dummköpfe der andern Partei zufielen, und die
Klugen von den Dummen überstimmt werden könnten? Sehn Sie uns doch
mal an, hat Windthorst einmal im Reichstage gerufen, sind wir denn gar so
dumm? Vielmehr verhält es sich so -- es ist lächerlich, das am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts einer deutschen Intelligenz klar machen zu müssen --,
daß die Gründer und Führer aller Parteien gescheite Leute sind, und daß
ihnen allen sowohl mittelmäßige Ingenia wie Dummköpfe folgen. Was aber
die stillschweigende Voraussetzung anlangt, die gemacht werden muß, wenn
Ammons Theorie für die Zensuswahlen gegen die allgemeinen Wahlen etwas
beweisen soll, die Voraussetzung, daß die Jntelligenzklassen mit den Zensus¬
klassen zusammenfielen, so wollen wir sie mit einer Anekdote beleuchten. Zur
Zeit des Septenuatsstreits sitzen einige Herren in einer Weinstube beim Früh¬
schoppen und besprechen die brennende Frage des Tages. Endlich ruft der
Mittagstisch, und einer nach dem andern entfernt sich. Nur einer, der die
ganze Zeit über den Mund nicht aufgethan hat, und der offenbar etwas auf



-) In seiner letzten Session hat er es -- mit 179 gegen 4" Stimmen -- zum zehnten
mille beschlossen.

Diäten zu zahlen seien, wie die Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses
welche beziehen,^) er mag die Aufhebung des Jesuitengesetzes ein halbes Dutzend
mal beschließen, es nützt ihm nichts; der Bundesrat versagt die Bestätigung.
So steht es mit der Gesetzgebung, auf die er freilich im übrigen einen be¬
schränkten und bedingten Einfluß hat, von dem auch auf die Vertretung der
untern Klaffen in ihm ein Stückchen kommt, dagegen hat er auf Verwaltung
und Rechtspflege schlechthin gar keinen Einfluß. Die Verbindung dieser und
ähnlicher Behauptungen mit der „naturwissenschaftlichen" Grundlage wird auf
S. 87 vollzogen. (Zum Verständnis des Satzes schicke ich voraus, daß in
der Gesellschaftszwiebel die obere und die untere Mittelschicht mit und ^
bezeichnet werden, die höchste und die unterste Schicht mit und g): „Von
den elf Millionen Deutscher über fünfundzwanzig Jahren, welche das Reichs¬
tagswahlrecht besitzen, kommen etwa neun Millionen auf das Mittelgut der
Klassen L., a, L, d, aber mehr als 800000 Schwachbegabte der Klassen o und ä
stimmen ebenfalls mit und helfen mit ihrer Intelligenz das Schicksal des
Reiches lenken. Sie sind gerade ausreichend, um die höher Begabten lahm zu
legen, welche wegen der Symmetrie der Kurve die nämliche Zahl ausmachen."
Wir wollen nicht weiter dabei verweilen, daß „der Symmetrie der Kurve,"
d. h. einer durch willkürliche Anwendung der Kombinationslehre auf die Be¬
gabungen der Menschen gewonnenen Zahlenreihe, eine zwingende und gesetz¬
gebende Gewalt zugeschrieben wird; das haben wir abgemacht. Aber steht
denn die Sache so, daß unser Volk in zwei Parteien zerfiele, und die Schei¬
dungslinie irgendwo durch die Vegabungszwiebel quer durchginge, sodaß alle
Intelligenzen der einen, alle Dummköpfe der andern Partei zufielen, und die
Klugen von den Dummen überstimmt werden könnten? Sehn Sie uns doch
mal an, hat Windthorst einmal im Reichstage gerufen, sind wir denn gar so
dumm? Vielmehr verhält es sich so — es ist lächerlich, das am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts einer deutschen Intelligenz klar machen zu müssen —,
daß die Gründer und Führer aller Parteien gescheite Leute sind, und daß
ihnen allen sowohl mittelmäßige Ingenia wie Dummköpfe folgen. Was aber
die stillschweigende Voraussetzung anlangt, die gemacht werden muß, wenn
Ammons Theorie für die Zensuswahlen gegen die allgemeinen Wahlen etwas
beweisen soll, die Voraussetzung, daß die Jntelligenzklassen mit den Zensus¬
klassen zusammenfielen, so wollen wir sie mit einer Anekdote beleuchten. Zur
Zeit des Septenuatsstreits sitzen einige Herren in einer Weinstube beim Früh¬
schoppen und besprechen die brennende Frage des Tages. Endlich ruft der
Mittagstisch, und einer nach dem andern entfernt sich. Nur einer, der die
ganze Zeit über den Mund nicht aufgethan hat, und der offenbar etwas auf



-) In seiner letzten Session hat er es — mit 179 gegen 4» Stimmen — zum zehnten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/481>, abgerufen am 07.01.2025.