Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bellamys Gleichheit

eingewandt, daß sowohl die Peitsche, die die Massen an ihre Arbeit trieb: der
stets gegenwärtige Druck, die drohende Furcht vor Mangel, als auch der
Anreiz zu immer weiterer Produktion, der in dem Wunsche der Reichen lag,
immer reicher zu werden, unentbehrlich wären. Kein volkswirtschaftliches
System kann aber schlechter sein als eins, das nur durch den ewigen
Hunger des Volks in Gang gehalten wird. Daß die Reichen weiter arbeiten,
um noch reicher zu werden, ist kein Vorteil, sondern ein weiterer Nachteil,
denn reich wurde man nicht durch starke Gütererzeugung, sondern durch An¬
eignung der durch andre erzeugten Güter; daß mau andrer Leute Produkte
um sich raffte, daß mau ihren Unternehmungen ein Bein stellte, das allein
waren die leichten, schnell zum Ziel führenden, königlichen Wege zum Reichtum,
und dadurch konnte der Gesamtwohlstand natürlich nicht um das mindeste
erhöht werden. Bei der wirtschaftlichen Gleichheit stellte sich bald heraus, daß
Selbstachtung, Anspruch auf die Achtung andrer, Stolz auf Leistungen, Ehrgeiz
nach Rang und Führerschaft, kurz, die innern Antriebe viel wirksamer waren. Dazu
kam die Kontrolle der Mitarbeiter, die Einzelne, denen die Faulheit angeboren war,
viel wirksamer als die Kontrolle bezahlter Aufseher zu dem nötigen Maß von Arbeit
zwang. "Früher war der Unternehmer der Feind aller, jetzt betrügt der Faule
nicht ihn, sondern jeden Mitarbeiter, und es wäre immer noch besser, sich
gleich aufzuhängen, als in den Ruf eiues Drückebergers zu kommen." Von
Malthus, der den Armen als den einzigen Weg, das Verhungern zu ver¬
meiden, empfohlen habe, nicht geboren zu werden, wird gesagt, daß der alte
Bursche der einzige nnter der ganzen Blase gewesen sei, der das "Profitshstem"
bis in die Wurzel erkannt und deshalb auch eingesehen habe, daß für diese
Wirtschaftsordnung und für die Menschheit nicht gleichzeitig Platz auf dieser
Erde sei. Nun habe er aber das "Profitshstem" als eine gottverorduete
Einrichtung verehrt, und so habe in seinem Geist auch kein Zweifel darüber
sein können, daß sich die Menschheit von der Erde wegzuscheren habe. Er habe
ans der Erde aus Gutherzigkeit eine Pestflagge gehißt als Warnung für alle
Seelen im Weltall, etwa auf diesem Planeten zu landen. Ohne das "Profit¬
system" ist aber keine Gefahr vorhanden, daß Mangel entstehen könnte: schon
Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Produktion praktisch nur dnrch
den Konsum beschränkt. Schon die Produktion jener Tage, verkrüppelt und
gelähmt, wie sie durch den Privatkapitalismus war, hätte das vielfache von
dem leisten können, was sie leistete. Den damaligen Volkswirtschaftern schon
war es eine Binsenwahrheit (trui8in), daß einer der Kulturstaaten allein den
Bedarf der ganzen Welt hätte decken können. Und daß nunmehr die Frage
des Kinderkriegens (vliilä do^ring) nicht mehr ausschließlich von dem Geschlecht
geregelt wird, das die Kiuder nicht kriegt Mo non etülcl bökU'inA fox), daß
alle nunmehr so leben, wie früher die sogenannten bessern Klassen lebte", hat
die Erscheinungen allgemein gemacht, die man innerhalb dieser Klassen schon


Bellamys Gleichheit

eingewandt, daß sowohl die Peitsche, die die Massen an ihre Arbeit trieb: der
stets gegenwärtige Druck, die drohende Furcht vor Mangel, als auch der
Anreiz zu immer weiterer Produktion, der in dem Wunsche der Reichen lag,
immer reicher zu werden, unentbehrlich wären. Kein volkswirtschaftliches
System kann aber schlechter sein als eins, das nur durch den ewigen
Hunger des Volks in Gang gehalten wird. Daß die Reichen weiter arbeiten,
um noch reicher zu werden, ist kein Vorteil, sondern ein weiterer Nachteil,
denn reich wurde man nicht durch starke Gütererzeugung, sondern durch An¬
eignung der durch andre erzeugten Güter; daß mau andrer Leute Produkte
um sich raffte, daß mau ihren Unternehmungen ein Bein stellte, das allein
waren die leichten, schnell zum Ziel führenden, königlichen Wege zum Reichtum,
und dadurch konnte der Gesamtwohlstand natürlich nicht um das mindeste
erhöht werden. Bei der wirtschaftlichen Gleichheit stellte sich bald heraus, daß
Selbstachtung, Anspruch auf die Achtung andrer, Stolz auf Leistungen, Ehrgeiz
nach Rang und Führerschaft, kurz, die innern Antriebe viel wirksamer waren. Dazu
kam die Kontrolle der Mitarbeiter, die Einzelne, denen die Faulheit angeboren war,
viel wirksamer als die Kontrolle bezahlter Aufseher zu dem nötigen Maß von Arbeit
zwang. „Früher war der Unternehmer der Feind aller, jetzt betrügt der Faule
nicht ihn, sondern jeden Mitarbeiter, und es wäre immer noch besser, sich
gleich aufzuhängen, als in den Ruf eiues Drückebergers zu kommen." Von
Malthus, der den Armen als den einzigen Weg, das Verhungern zu ver¬
meiden, empfohlen habe, nicht geboren zu werden, wird gesagt, daß der alte
Bursche der einzige nnter der ganzen Blase gewesen sei, der das „Profitshstem"
bis in die Wurzel erkannt und deshalb auch eingesehen habe, daß für diese
Wirtschaftsordnung und für die Menschheit nicht gleichzeitig Platz auf dieser
Erde sei. Nun habe er aber das „Profitshstem" als eine gottverorduete
Einrichtung verehrt, und so habe in seinem Geist auch kein Zweifel darüber
sein können, daß sich die Menschheit von der Erde wegzuscheren habe. Er habe
ans der Erde aus Gutherzigkeit eine Pestflagge gehißt als Warnung für alle
Seelen im Weltall, etwa auf diesem Planeten zu landen. Ohne das „Profit¬
system" ist aber keine Gefahr vorhanden, daß Mangel entstehen könnte: schon
Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Produktion praktisch nur dnrch
den Konsum beschränkt. Schon die Produktion jener Tage, verkrüppelt und
gelähmt, wie sie durch den Privatkapitalismus war, hätte das vielfache von
dem leisten können, was sie leistete. Den damaligen Volkswirtschaftern schon
war es eine Binsenwahrheit (trui8in), daß einer der Kulturstaaten allein den
Bedarf der ganzen Welt hätte decken können. Und daß nunmehr die Frage
des Kinderkriegens (vliilä do^ring) nicht mehr ausschließlich von dem Geschlecht
geregelt wird, das die Kiuder nicht kriegt Mo non etülcl bökU'inA fox), daß
alle nunmehr so leben, wie früher die sogenannten bessern Klassen lebte», hat
die Erscheinungen allgemein gemacht, die man innerhalb dieser Klassen schon


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227342"/>
          <fw type="header" place="top"> Bellamys Gleichheit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1558" prev="#ID_1557" next="#ID_1559"> eingewandt, daß sowohl die Peitsche, die die Massen an ihre Arbeit trieb: der<lb/>
stets gegenwärtige Druck, die drohende Furcht vor Mangel, als auch der<lb/>
Anreiz zu immer weiterer Produktion, der in dem Wunsche der Reichen lag,<lb/>
immer reicher zu werden, unentbehrlich wären. Kein volkswirtschaftliches<lb/>
System kann aber schlechter sein als eins, das nur durch den ewigen<lb/>
Hunger des Volks in Gang gehalten wird. Daß die Reichen weiter arbeiten,<lb/>
um noch reicher zu werden, ist kein Vorteil, sondern ein weiterer Nachteil,<lb/>
denn reich wurde man nicht durch starke Gütererzeugung, sondern durch An¬<lb/>
eignung der durch andre erzeugten Güter; daß mau andrer Leute Produkte<lb/>
um sich raffte, daß mau ihren Unternehmungen ein Bein stellte, das allein<lb/>
waren die leichten, schnell zum Ziel führenden, königlichen Wege zum Reichtum,<lb/>
und dadurch konnte der Gesamtwohlstand natürlich nicht um das mindeste<lb/>
erhöht werden. Bei der wirtschaftlichen Gleichheit stellte sich bald heraus, daß<lb/>
Selbstachtung, Anspruch auf die Achtung andrer, Stolz auf Leistungen, Ehrgeiz<lb/>
nach Rang und Führerschaft, kurz, die innern Antriebe viel wirksamer waren. Dazu<lb/>
kam die Kontrolle der Mitarbeiter, die Einzelne, denen die Faulheit angeboren war,<lb/>
viel wirksamer als die Kontrolle bezahlter Aufseher zu dem nötigen Maß von Arbeit<lb/>
zwang. &#x201E;Früher war der Unternehmer der Feind aller, jetzt betrügt der Faule<lb/>
nicht ihn, sondern jeden Mitarbeiter, und es wäre immer noch besser, sich<lb/>
gleich aufzuhängen, als in den Ruf eiues Drückebergers zu kommen." Von<lb/>
Malthus, der den Armen als den einzigen Weg, das Verhungern zu ver¬<lb/>
meiden, empfohlen habe, nicht geboren zu werden, wird gesagt, daß der alte<lb/>
Bursche der einzige nnter der ganzen Blase gewesen sei, der das &#x201E;Profitshstem"<lb/>
bis in die Wurzel erkannt und deshalb auch eingesehen habe, daß für diese<lb/>
Wirtschaftsordnung und für die Menschheit nicht gleichzeitig Platz auf dieser<lb/>
Erde sei. Nun habe er aber das &#x201E;Profitshstem" als eine gottverorduete<lb/>
Einrichtung verehrt, und so habe in seinem Geist auch kein Zweifel darüber<lb/>
sein können, daß sich die Menschheit von der Erde wegzuscheren habe. Er habe<lb/>
ans der Erde aus Gutherzigkeit eine Pestflagge gehißt als Warnung für alle<lb/>
Seelen im Weltall, etwa auf diesem Planeten zu landen. Ohne das &#x201E;Profit¬<lb/>
system" ist aber keine Gefahr vorhanden, daß Mangel entstehen könnte: schon<lb/>
Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Produktion praktisch nur dnrch<lb/>
den Konsum beschränkt. Schon die Produktion jener Tage, verkrüppelt und<lb/>
gelähmt, wie sie durch den Privatkapitalismus war, hätte das vielfache von<lb/>
dem leisten können, was sie leistete. Den damaligen Volkswirtschaftern schon<lb/>
war es eine Binsenwahrheit (trui8in), daß einer der Kulturstaaten allein den<lb/>
Bedarf der ganzen Welt hätte decken können. Und daß nunmehr die Frage<lb/>
des Kinderkriegens (vliilä do^ring) nicht mehr ausschließlich von dem Geschlecht<lb/>
geregelt wird, das die Kiuder nicht kriegt Mo non etülcl bökU'inA fox), daß<lb/>
alle nunmehr so leben, wie früher die sogenannten bessern Klassen lebte», hat<lb/>
die Erscheinungen allgemein gemacht, die man innerhalb dieser Klassen schon</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] Bellamys Gleichheit eingewandt, daß sowohl die Peitsche, die die Massen an ihre Arbeit trieb: der stets gegenwärtige Druck, die drohende Furcht vor Mangel, als auch der Anreiz zu immer weiterer Produktion, der in dem Wunsche der Reichen lag, immer reicher zu werden, unentbehrlich wären. Kein volkswirtschaftliches System kann aber schlechter sein als eins, das nur durch den ewigen Hunger des Volks in Gang gehalten wird. Daß die Reichen weiter arbeiten, um noch reicher zu werden, ist kein Vorteil, sondern ein weiterer Nachteil, denn reich wurde man nicht durch starke Gütererzeugung, sondern durch An¬ eignung der durch andre erzeugten Güter; daß mau andrer Leute Produkte um sich raffte, daß mau ihren Unternehmungen ein Bein stellte, das allein waren die leichten, schnell zum Ziel führenden, königlichen Wege zum Reichtum, und dadurch konnte der Gesamtwohlstand natürlich nicht um das mindeste erhöht werden. Bei der wirtschaftlichen Gleichheit stellte sich bald heraus, daß Selbstachtung, Anspruch auf die Achtung andrer, Stolz auf Leistungen, Ehrgeiz nach Rang und Führerschaft, kurz, die innern Antriebe viel wirksamer waren. Dazu kam die Kontrolle der Mitarbeiter, die Einzelne, denen die Faulheit angeboren war, viel wirksamer als die Kontrolle bezahlter Aufseher zu dem nötigen Maß von Arbeit zwang. „Früher war der Unternehmer der Feind aller, jetzt betrügt der Faule nicht ihn, sondern jeden Mitarbeiter, und es wäre immer noch besser, sich gleich aufzuhängen, als in den Ruf eiues Drückebergers zu kommen." Von Malthus, der den Armen als den einzigen Weg, das Verhungern zu ver¬ meiden, empfohlen habe, nicht geboren zu werden, wird gesagt, daß der alte Bursche der einzige nnter der ganzen Blase gewesen sei, der das „Profitshstem" bis in die Wurzel erkannt und deshalb auch eingesehen habe, daß für diese Wirtschaftsordnung und für die Menschheit nicht gleichzeitig Platz auf dieser Erde sei. Nun habe er aber das „Profitshstem" als eine gottverorduete Einrichtung verehrt, und so habe in seinem Geist auch kein Zweifel darüber sein können, daß sich die Menschheit von der Erde wegzuscheren habe. Er habe ans der Erde aus Gutherzigkeit eine Pestflagge gehißt als Warnung für alle Seelen im Weltall, etwa auf diesem Planeten zu landen. Ohne das „Profit¬ system" ist aber keine Gefahr vorhanden, daß Mangel entstehen könnte: schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Produktion praktisch nur dnrch den Konsum beschränkt. Schon die Produktion jener Tage, verkrüppelt und gelähmt, wie sie durch den Privatkapitalismus war, hätte das vielfache von dem leisten können, was sie leistete. Den damaligen Volkswirtschaftern schon war es eine Binsenwahrheit (trui8in), daß einer der Kulturstaaten allein den Bedarf der ganzen Welt hätte decken können. Und daß nunmehr die Frage des Kinderkriegens (vliilä do^ring) nicht mehr ausschließlich von dem Geschlecht geregelt wird, das die Kiuder nicht kriegt Mo non etülcl bökU'inA fox), daß alle nunmehr so leben, wie früher die sogenannten bessern Klassen lebte», hat die Erscheinungen allgemein gemacht, die man innerhalb dieser Klassen schon

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/440>, abgerufen am 09.01.2025.