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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Bellamys Gleichheit

gefehlet und ihre Niederlage allgemein bejauchzt werden würde; sie fochten zu¬
nächst für sich und ihre Nächsten, und doch kämpften sie den Kampf der Mensch¬
lichkeit und der Nachwelt. Sie richteten ihre Streiche, so gut sie konnten, und
während noch niemand anders einen Streich wagte gegen das wirtschaftliche
System, das die Welt bei der Gurgel hatte. Dafür ehren wir sie und bringen
unsre Kinder hierher, damit sie in Dankbarkeit die rauhbeschnhten Füße derer
küssen können, die für uns den Weg bahnten, die wie Winkelried der Freiheit
eine Gasse machten und starben.

Die neue Gesellschaftsordnung wägt Bellamh gegen die alte mit ihrem
""begrenzten Privateige"t"msrecht an der Oberfläche der Erde "ut allen ihren
Hilfsquellen, bei der Kauf fast die ausschließliche Beziehung der Einzelnen
unter einander und die Grundlage aller Erzeugung und Verteilung der Güter
war, in der Weise gegen einander ab, daß er Dr. Leete und Julian West an
einem Examen, das reifere Schüler und Schülerinnen über ökonomische Fragen
in der Arlingtonschule ablegen, elektrvskopisch teilnehmen, und daß er sie ferner
über ein Buch sprechen läßt, das ein gewisser Kenloe kurz nach dem Siege
der Revolution, also zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben hat.
Die Prediger nämlich, die Lehrer, die Schriftsteller, die gegen die Umwälzung
gepredigt, gelehrt und geschrieben hatten, waren nun am lautesten in ihrem
Lobe und wünschten nichts so sehr, als daß ihre frühere Weisheit in Vergessen¬
heit geraten möchte. Kenloe aber wollte in seinem harten Gerechtigkeitssinn
nicht zulassen, daß sie vergessen würde, und so hat er sich denn die Mühe
gemacht, aus Predigtsammlnngen, wissenschaftlichen Werken, Parlamentsberichten
alles zu sammeln, was man gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen Gleich¬
heit eingewandt hatte, und zwar boshafterweise mit genauen Quellenangaben,
mit Daten, Belegen und Namen der Gegner. Als das Buch fertig war, nannte
er es das Buch der Blinden.

In der Arlingtonschule wird die alte Wirtschaftsordnung der Kürze wegen
immer das "Profitsystem" oder der "Privatkapitalismus" genannt. Daß man
das Eigentumsrecht abgeschafft habe, wird bestritten, es wird vielmehr be¬
hauptet, daß die große Umwälzung das Eigentum gerade vor den Privat¬
monopolen der großen Aufhänger geschützt habe. Die an West gerichtete Frage:
Sind ein unbegrenzter Besitz an Kunstwerken, Einrichtnngsgegenständen, Büchern,
Schriften usw. und ein jährliches, unbedingt sichres Einkommen von dreißig-
tausend Mark kein Eigentum? kann ja der junge Herr auch nicht gut mit
"Nein" beantworten. Die Schüler und Schülerinnen überzeugen nun West,
von dessen Zuhörerschaft sie keine Ahnung haben, auch theoretisch von der
unendlichen Überlegenheit der neuen Ordnung. Er erkennt, wie der Geschäfts¬
nutzen den Konsum verkrüppeln und allmählich eine todbringende Kluft zwischen
Produktion und Konsum erzeugen mußte, begreift, was eigentlich schon der
Ausdruck "Überproduktion" für ein Unsinn gewesen ist, wie der Wettbewerb


Bellamys Gleichheit

gefehlet und ihre Niederlage allgemein bejauchzt werden würde; sie fochten zu¬
nächst für sich und ihre Nächsten, und doch kämpften sie den Kampf der Mensch¬
lichkeit und der Nachwelt. Sie richteten ihre Streiche, so gut sie konnten, und
während noch niemand anders einen Streich wagte gegen das wirtschaftliche
System, das die Welt bei der Gurgel hatte. Dafür ehren wir sie und bringen
unsre Kinder hierher, damit sie in Dankbarkeit die rauhbeschnhten Füße derer
küssen können, die für uns den Weg bahnten, die wie Winkelried der Freiheit
eine Gasse machten und starben.

Die neue Gesellschaftsordnung wägt Bellamh gegen die alte mit ihrem
»»begrenzten Privateige»t»msrecht an der Oberfläche der Erde »ut allen ihren
Hilfsquellen, bei der Kauf fast die ausschließliche Beziehung der Einzelnen
unter einander und die Grundlage aller Erzeugung und Verteilung der Güter
war, in der Weise gegen einander ab, daß er Dr. Leete und Julian West an
einem Examen, das reifere Schüler und Schülerinnen über ökonomische Fragen
in der Arlingtonschule ablegen, elektrvskopisch teilnehmen, und daß er sie ferner
über ein Buch sprechen läßt, das ein gewisser Kenloe kurz nach dem Siege
der Revolution, also zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben hat.
Die Prediger nämlich, die Lehrer, die Schriftsteller, die gegen die Umwälzung
gepredigt, gelehrt und geschrieben hatten, waren nun am lautesten in ihrem
Lobe und wünschten nichts so sehr, als daß ihre frühere Weisheit in Vergessen¬
heit geraten möchte. Kenloe aber wollte in seinem harten Gerechtigkeitssinn
nicht zulassen, daß sie vergessen würde, und so hat er sich denn die Mühe
gemacht, aus Predigtsammlnngen, wissenschaftlichen Werken, Parlamentsberichten
alles zu sammeln, was man gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen Gleich¬
heit eingewandt hatte, und zwar boshafterweise mit genauen Quellenangaben,
mit Daten, Belegen und Namen der Gegner. Als das Buch fertig war, nannte
er es das Buch der Blinden.

In der Arlingtonschule wird die alte Wirtschaftsordnung der Kürze wegen
immer das „Profitsystem" oder der „Privatkapitalismus" genannt. Daß man
das Eigentumsrecht abgeschafft habe, wird bestritten, es wird vielmehr be¬
hauptet, daß die große Umwälzung das Eigentum gerade vor den Privat¬
monopolen der großen Aufhänger geschützt habe. Die an West gerichtete Frage:
Sind ein unbegrenzter Besitz an Kunstwerken, Einrichtnngsgegenständen, Büchern,
Schriften usw. und ein jährliches, unbedingt sichres Einkommen von dreißig-
tausend Mark kein Eigentum? kann ja der junge Herr auch nicht gut mit
„Nein" beantworten. Die Schüler und Schülerinnen überzeugen nun West,
von dessen Zuhörerschaft sie keine Ahnung haben, auch theoretisch von der
unendlichen Überlegenheit der neuen Ordnung. Er erkennt, wie der Geschäfts¬
nutzen den Konsum verkrüppeln und allmählich eine todbringende Kluft zwischen
Produktion und Konsum erzeugen mußte, begreift, was eigentlich schon der
Ausdruck „Überproduktion" für ein Unsinn gewesen ist, wie der Wettbewerb


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[0438] Bellamys Gleichheit gefehlet und ihre Niederlage allgemein bejauchzt werden würde; sie fochten zu¬ nächst für sich und ihre Nächsten, und doch kämpften sie den Kampf der Mensch¬ lichkeit und der Nachwelt. Sie richteten ihre Streiche, so gut sie konnten, und während noch niemand anders einen Streich wagte gegen das wirtschaftliche System, das die Welt bei der Gurgel hatte. Dafür ehren wir sie und bringen unsre Kinder hierher, damit sie in Dankbarkeit die rauhbeschnhten Füße derer küssen können, die für uns den Weg bahnten, die wie Winkelried der Freiheit eine Gasse machten und starben. Die neue Gesellschaftsordnung wägt Bellamh gegen die alte mit ihrem »»begrenzten Privateige»t»msrecht an der Oberfläche der Erde »ut allen ihren Hilfsquellen, bei der Kauf fast die ausschließliche Beziehung der Einzelnen unter einander und die Grundlage aller Erzeugung und Verteilung der Güter war, in der Weise gegen einander ab, daß er Dr. Leete und Julian West an einem Examen, das reifere Schüler und Schülerinnen über ökonomische Fragen in der Arlingtonschule ablegen, elektrvskopisch teilnehmen, und daß er sie ferner über ein Buch sprechen läßt, das ein gewisser Kenloe kurz nach dem Siege der Revolution, also zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben hat. Die Prediger nämlich, die Lehrer, die Schriftsteller, die gegen die Umwälzung gepredigt, gelehrt und geschrieben hatten, waren nun am lautesten in ihrem Lobe und wünschten nichts so sehr, als daß ihre frühere Weisheit in Vergessen¬ heit geraten möchte. Kenloe aber wollte in seinem harten Gerechtigkeitssinn nicht zulassen, daß sie vergessen würde, und so hat er sich denn die Mühe gemacht, aus Predigtsammlnngen, wissenschaftlichen Werken, Parlamentsberichten alles zu sammeln, was man gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen Gleich¬ heit eingewandt hatte, und zwar boshafterweise mit genauen Quellenangaben, mit Daten, Belegen und Namen der Gegner. Als das Buch fertig war, nannte er es das Buch der Blinden. In der Arlingtonschule wird die alte Wirtschaftsordnung der Kürze wegen immer das „Profitsystem" oder der „Privatkapitalismus" genannt. Daß man das Eigentumsrecht abgeschafft habe, wird bestritten, es wird vielmehr be¬ hauptet, daß die große Umwälzung das Eigentum gerade vor den Privat¬ monopolen der großen Aufhänger geschützt habe. Die an West gerichtete Frage: Sind ein unbegrenzter Besitz an Kunstwerken, Einrichtnngsgegenständen, Büchern, Schriften usw. und ein jährliches, unbedingt sichres Einkommen von dreißig- tausend Mark kein Eigentum? kann ja der junge Herr auch nicht gut mit „Nein" beantworten. Die Schüler und Schülerinnen überzeugen nun West, von dessen Zuhörerschaft sie keine Ahnung haben, auch theoretisch von der unendlichen Überlegenheit der neuen Ordnung. Er erkennt, wie der Geschäfts¬ nutzen den Konsum verkrüppeln und allmählich eine todbringende Kluft zwischen Produktion und Konsum erzeugen mußte, begreift, was eigentlich schon der Ausdruck „Überproduktion" für ein Unsinn gewesen ist, wie der Wettbewerb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/438>, abgerufen am 08.01.2025.