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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Budgetrecht und Flottengesetz

beigegebnen Motive stellen folgende Forderungen an die deutsche Kriegsmarine:
1. Schutz und Vertretung des Seehandels auf allen Meeren; 2. Verteidigung der
vaterländischen Küsten; 3. Entwicklung des eignen Offensivvermvgens.

Im Gegensatz zur Behauptung des Herrn Richter und der "Freisinnigen
Zeitung" heißt es dann:

Der darauf gegründete sogenannte Flottengründungsplan fand damals die Zu¬
stimmung des Bundesrath und des Reichstags, die daraus entspringenden Be¬
dürfnisse wurden bewilligt, und die deutsche Marineverwaltung schritt zu dessen
Ausführung. Die unter dem 6. Mai v. I. (1872) dem Reichstage vorgelegte
Denkschrift führte aber aus, daß die damals bewilligten Mittel nicht mehr hin¬
reichten, das 1867 gesteckte Ziel zu gewinnen, sondern daß sich zu diesem Zweck
ein Mehrbedarf von rund 35 Millionen ergebe. >

Die 1867 mitbeschlossenen Motive waren also das Fundament für die
Flottenerweiterung, ohne das jenes Gesetz überhaupt in der Luft geschwebt hätte.
Denn das Gesetz selbst bezweckte eben nur die Sicherstellung außerordentlicher
Geldmittel zu der in den Motiven vorgezeichneten Entwicklung der Marine
im Wege der Anleihe, insoweit sie nicht während der nächsten Jahre nach den
Bestimmungen des Artikels 70 der Verfassung, also aus Überschüssen gemein¬
schaftlicher Einnahmen und aus Matrikularbeitrcigen, aufgebracht werden würden.

Aus diesen aktenmäßig feststehenden Thatsachen geht klar hervor, daß alle
gesetzgebenden Mächte des Norddeutschen Bundes und des Reichs von 1867
bis 1873 nie darüber im Zweifel gewesen sind, daß der Flottengründungsplan
von 1867 die verfassungsmüßige Zustimmung des Bundesrath und des Reichs¬
tags des Norddeutschen Bundes gefunden hatte, und daß hieraus von allen
Seiten die weitern gesetzlichen und administrativen Folgen gezogen worden
sind. Bezeichnend ist auch, daß bei den Beratungen über die Reichsverfassung
kein Versuch gemacht worden ist, die heute umstrittenen Bestimmungen der Nord¬
deutschen Bundesverfassung vor ihrer Übernahme auf das Reich abzuändern.
Es ist nicht anzunehmen, daß bei einer tiefgehenden Meinungsverschiedenheit
über die Auslegung und bisherige praktische Anwendung des verfassungs¬
müßigen Budgetrechts die gebotene Gelegenheit zu einem Nevisionsversuchc
verabsäumt worden wäre. Jedenfalls stimmen die betreffenden Artikel in
beiden Verfassungen wörtlich miteinander überein.

Somit steht fest, daß im Jahre 1867 der Reichstag des Norddeutschen
Bundes sich und seine Rechtsnachfolger mit vollem Bewußtsein gebunden hatte,
sür eine Zeit von zehn Jahren der Marineverwaltung die Mittel zur Ausführung
des in den Motiven zu dem Gesetz vom 9. November 1867 niedergelegten
Flottengründungsplanes zu bewilligen, und zwar in der darin annähernd ge¬
schätzten Höhe zunächst im Rahmen der jährlichen Etats und zuschußweise im
Wege entsprechender Anleihequoten. Als die sich seit 1867 allmählich steigernden
Kosten für den Schiffsbau eine Erhöhung der ursprünglich geschätzten Bau-


Budgetrecht und Flottengesetz

beigegebnen Motive stellen folgende Forderungen an die deutsche Kriegsmarine:
1. Schutz und Vertretung des Seehandels auf allen Meeren; 2. Verteidigung der
vaterländischen Küsten; 3. Entwicklung des eignen Offensivvermvgens.

Im Gegensatz zur Behauptung des Herrn Richter und der „Freisinnigen
Zeitung" heißt es dann:

Der darauf gegründete sogenannte Flottengründungsplan fand damals die Zu¬
stimmung des Bundesrath und des Reichstags, die daraus entspringenden Be¬
dürfnisse wurden bewilligt, und die deutsche Marineverwaltung schritt zu dessen
Ausführung. Die unter dem 6. Mai v. I. (1872) dem Reichstage vorgelegte
Denkschrift führte aber aus, daß die damals bewilligten Mittel nicht mehr hin¬
reichten, das 1867 gesteckte Ziel zu gewinnen, sondern daß sich zu diesem Zweck
ein Mehrbedarf von rund 35 Millionen ergebe. >

Die 1867 mitbeschlossenen Motive waren also das Fundament für die
Flottenerweiterung, ohne das jenes Gesetz überhaupt in der Luft geschwebt hätte.
Denn das Gesetz selbst bezweckte eben nur die Sicherstellung außerordentlicher
Geldmittel zu der in den Motiven vorgezeichneten Entwicklung der Marine
im Wege der Anleihe, insoweit sie nicht während der nächsten Jahre nach den
Bestimmungen des Artikels 70 der Verfassung, also aus Überschüssen gemein¬
schaftlicher Einnahmen und aus Matrikularbeitrcigen, aufgebracht werden würden.

Aus diesen aktenmäßig feststehenden Thatsachen geht klar hervor, daß alle
gesetzgebenden Mächte des Norddeutschen Bundes und des Reichs von 1867
bis 1873 nie darüber im Zweifel gewesen sind, daß der Flottengründungsplan
von 1867 die verfassungsmüßige Zustimmung des Bundesrath und des Reichs¬
tags des Norddeutschen Bundes gefunden hatte, und daß hieraus von allen
Seiten die weitern gesetzlichen und administrativen Folgen gezogen worden
sind. Bezeichnend ist auch, daß bei den Beratungen über die Reichsverfassung
kein Versuch gemacht worden ist, die heute umstrittenen Bestimmungen der Nord¬
deutschen Bundesverfassung vor ihrer Übernahme auf das Reich abzuändern.
Es ist nicht anzunehmen, daß bei einer tiefgehenden Meinungsverschiedenheit
über die Auslegung und bisherige praktische Anwendung des verfassungs¬
müßigen Budgetrechts die gebotene Gelegenheit zu einem Nevisionsversuchc
verabsäumt worden wäre. Jedenfalls stimmen die betreffenden Artikel in
beiden Verfassungen wörtlich miteinander überein.

Somit steht fest, daß im Jahre 1867 der Reichstag des Norddeutschen
Bundes sich und seine Rechtsnachfolger mit vollem Bewußtsein gebunden hatte,
sür eine Zeit von zehn Jahren der Marineverwaltung die Mittel zur Ausführung
des in den Motiven zu dem Gesetz vom 9. November 1867 niedergelegten
Flottengründungsplanes zu bewilligen, und zwar in der darin annähernd ge¬
schätzten Höhe zunächst im Rahmen der jährlichen Etats und zuschußweise im
Wege entsprechender Anleihequoten. Als die sich seit 1867 allmählich steigernden
Kosten für den Schiffsbau eine Erhöhung der ursprünglich geschätzten Bau-


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[0383] Budgetrecht und Flottengesetz beigegebnen Motive stellen folgende Forderungen an die deutsche Kriegsmarine: 1. Schutz und Vertretung des Seehandels auf allen Meeren; 2. Verteidigung der vaterländischen Küsten; 3. Entwicklung des eignen Offensivvermvgens. Im Gegensatz zur Behauptung des Herrn Richter und der „Freisinnigen Zeitung" heißt es dann: Der darauf gegründete sogenannte Flottengründungsplan fand damals die Zu¬ stimmung des Bundesrath und des Reichstags, die daraus entspringenden Be¬ dürfnisse wurden bewilligt, und die deutsche Marineverwaltung schritt zu dessen Ausführung. Die unter dem 6. Mai v. I. (1872) dem Reichstage vorgelegte Denkschrift führte aber aus, daß die damals bewilligten Mittel nicht mehr hin¬ reichten, das 1867 gesteckte Ziel zu gewinnen, sondern daß sich zu diesem Zweck ein Mehrbedarf von rund 35 Millionen ergebe. > Die 1867 mitbeschlossenen Motive waren also das Fundament für die Flottenerweiterung, ohne das jenes Gesetz überhaupt in der Luft geschwebt hätte. Denn das Gesetz selbst bezweckte eben nur die Sicherstellung außerordentlicher Geldmittel zu der in den Motiven vorgezeichneten Entwicklung der Marine im Wege der Anleihe, insoweit sie nicht während der nächsten Jahre nach den Bestimmungen des Artikels 70 der Verfassung, also aus Überschüssen gemein¬ schaftlicher Einnahmen und aus Matrikularbeitrcigen, aufgebracht werden würden. Aus diesen aktenmäßig feststehenden Thatsachen geht klar hervor, daß alle gesetzgebenden Mächte des Norddeutschen Bundes und des Reichs von 1867 bis 1873 nie darüber im Zweifel gewesen sind, daß der Flottengründungsplan von 1867 die verfassungsmüßige Zustimmung des Bundesrath und des Reichs¬ tags des Norddeutschen Bundes gefunden hatte, und daß hieraus von allen Seiten die weitern gesetzlichen und administrativen Folgen gezogen worden sind. Bezeichnend ist auch, daß bei den Beratungen über die Reichsverfassung kein Versuch gemacht worden ist, die heute umstrittenen Bestimmungen der Nord¬ deutschen Bundesverfassung vor ihrer Übernahme auf das Reich abzuändern. Es ist nicht anzunehmen, daß bei einer tiefgehenden Meinungsverschiedenheit über die Auslegung und bisherige praktische Anwendung des verfassungs¬ müßigen Budgetrechts die gebotene Gelegenheit zu einem Nevisionsversuchc verabsäumt worden wäre. Jedenfalls stimmen die betreffenden Artikel in beiden Verfassungen wörtlich miteinander überein. Somit steht fest, daß im Jahre 1867 der Reichstag des Norddeutschen Bundes sich und seine Rechtsnachfolger mit vollem Bewußtsein gebunden hatte, sür eine Zeit von zehn Jahren der Marineverwaltung die Mittel zur Ausführung des in den Motiven zu dem Gesetz vom 9. November 1867 niedergelegten Flottengründungsplanes zu bewilligen, und zwar in der darin annähernd ge¬ schätzten Höhe zunächst im Rahmen der jährlichen Etats und zuschußweise im Wege entsprechender Anleihequoten. Als die sich seit 1867 allmählich steigernden Kosten für den Schiffsbau eine Erhöhung der ursprünglich geschätzten Bau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/383>, abgerufen am 08.01.2025.