Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das deutsche Dorfwirtshaus dient namentlich wegen des günstigen Einflusses auf die Küche gelobt zu In der deutscheu "Trinkkemcnate" schwebt uns ein Ideal von gemütlicher Das deutsche Dorfwirtshaus dient namentlich wegen des günstigen Einflusses auf die Küche gelobt zu In der deutscheu „Trinkkemcnate" schwebt uns ein Ideal von gemütlicher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226939"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Dorfwirtshaus</fw><lb/> <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> dient namentlich wegen des günstigen Einflusses auf die Küche gelobt zu<lb/> werden. Der Gefahr eines allzu offnen Wortes setzt sich der Wirt daber<lb/> freilich aus, ebenso wie der Gast der einer etwas peinlichen Lage, wie ich sie<lb/> vor einigen Jahren einmal in Saalfeld erlebte. Dort sagte ich zum Wirt,<lb/> der geradeso aussah wie die andern Geschäftsreisenden, die da herum saßen:<lb/> Finden Sie es nicht eigentlich geschmacklos, ein Mittagessen aus fettem Rind¬<lb/> fleisch, Schweinsknochen und Gänsebraten zusammensetzen? Antwort: Ich bin<lb/> der Wirt. Mir ists ganz recht, wenn Sie einen Gang überschlagen, denn<lb/> andre essen für zwei. Unsern ländlichen Anschauungen entspricht es vielleicht<lb/> mehr, daß sich die Wirtin, wo sie überhaupt noch selbst kocht, in frischer weißer<lb/> Schürze und mit knchengerötetem Antlitz nach dem Appetit ihrer Gäste er¬<lb/> kundigt und freundliche Mienen und Worte gewissermaßen als letzten Gang<lb/> bietet. Dazu gehört freilich das gute Gewissen der ..perfekten" Köchin!</p><lb/> <p xml:id="ID_66" next="#ID_67"> In der deutscheu „Trinkkemcnate" schwebt uns ein Ideal von gemütlicher<lb/> Geselligkeit vor, wie es im deutscheu Mannesherzen lebt, und der Speisesaal<lb/> eines englischen Inn von gutem altem Schlag kommt dein seinen Behagen<lb/> des englischen Innenlebens so nahe wie möglich. Es kann und soll jn nicht<lb/> anders sein, als daß das beste Wirtshaus uoch tief unter einem guten „Heim"<lb/> steht. Aber wie groß ist auf der andern Seite die Zahl derer, die in ihren<lb/> engen, dumpfen Räumen nie das Behagen finden, das ihnen schon eine Bier¬<lb/> stube niedern Ranges bietet! Die Schöpfung von Vierpalästen, die die äußern<lb/> Bilder unsrer Städte so sehr beeinflußt, führt dem Leben weiter Kreise einen<lb/> Strom von Behagen zu, in dem manchmal auch feinere ästhetische Genüsse<lb/> sind. Als sich die bairischen Bierkeller nach Franken und an den Oberrhein<lb/> ausbreiteten — es war vor etwa vierzig Jahren —, da wurde das Leben<lb/> der Kleinstädter bereichert; sie ließen sich um an schönen Sommerabenden mit<lb/> ihren Frauen unter dem künftigen Schatten junger Roßkastanien nieder.<lb/> Glücklicherweise hatten die Nachahmer den Baiern auch den feinen landschaft¬<lb/> lichen Sinn abgeguckt, mit dem diese ihre ..Keller" um herrlichen Aussichts¬<lb/> punkten anzulegen pflegen. Der Spießbürger wunderte sich, indem er sem<lb/> Bier trank, nicht nur über die merklich bessere Verwertung des trefflichen<lb/> Schwetzinger oder Hcigenauer Hopfens, die die bairische Schule eingeführt<lb/> hatte, sondern auch über die Reize seiner Landschaft, die ihm nie so schön vor¬<lb/> gekommen war. Nicht überall giebt es freilich eine so schöne Lage, wie in Traun-<lb/> stein. wo mir von meinem Gastfreund der Kvllerkeller als der schönste Keller<lb/> Europa gerühmt wurde. Der Blick auf die Berge von Rnhpold.ng ist<lb/> allerdings wundervoll, besonders wenn er mit dem Blick auf einen vollen Maß-<lb/> krug abwechseln kann. Wären nicht einige leichte Schatten, die diese beliebten<lb/> Vierhügel über die Städte und Städtchen hinwerfen, wo die Leute um<lb/> so anspruchsloser wohnen, je näher und billiger sie diesen gemeinsamen Er¬<lb/> holungsplatz haben, so möchte man von dem „Bierkeller als ^-ahnte des<lb/> Naturgenusses" mit ungemischtem Behagen sprechen. Auch bin ich bereit,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
Das deutsche Dorfwirtshaus
dient namentlich wegen des günstigen Einflusses auf die Küche gelobt zu
werden. Der Gefahr eines allzu offnen Wortes setzt sich der Wirt daber
freilich aus, ebenso wie der Gast der einer etwas peinlichen Lage, wie ich sie
vor einigen Jahren einmal in Saalfeld erlebte. Dort sagte ich zum Wirt,
der geradeso aussah wie die andern Geschäftsreisenden, die da herum saßen:
Finden Sie es nicht eigentlich geschmacklos, ein Mittagessen aus fettem Rind¬
fleisch, Schweinsknochen und Gänsebraten zusammensetzen? Antwort: Ich bin
der Wirt. Mir ists ganz recht, wenn Sie einen Gang überschlagen, denn
andre essen für zwei. Unsern ländlichen Anschauungen entspricht es vielleicht
mehr, daß sich die Wirtin, wo sie überhaupt noch selbst kocht, in frischer weißer
Schürze und mit knchengerötetem Antlitz nach dem Appetit ihrer Gäste er¬
kundigt und freundliche Mienen und Worte gewissermaßen als letzten Gang
bietet. Dazu gehört freilich das gute Gewissen der ..perfekten" Köchin!
In der deutscheu „Trinkkemcnate" schwebt uns ein Ideal von gemütlicher
Geselligkeit vor, wie es im deutscheu Mannesherzen lebt, und der Speisesaal
eines englischen Inn von gutem altem Schlag kommt dein seinen Behagen
des englischen Innenlebens so nahe wie möglich. Es kann und soll jn nicht
anders sein, als daß das beste Wirtshaus uoch tief unter einem guten „Heim"
steht. Aber wie groß ist auf der andern Seite die Zahl derer, die in ihren
engen, dumpfen Räumen nie das Behagen finden, das ihnen schon eine Bier¬
stube niedern Ranges bietet! Die Schöpfung von Vierpalästen, die die äußern
Bilder unsrer Städte so sehr beeinflußt, führt dem Leben weiter Kreise einen
Strom von Behagen zu, in dem manchmal auch feinere ästhetische Genüsse
sind. Als sich die bairischen Bierkeller nach Franken und an den Oberrhein
ausbreiteten — es war vor etwa vierzig Jahren —, da wurde das Leben
der Kleinstädter bereichert; sie ließen sich um an schönen Sommerabenden mit
ihren Frauen unter dem künftigen Schatten junger Roßkastanien nieder.
Glücklicherweise hatten die Nachahmer den Baiern auch den feinen landschaft¬
lichen Sinn abgeguckt, mit dem diese ihre ..Keller" um herrlichen Aussichts¬
punkten anzulegen pflegen. Der Spießbürger wunderte sich, indem er sem
Bier trank, nicht nur über die merklich bessere Verwertung des trefflichen
Schwetzinger oder Hcigenauer Hopfens, die die bairische Schule eingeführt
hatte, sondern auch über die Reize seiner Landschaft, die ihm nie so schön vor¬
gekommen war. Nicht überall giebt es freilich eine so schöne Lage, wie in Traun-
stein. wo mir von meinem Gastfreund der Kvllerkeller als der schönste Keller
Europa gerühmt wurde. Der Blick auf die Berge von Rnhpold.ng ist
allerdings wundervoll, besonders wenn er mit dem Blick auf einen vollen Maß-
krug abwechseln kann. Wären nicht einige leichte Schatten, die diese beliebten
Vierhügel über die Städte und Städtchen hinwerfen, wo die Leute um
so anspruchsloser wohnen, je näher und billiger sie diesen gemeinsamen Er¬
holungsplatz haben, so möchte man von dem „Bierkeller als ^-ahnte des
Naturgenusses" mit ungemischtem Behagen sprechen. Auch bin ich bereit,
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