Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?

zu ihnen kam, durchaus kein Hehl. Wie war es gekommen, daß diese kern¬
deutschen Menschen ihren Ursprung und ihre frühere Zugehörigkeit zu Deutsch¬
land so gänzlich vergessen hatten? Auf diese Frage hatte ich damals keine
recht befriedigende Antwort gefunden. Jetzt, beim Anblick der Karte von Ru߬
land, war sie mir eingefallen: weil Straßburg, Mülhausen und Kolmar
französirt waren, deshalb fühlte und dachte das ganze Land französisch.

Und wenn ich (um noch ein näher liegendes Beispiel anzuführen) auf
den in Österreich tobenden Nationalitätenkampf hinweise, so finde ich auch hier
die stärkste Bestätigung meiner Auffassung. Warum wehren sich z. B. die
Deutschen in Mähren gegen die Verordnung der österreichischen Regierung,
wonach alle Städte mit eigner Gemeindeordnung und alle Landgemeinden mit
mehr als zehn Prozent von Einwohnern der andern Nationalität als zwei¬
sprachig erklärt werden sollen? Besonders deshalb, weil dadurch Städte wie
Zuaim und Iglau ihren deutschen Charakter verlieren würden. Diese mährischen
Deutschen sind sich eben vollkommen darüber klar, daß ihre Nationalität in
Mähren keinen Halt mehr hat, wenn erst einmal die Städte tschechisch ge¬
worden sind.

Gewiß -- in den Städten und nicht auf dem Lande wird in allen
idealen Fragen die öffentliche Meinung gemacht. Man nenne mir in der
Geschichte der Menschheit eine einzige geistige Bewegung, die nicht in den
Städten ihren Ursprung gehabt hätte? Als das Christentum in Gallien
eindrang, war sein Sieg entschieden von dem Augenblick an, wo die Bevölke¬
rung der größern Städte für die neue Lehre gewonnen war. Die Agrarier
beteten freilich noch lange zu den alten Göttern -- daher wurde der Name
xg-Mnus (Dorfbewohner) gleichbedeutend mit "der Heide" (französisch 1e Mön,
spanisch el x^g,no).

Kurz: die Städte sind es, die besonders auch in der Frage der Nationalität
die Gesinnung eines ganzen Landes bestimmen. Ich bin sicherlich nicht der
erste, der diese Wahrheit verkündigt. Auch würde es für meinen Ehrgeiz
schon genügen, wenn ich dazu beitragen könnte, daß jene Wahrheit mehr und
mehr zur praktischen Anerkennung gelangte.

Wie steht es denn heutzutage mit dieser praktischen Anerkennung? Im
Westen, Norden und Osten des Vaterlands hat sich das Deutschtum gegen
fremde Nationalitäten zu behaupten, und überall sind die Organe der Regierung
bemüht, ihm zu der vorherrschenden Stellung zu verhelfen, ohne die diese
Gebiete doch nur ein unsichrer Besitz sein würden. Was nun die von der
Regierung bei ihrem Vorgehen angewandte Methode anbetrifft, so kann der
Verfasser dieses Aufsatzes aus eigner Anschauung nur über das urteilen, was
im Osten des Landes zu dem Zweck unternommen wird, das um sich greifende
Polentum zurückzudrängen. Da sieht man denn auf den ersten Blick, daß die
von der preußischen Regierung befolgte Methode zu dem von mir oben ent-


Grenzboten I 1898 45
Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?

zu ihnen kam, durchaus kein Hehl. Wie war es gekommen, daß diese kern¬
deutschen Menschen ihren Ursprung und ihre frühere Zugehörigkeit zu Deutsch¬
land so gänzlich vergessen hatten? Auf diese Frage hatte ich damals keine
recht befriedigende Antwort gefunden. Jetzt, beim Anblick der Karte von Ru߬
land, war sie mir eingefallen: weil Straßburg, Mülhausen und Kolmar
französirt waren, deshalb fühlte und dachte das ganze Land französisch.

Und wenn ich (um noch ein näher liegendes Beispiel anzuführen) auf
den in Österreich tobenden Nationalitätenkampf hinweise, so finde ich auch hier
die stärkste Bestätigung meiner Auffassung. Warum wehren sich z. B. die
Deutschen in Mähren gegen die Verordnung der österreichischen Regierung,
wonach alle Städte mit eigner Gemeindeordnung und alle Landgemeinden mit
mehr als zehn Prozent von Einwohnern der andern Nationalität als zwei¬
sprachig erklärt werden sollen? Besonders deshalb, weil dadurch Städte wie
Zuaim und Iglau ihren deutschen Charakter verlieren würden. Diese mährischen
Deutschen sind sich eben vollkommen darüber klar, daß ihre Nationalität in
Mähren keinen Halt mehr hat, wenn erst einmal die Städte tschechisch ge¬
worden sind.

Gewiß — in den Städten und nicht auf dem Lande wird in allen
idealen Fragen die öffentliche Meinung gemacht. Man nenne mir in der
Geschichte der Menschheit eine einzige geistige Bewegung, die nicht in den
Städten ihren Ursprung gehabt hätte? Als das Christentum in Gallien
eindrang, war sein Sieg entschieden von dem Augenblick an, wo die Bevölke¬
rung der größern Städte für die neue Lehre gewonnen war. Die Agrarier
beteten freilich noch lange zu den alten Göttern — daher wurde der Name
xg-Mnus (Dorfbewohner) gleichbedeutend mit „der Heide" (französisch 1e Mön,
spanisch el x^g,no).

Kurz: die Städte sind es, die besonders auch in der Frage der Nationalität
die Gesinnung eines ganzen Landes bestimmen. Ich bin sicherlich nicht der
erste, der diese Wahrheit verkündigt. Auch würde es für meinen Ehrgeiz
schon genügen, wenn ich dazu beitragen könnte, daß jene Wahrheit mehr und
mehr zur praktischen Anerkennung gelangte.

Wie steht es denn heutzutage mit dieser praktischen Anerkennung? Im
Westen, Norden und Osten des Vaterlands hat sich das Deutschtum gegen
fremde Nationalitäten zu behaupten, und überall sind die Organe der Regierung
bemüht, ihm zu der vorherrschenden Stellung zu verhelfen, ohne die diese
Gebiete doch nur ein unsichrer Besitz sein würden. Was nun die von der
Regierung bei ihrem Vorgehen angewandte Methode anbetrifft, so kann der
Verfasser dieses Aufsatzes aus eigner Anschauung nur über das urteilen, was
im Osten des Landes zu dem Zweck unternommen wird, das um sich greifende
Polentum zurückzudrängen. Da sieht man denn auf den ersten Blick, daß die
von der preußischen Regierung befolgte Methode zu dem von mir oben ent-


Grenzboten I 1898 45
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227259"/>
          <fw type="header" place="top"> Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1209" prev="#ID_1208"> zu ihnen kam, durchaus kein Hehl. Wie war es gekommen, daß diese kern¬<lb/>
deutschen Menschen ihren Ursprung und ihre frühere Zugehörigkeit zu Deutsch¬<lb/>
land so gänzlich vergessen hatten? Auf diese Frage hatte ich damals keine<lb/>
recht befriedigende Antwort gefunden. Jetzt, beim Anblick der Karte von Ru߬<lb/>
land, war sie mir eingefallen: weil Straßburg, Mülhausen und Kolmar<lb/>
französirt waren, deshalb fühlte und dachte das ganze Land französisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1210"> Und wenn ich (um noch ein näher liegendes Beispiel anzuführen) auf<lb/>
den in Österreich tobenden Nationalitätenkampf hinweise, so finde ich auch hier<lb/>
die stärkste Bestätigung meiner Auffassung. Warum wehren sich z. B. die<lb/>
Deutschen in Mähren gegen die Verordnung der österreichischen Regierung,<lb/>
wonach alle Städte mit eigner Gemeindeordnung und alle Landgemeinden mit<lb/>
mehr als zehn Prozent von Einwohnern der andern Nationalität als zwei¬<lb/>
sprachig erklärt werden sollen? Besonders deshalb, weil dadurch Städte wie<lb/>
Zuaim und Iglau ihren deutschen Charakter verlieren würden. Diese mährischen<lb/>
Deutschen sind sich eben vollkommen darüber klar, daß ihre Nationalität in<lb/>
Mähren keinen Halt mehr hat, wenn erst einmal die Städte tschechisch ge¬<lb/>
worden sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1211"> Gewiß &#x2014; in den Städten und nicht auf dem Lande wird in allen<lb/>
idealen Fragen die öffentliche Meinung gemacht. Man nenne mir in der<lb/>
Geschichte der Menschheit eine einzige geistige Bewegung, die nicht in den<lb/>
Städten ihren Ursprung gehabt hätte? Als das Christentum in Gallien<lb/>
eindrang, war sein Sieg entschieden von dem Augenblick an, wo die Bevölke¬<lb/>
rung der größern Städte für die neue Lehre gewonnen war. Die Agrarier<lb/>
beteten freilich noch lange zu den alten Göttern &#x2014; daher wurde der Name<lb/>
xg-Mnus (Dorfbewohner) gleichbedeutend mit &#x201E;der Heide" (französisch 1e Mön,<lb/>
spanisch el x^g,no).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1212"> Kurz: die Städte sind es, die besonders auch in der Frage der Nationalität<lb/>
die Gesinnung eines ganzen Landes bestimmen. Ich bin sicherlich nicht der<lb/>
erste, der diese Wahrheit verkündigt. Auch würde es für meinen Ehrgeiz<lb/>
schon genügen, wenn ich dazu beitragen könnte, daß jene Wahrheit mehr und<lb/>
mehr zur praktischen Anerkennung gelangte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1213" next="#ID_1214"> Wie steht es denn heutzutage mit dieser praktischen Anerkennung? Im<lb/>
Westen, Norden und Osten des Vaterlands hat sich das Deutschtum gegen<lb/>
fremde Nationalitäten zu behaupten, und überall sind die Organe der Regierung<lb/>
bemüht, ihm zu der vorherrschenden Stellung zu verhelfen, ohne die diese<lb/>
Gebiete doch nur ein unsichrer Besitz sein würden. Was nun die von der<lb/>
Regierung bei ihrem Vorgehen angewandte Methode anbetrifft, so kann der<lb/>
Verfasser dieses Aufsatzes aus eigner Anschauung nur über das urteilen, was<lb/>
im Osten des Landes zu dem Zweck unternommen wird, das um sich greifende<lb/>
Polentum zurückzudrängen. Da sieht man denn auf den ersten Blick, daß die<lb/>
von der preußischen Regierung befolgte Methode zu dem von mir oben ent-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1898 45</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden? zu ihnen kam, durchaus kein Hehl. Wie war es gekommen, daß diese kern¬ deutschen Menschen ihren Ursprung und ihre frühere Zugehörigkeit zu Deutsch¬ land so gänzlich vergessen hatten? Auf diese Frage hatte ich damals keine recht befriedigende Antwort gefunden. Jetzt, beim Anblick der Karte von Ru߬ land, war sie mir eingefallen: weil Straßburg, Mülhausen und Kolmar französirt waren, deshalb fühlte und dachte das ganze Land französisch. Und wenn ich (um noch ein näher liegendes Beispiel anzuführen) auf den in Österreich tobenden Nationalitätenkampf hinweise, so finde ich auch hier die stärkste Bestätigung meiner Auffassung. Warum wehren sich z. B. die Deutschen in Mähren gegen die Verordnung der österreichischen Regierung, wonach alle Städte mit eigner Gemeindeordnung und alle Landgemeinden mit mehr als zehn Prozent von Einwohnern der andern Nationalität als zwei¬ sprachig erklärt werden sollen? Besonders deshalb, weil dadurch Städte wie Zuaim und Iglau ihren deutschen Charakter verlieren würden. Diese mährischen Deutschen sind sich eben vollkommen darüber klar, daß ihre Nationalität in Mähren keinen Halt mehr hat, wenn erst einmal die Städte tschechisch ge¬ worden sind. Gewiß — in den Städten und nicht auf dem Lande wird in allen idealen Fragen die öffentliche Meinung gemacht. Man nenne mir in der Geschichte der Menschheit eine einzige geistige Bewegung, die nicht in den Städten ihren Ursprung gehabt hätte? Als das Christentum in Gallien eindrang, war sein Sieg entschieden von dem Augenblick an, wo die Bevölke¬ rung der größern Städte für die neue Lehre gewonnen war. Die Agrarier beteten freilich noch lange zu den alten Göttern — daher wurde der Name xg-Mnus (Dorfbewohner) gleichbedeutend mit „der Heide" (französisch 1e Mön, spanisch el x^g,no). Kurz: die Städte sind es, die besonders auch in der Frage der Nationalität die Gesinnung eines ganzen Landes bestimmen. Ich bin sicherlich nicht der erste, der diese Wahrheit verkündigt. Auch würde es für meinen Ehrgeiz schon genügen, wenn ich dazu beitragen könnte, daß jene Wahrheit mehr und mehr zur praktischen Anerkennung gelangte. Wie steht es denn heutzutage mit dieser praktischen Anerkennung? Im Westen, Norden und Osten des Vaterlands hat sich das Deutschtum gegen fremde Nationalitäten zu behaupten, und überall sind die Organe der Regierung bemüht, ihm zu der vorherrschenden Stellung zu verhelfen, ohne die diese Gebiete doch nur ein unsichrer Besitz sein würden. Was nun die von der Regierung bei ihrem Vorgehen angewandte Methode anbetrifft, so kann der Verfasser dieses Aufsatzes aus eigner Anschauung nur über das urteilen, was im Osten des Landes zu dem Zweck unternommen wird, das um sich greifende Polentum zurückzudrängen. Da sieht man denn auf den ersten Blick, daß die von der preußischen Regierung befolgte Methode zu dem von mir oben ent- Grenzboten I 1898 45

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/357>, abgerufen am 07.01.2025.