Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Litteratur war zu erwarten, daß allerlei mehr oder weniger Interessantes, mehr oder weniger Seite 4 erwähnt Geiger die Neujahrsnacht des anbrechenden Jahrhunderts, Litteratur war zu erwarten, daß allerlei mehr oder weniger Interessantes, mehr oder weniger Seite 4 erwähnt Geiger die Neujahrsnacht des anbrechenden Jahrhunderts, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227247"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1181" prev="#ID_1180"> war zu erwarten, daß allerlei mehr oder weniger Interessantes, mehr oder weniger<lb/> Wichtiges an den Tag kommen würde. So erfährt man denn über Ereignisse und<lb/> über Persönlichkeiten manches, was zur Kenntnis des Weimarer Lebens in den<lb/> drei ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts dient. Zustände und Stimmungen,<lb/> Litterarisches und Politisches kommen in buntem Wechsel an die Reihe. Die Korre¬<lb/> spondenz, die Böttiger nach seinem Abgang von Weimar (1804) mit dortigen<lb/> Freunden führte, bietet nach allen diesen Seiten ergänzende Notizen, und willig<lb/> wird man anerkennen, daß Böttiger selbst, dessen Schwäche» bekannter sind, bei<lb/> näherer Kenntnis vielfach in einem günstigern Lichte erscheint. Zu den will¬<lb/> kommensten Stücken gehört ein (aus der Sammlung von R. Brockhaus ungelenker)<lb/> kummervoller Brief Wielands vom Jahre 1802 an seinen damals in der Schweiz<lb/> lebenden Sohn Ludwig. Das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn hatte per¬<lb/> sönliche, aber auch politische und litterarische Gründe. Bekannt ist Ludwig Wielands<lb/> Parteinahme für die Romantiker. „Auch in Briefen von Frau Reinhard wird,<lb/> wie Erich Schmidt mich belehrt, diese fast komisch zur Schau getragne Hinneigung<lb/> L. Wielands zu deu Romantikern berichtet" (S. 37). Das Geheimnis, das sich<lb/> der Herausgeber von Erich Schmidt zuraunen ließ — „wie Erich Schmidt mich<lb/> belehrt" —, steht in einem Brief von Frau Christine Reinhard an ihre Jugend¬<lb/> freundin Johanna Frommann, geb. Wesselhöst, abgedruckt in einem nicht ganz unbe¬<lb/> kannten Buch: Das Frommannsche Haus und seine Freunde (S. 22).</p><lb/> <p xml:id="ID_1182" next="#ID_1183"> Seite 4 erwähnt Geiger die Neujahrsnacht des anbrechenden Jahrhunderts,<lb/> die Goethe, Schiller und Schelling während einer vom Weimarer Hof veranstalteten<lb/> Redoute in einem Nebenzimmer vereinigt bei fließendem Champagner gefeiert haben<lb/> sollen. Er hat die Erzählung, für die er kein weiteres Zeugnis weiß, bei Düntzcr<lb/> gesunde». Doch hatte er den vierten Band von Steffens „Was ich erlebte" zur<lb/> Hand; hätte er hier bis Seite 407 n. ff. geblättert, so hätte er die Erzählung<lb/> gefunden, die Düutzer fast wörtlich wiederholt. Leider ist Steffens der einzige<lb/> Zeuge für diese denkwürdige Szene, bei der die Einbildungskraft gern verweilt:<lb/> unsre größten Geister bei Gläserklang das alte Jahrhundert schließend, das neue<lb/> eröffnend. Je ansprechender die Szene ist, um so mehr liegt uns daran, sie sicher<lb/> beglaubigt zu wissen. Steffens erzählt zwar als Augenzeuge, er selbst hat als<lb/> vierter dabei sein dürfen. Gleichwohl müßte uns ein weiterer Zeuge erwünscht<lb/> sein. Wir erinnern uns, daß der norwegische Dichter und Naturphilosoph kein sehr<lb/> zuverlässiger Gewährsmann ist. Er hat seine Denkwürdigkeiten im Alter „aus der<lb/> Erinnerung" niedergeschrieben; es finden sich bei ihm Ungenauigkeiten, namentlich<lb/> in Zeitangaben, die nicht bloß ans ein unsicheres Gedächtnis, sondern auch auf eine<lb/> starke Phantasie zurückzuführen sind, und stets zeigt er sich durchdrungen von seiner<lb/> eignen Wichtigkeit. Goethes Tagebuch schweigt über diese von Steffens berichtete<lb/> Feier der Neujahrsnacht. Zum 31. Dezember 1800 ist bloß bemerkt: „Abends<lb/> Herr Hofrat Schiller und Professor Schelling zum Abendessen." Also eine ganz<lb/> intime Shlvesterfeier im eignen Hause, aber kein Wort davon, daß sich daran noch<lb/> der Besuch eines Maskenballes angeschlossen hätte, der nach der Erzählung von<lb/> Steffens mit einem von Goethe entworfnen Auszug eröffnet wurde. Mindestens<lb/> wird man so viel aus dem Schweigen Goethes schließen dürfen, daß die Szene,<lb/> wenn sie wirklich die Episode einer Redoute war, doch im Sinne der Teilnehmer<lb/> nicht die Bedeutung hatte, die ihr Steffens giebt, der zufällig ein Zeuge des<lb/> Shlvestersymposious wurde. Er hatte nämlich, damals nchtundzwauzig Jahre alt,<lb/> von Freiberg, wo er bei Werner studirte, mitten im Winter eine Fußreise uach</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0345]
Litteratur
war zu erwarten, daß allerlei mehr oder weniger Interessantes, mehr oder weniger
Wichtiges an den Tag kommen würde. So erfährt man denn über Ereignisse und
über Persönlichkeiten manches, was zur Kenntnis des Weimarer Lebens in den
drei ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts dient. Zustände und Stimmungen,
Litterarisches und Politisches kommen in buntem Wechsel an die Reihe. Die Korre¬
spondenz, die Böttiger nach seinem Abgang von Weimar (1804) mit dortigen
Freunden führte, bietet nach allen diesen Seiten ergänzende Notizen, und willig
wird man anerkennen, daß Böttiger selbst, dessen Schwäche» bekannter sind, bei
näherer Kenntnis vielfach in einem günstigern Lichte erscheint. Zu den will¬
kommensten Stücken gehört ein (aus der Sammlung von R. Brockhaus ungelenker)
kummervoller Brief Wielands vom Jahre 1802 an seinen damals in der Schweiz
lebenden Sohn Ludwig. Das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn hatte per¬
sönliche, aber auch politische und litterarische Gründe. Bekannt ist Ludwig Wielands
Parteinahme für die Romantiker. „Auch in Briefen von Frau Reinhard wird,
wie Erich Schmidt mich belehrt, diese fast komisch zur Schau getragne Hinneigung
L. Wielands zu deu Romantikern berichtet" (S. 37). Das Geheimnis, das sich
der Herausgeber von Erich Schmidt zuraunen ließ — „wie Erich Schmidt mich
belehrt" —, steht in einem Brief von Frau Christine Reinhard an ihre Jugend¬
freundin Johanna Frommann, geb. Wesselhöst, abgedruckt in einem nicht ganz unbe¬
kannten Buch: Das Frommannsche Haus und seine Freunde (S. 22).
Seite 4 erwähnt Geiger die Neujahrsnacht des anbrechenden Jahrhunderts,
die Goethe, Schiller und Schelling während einer vom Weimarer Hof veranstalteten
Redoute in einem Nebenzimmer vereinigt bei fließendem Champagner gefeiert haben
sollen. Er hat die Erzählung, für die er kein weiteres Zeugnis weiß, bei Düntzcr
gesunde». Doch hatte er den vierten Band von Steffens „Was ich erlebte" zur
Hand; hätte er hier bis Seite 407 n. ff. geblättert, so hätte er die Erzählung
gefunden, die Düutzer fast wörtlich wiederholt. Leider ist Steffens der einzige
Zeuge für diese denkwürdige Szene, bei der die Einbildungskraft gern verweilt:
unsre größten Geister bei Gläserklang das alte Jahrhundert schließend, das neue
eröffnend. Je ansprechender die Szene ist, um so mehr liegt uns daran, sie sicher
beglaubigt zu wissen. Steffens erzählt zwar als Augenzeuge, er selbst hat als
vierter dabei sein dürfen. Gleichwohl müßte uns ein weiterer Zeuge erwünscht
sein. Wir erinnern uns, daß der norwegische Dichter und Naturphilosoph kein sehr
zuverlässiger Gewährsmann ist. Er hat seine Denkwürdigkeiten im Alter „aus der
Erinnerung" niedergeschrieben; es finden sich bei ihm Ungenauigkeiten, namentlich
in Zeitangaben, die nicht bloß ans ein unsicheres Gedächtnis, sondern auch auf eine
starke Phantasie zurückzuführen sind, und stets zeigt er sich durchdrungen von seiner
eignen Wichtigkeit. Goethes Tagebuch schweigt über diese von Steffens berichtete
Feier der Neujahrsnacht. Zum 31. Dezember 1800 ist bloß bemerkt: „Abends
Herr Hofrat Schiller und Professor Schelling zum Abendessen." Also eine ganz
intime Shlvesterfeier im eignen Hause, aber kein Wort davon, daß sich daran noch
der Besuch eines Maskenballes angeschlossen hätte, der nach der Erzählung von
Steffens mit einem von Goethe entworfnen Auszug eröffnet wurde. Mindestens
wird man so viel aus dem Schweigen Goethes schließen dürfen, daß die Szene,
wenn sie wirklich die Episode einer Redoute war, doch im Sinne der Teilnehmer
nicht die Bedeutung hatte, die ihr Steffens giebt, der zufällig ein Zeuge des
Shlvestersymposious wurde. Er hatte nämlich, damals nchtundzwauzig Jahre alt,
von Freiberg, wo er bei Werner studirte, mitten im Winter eine Fußreise uach
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