Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Litteratur waren die Fabrikanten überzeugt, daß ihnen erst die letzte Arbeitsstunde den Prosit Einer der Gründe, aus denen die Arbeiter, namentlich die sozialistischen, den Litteratur waren die Fabrikanten überzeugt, daß ihnen erst die letzte Arbeitsstunde den Prosit Einer der Gründe, aus denen die Arbeiter, namentlich die sozialistischen, den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227245"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1177" prev="#ID_1176"> waren die Fabrikanten überzeugt, daß ihnen erst die letzte Arbeitsstunde den Prosit<lb/> bringe; heute sehen die verständigen unter ihnen ein, daß es bei der frühern langen<lb/> Arbeitszeit gerade die letzte Stunde war, die nicht selten den Prosit vernichtete,<lb/> und einer von ihnen bekennt, bei langer Arbeitszeit gehe regelmäßig die erste<lb/> Stunde des Tages mit der Ausbesserung der Schäden verloren, die in der letzten<lb/> des vorhergehenden angerichtet worden seien. Je länger die Arbeit dauert, desto ver¬<lb/> drossener, unaufmerksamer, nachlässiger und bummeliger wird gearbeitet, desto öfter<lb/> werdeu in der Arbeitszeit kleine Ruhepausen gemacht, und, was sür das Ein¬<lb/> kommen der Arbeiter ausschlaggebend ist, desto mehr Arbeitstage werden versäumt;<lb/> der eine macht regelmäßig den Montag und allenfalls noch den Dienstag blau, der<lb/> andre erlaubt sich von Zeit zu Zeit vierzehn Tage Ferien, ein dritter erkrankt<lb/> häufig. Und da kurze Arbeitszeit und hoher Lohn eine der Gesundheit zuträgliche<lb/> Lebensweise und namentlich kräftige Ernährung möglich machen, so kommt immer<lb/> ein Vorteil dem andern zu Hilfe. Ju einem Schreiben eines deutschen Eisen-<lb/> industriellen an einen Sir I. L. Bell heißt es: „Wir haben oft dieselben tech¬<lb/> nischen Hilfsmittel wie Sie in England, denn alles, was ein Maschinenbauer sieht,<lb/> kann er nachmachen und konstruiren, aber was wir nicht nachmache» können, das<lb/> ist, mit unsern schlecht genährten Leuten ebenso kräftig zu arbeiten, wie Ihre<lb/> Engländer arbeiten." Und bei Ankündigung der Einführung des Achtstundentages<lb/> in den Werkstätten des Kriegsministeriums erklärte der Kriegsminister Campbell-<lb/> Banncrmann, es sei nicht zu befürchten, daß man nnn mehr Leute brauchen werde;<lb/> die sorgfältige Vergleichung der anderwärts erzielten Ergebnisse berechtige zu dem<lb/> Schlüsse (der durch die eigne Erfahrung des Kriegsmiuisteriums bei vorgenommenen<lb/> Proben bestätigt worden sei), daß jede Lohnerhöhung und Zeitverkürzung durch<lb/> Ersparnisse aller Art, durch die vermehrte Energie der Arbeiter und den Wegfall<lb/> der Pausen ausgeglichen werde. Zu deu Vorteilen der Industrie kommt die Er¬<lb/> höhung der Volkskraft durch die physische und moralische Umwandlung der Arbeiter,<lb/> die aus Schwindsuchtkaudidatcn, Trunkenbolden und rohen, unwissenden Liederjahns<lb/> häusliche und gebildete Männer werden und eifrig an ihrer Fortbildung arbeiten;<lb/> mit Abkürzung der Arbeitszeit tritt überall sofort das Bedürfnis nach Bibliotheken<lb/> hervor. Diese Wirkung ist nach Rae in England so bekannt und so allgemein<lb/> anerkannt, daß die Achtstnndenbewegung keine grimmigem Feinde hat als die In¬<lb/> haber von Schnapskneipen. In Australien, wo der Achtstundentag in einzelnen<lb/> Gewerben schon vor dreißig Jahren eingeführt war und heute beinahe allgemein<lb/> ist, sind nach der übereinstimmenden Schilderung der Beobachter die Arbeiter<lb/> gebildete Leute, die in schönen von Gärten umgebnen Häusern wohnen und ihre<lb/> Mußezeit in ihrer Häuslichkeit, mit der Pflege ihrer Gärten, in den Bibliotheken,<lb/> mit allerlei Sport und in den für anständige Unterhaltung eingerichteten öffent¬<lb/> lichen Erholungsstätten zubringen; die Männer zeichnen sich durch athletische Stärke<lb/> aus und besiegen die Männer aller andern Völker, auch der Engländer, bei der<lb/> Konkurrenz auf dem Spielplatz wie in der Werkstatt. Und, was Herrn Tille<lb/> gegenüber hervorzuheben ist, es sind, wie aus Raes Darstellung hervorgeht, und<lb/> wie gelegentlich ausdrücklich hervorgehoben wird, dieselben Arbeiter, die bei der<lb/> langen Arbeitszeit untauglich, faul, leiblich und moralisch verkommen gewesen sind,<lb/> und die jetzt gesund, stark, energisch und intelligent sind, teils dieselben Arbeiter,<lb/> teils deren Kinder, nicht, wie Tille glauben machen will, Leute andrer Ab¬<lb/> stammung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1178" next="#ID_1179"> Einer der Gründe, aus denen die Arbeiter, namentlich die sozialistischen, den<lb/> Achtstundentag empfehlen und erstreben, ist allerdings hinfällig: die Abkürzung der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Litteratur
waren die Fabrikanten überzeugt, daß ihnen erst die letzte Arbeitsstunde den Prosit
bringe; heute sehen die verständigen unter ihnen ein, daß es bei der frühern langen
Arbeitszeit gerade die letzte Stunde war, die nicht selten den Prosit vernichtete,
und einer von ihnen bekennt, bei langer Arbeitszeit gehe regelmäßig die erste
Stunde des Tages mit der Ausbesserung der Schäden verloren, die in der letzten
des vorhergehenden angerichtet worden seien. Je länger die Arbeit dauert, desto ver¬
drossener, unaufmerksamer, nachlässiger und bummeliger wird gearbeitet, desto öfter
werdeu in der Arbeitszeit kleine Ruhepausen gemacht, und, was sür das Ein¬
kommen der Arbeiter ausschlaggebend ist, desto mehr Arbeitstage werden versäumt;
der eine macht regelmäßig den Montag und allenfalls noch den Dienstag blau, der
andre erlaubt sich von Zeit zu Zeit vierzehn Tage Ferien, ein dritter erkrankt
häufig. Und da kurze Arbeitszeit und hoher Lohn eine der Gesundheit zuträgliche
Lebensweise und namentlich kräftige Ernährung möglich machen, so kommt immer
ein Vorteil dem andern zu Hilfe. Ju einem Schreiben eines deutschen Eisen-
industriellen an einen Sir I. L. Bell heißt es: „Wir haben oft dieselben tech¬
nischen Hilfsmittel wie Sie in England, denn alles, was ein Maschinenbauer sieht,
kann er nachmachen und konstruiren, aber was wir nicht nachmache» können, das
ist, mit unsern schlecht genährten Leuten ebenso kräftig zu arbeiten, wie Ihre
Engländer arbeiten." Und bei Ankündigung der Einführung des Achtstundentages
in den Werkstätten des Kriegsministeriums erklärte der Kriegsminister Campbell-
Banncrmann, es sei nicht zu befürchten, daß man nnn mehr Leute brauchen werde;
die sorgfältige Vergleichung der anderwärts erzielten Ergebnisse berechtige zu dem
Schlüsse (der durch die eigne Erfahrung des Kriegsmiuisteriums bei vorgenommenen
Proben bestätigt worden sei), daß jede Lohnerhöhung und Zeitverkürzung durch
Ersparnisse aller Art, durch die vermehrte Energie der Arbeiter und den Wegfall
der Pausen ausgeglichen werde. Zu deu Vorteilen der Industrie kommt die Er¬
höhung der Volkskraft durch die physische und moralische Umwandlung der Arbeiter,
die aus Schwindsuchtkaudidatcn, Trunkenbolden und rohen, unwissenden Liederjahns
häusliche und gebildete Männer werden und eifrig an ihrer Fortbildung arbeiten;
mit Abkürzung der Arbeitszeit tritt überall sofort das Bedürfnis nach Bibliotheken
hervor. Diese Wirkung ist nach Rae in England so bekannt und so allgemein
anerkannt, daß die Achtstnndenbewegung keine grimmigem Feinde hat als die In¬
haber von Schnapskneipen. In Australien, wo der Achtstundentag in einzelnen
Gewerben schon vor dreißig Jahren eingeführt war und heute beinahe allgemein
ist, sind nach der übereinstimmenden Schilderung der Beobachter die Arbeiter
gebildete Leute, die in schönen von Gärten umgebnen Häusern wohnen und ihre
Mußezeit in ihrer Häuslichkeit, mit der Pflege ihrer Gärten, in den Bibliotheken,
mit allerlei Sport und in den für anständige Unterhaltung eingerichteten öffent¬
lichen Erholungsstätten zubringen; die Männer zeichnen sich durch athletische Stärke
aus und besiegen die Männer aller andern Völker, auch der Engländer, bei der
Konkurrenz auf dem Spielplatz wie in der Werkstatt. Und, was Herrn Tille
gegenüber hervorzuheben ist, es sind, wie aus Raes Darstellung hervorgeht, und
wie gelegentlich ausdrücklich hervorgehoben wird, dieselben Arbeiter, die bei der
langen Arbeitszeit untauglich, faul, leiblich und moralisch verkommen gewesen sind,
und die jetzt gesund, stark, energisch und intelligent sind, teils dieselben Arbeiter,
teils deren Kinder, nicht, wie Tille glauben machen will, Leute andrer Ab¬
stammung.
Einer der Gründe, aus denen die Arbeiter, namentlich die sozialistischen, den
Achtstundentag empfehlen und erstreben, ist allerdings hinfällig: die Abkürzung der
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