Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene ES fängt sich schon das Frühjahr an, Nun freut sich, was sich freuen kann. DaS Bächlein hüpft in seinem Lauf, Das Blümlein thut die Äuglein auf. In Flur und Wald, im grünen Klee Das Käferlein und Lerch und Reh, Sie freun sich all, gesellt in Lieb: Nur ich nlleine übrig blieb. Den zweiten Reim der ersten Strophe wiederholte Madlene, wie es die Vor der Klage war Madlene erschrocken. Welch ein Umschwung! Sie ge¬ Rüstig schreitet Madlene wieder fürbaß. Sie hat den Brand hinter sich und Das Leben im Müsershnus gestaltete sich wieder freundlicher. Von der Woh is denn mei sogen! Woh ich weß, dos weß ich. Jen'n Sonntag in Hast recht. Und Irren ist menschlich. Ich kenn die Welt! Und nun rührt sie nicht an, weder in Worten noch Gedanken, bis euch ver¬ Der schöne Mai mit seinen Wonnen war vergangen. Alles vergeht! Der Madlene ES fängt sich schon das Frühjahr an, Nun freut sich, was sich freuen kann. DaS Bächlein hüpft in seinem Lauf, Das Blümlein thut die Äuglein auf. In Flur und Wald, im grünen Klee Das Käferlein und Lerch und Reh, Sie freun sich all, gesellt in Lieb: Nur ich nlleine übrig blieb. Den zweiten Reim der ersten Strophe wiederholte Madlene, wie es die Vor der Klage war Madlene erschrocken. Welch ein Umschwung! Sie ge¬ Rüstig schreitet Madlene wieder fürbaß. Sie hat den Brand hinter sich und Das Leben im Müsershnus gestaltete sich wieder freundlicher. Von der Woh is denn mei sogen! Woh ich weß, dos weß ich. Jen'n Sonntag in Hast recht. Und Irren ist menschlich. Ich kenn die Welt! Und nun rührt sie nicht an, weder in Worten noch Gedanken, bis euch ver¬ Der schöne Mai mit seinen Wonnen war vergangen. Alles vergeht! Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227234"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l> ES fängt sich schon das Frühjahr an,<lb/> Nun freut sich, was sich freuen kann.<lb/> DaS Bächlein hüpft in seinem Lauf,<lb/> Das Blümlein thut die Äuglein auf.</l> <l> In Flur und Wald, im grünen Klee<lb/> Das Käferlein und Lerch und Reh,<lb/> Sie freun sich all, gesellt in Lieb:<lb/> Nur ich nlleine übrig blieb.</l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1090"> Den zweiten Reim der ersten Strophe wiederholte Madlene, wie es die<lb/> Melodie erheischte; bei der zweiten Strophe blieb sie ohne Wiederholung auf dem<lb/> Halbschluß stehen: Nur ich alleine übrig blieb. Vor dieser Klage erschrak sie. Ja,<lb/> wem fiele gleich ein deutsches Lied ein, das neben der Freude nicht die Klage<lb/> hätte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1091"> Vor der Klage war Madlene erschrocken. Welch ein Umschwung! Sie ge¬<lb/> winnt: wozu die Klage? Wäre die Madlenenseele nicht durch ihr Schicksal, durch<lb/> die Lebensschule zu einem gewissen Gleichmut erzogen worden, sie hatte laut auf¬<lb/> gejubelt im Bewußtsein ihres Gewinns. Da>s konnte sie wohl nicht; aber die<lb/> plötzliche Klage im Frühliugsliedcheu hatte sie doch erschreckt wie eine Schlange<lb/> vor den Füßen. Wirklich war ihr der Fuß einen Augenblick wie angewurzelt.<lb/> Nur ich alleine übrig blieb! Es war über die Lippe geschlüpft. Hinaus ist es;<lb/> draußen bleibs! Drinnen sitzt das Gewinnen auf dein Thron. Den soll ein Lied<lb/> nicht umstoßen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1092"> Rüstig schreitet Madlene wieder fürbaß. Sie hat den Brand hinter sich und<lb/> kommt am Bart herab. Drüben steht die Sonne auf dem Rollbrett. Das ist die<lb/> Berglinie am Horizont, mit der die Ncigungslinie der untergehenden Sonne zu¬<lb/> sammenfällt, sodaß diese wirklich eine Zeit lang als rollender Feuerball auf schiefer<lb/> Ebene erscheint. Es ist für das Dörflein eine immer wiederkehrende Erscheinung,<lb/> verliert aber nie das Interesse der einfachen Landleute, weil sie an Erhabenheit<lb/> und Pracht unvergleichlich ist und auch in ewiger Wiederholung stets überwältigend<lb/> bleibt. Madleuens Auge ist unverwandt hinübergerichtet, und in Andacht versunken<lb/> steht die Jungfrau auf der Höhe still, bis das majestätische Gestirn hinabgerollt<lb/> ist. Und dann schweift ihr Blick hinab zum Dörflein und bleibt hangen an des<lb/> Frieders Hans. Ihr Antlitz glüht. Nach einem tiefen Atemzug eilt sie weiter den<lb/> Berg hinab. Das Herz war ihr so weit geworden, die Welt so klein: sie hatte<lb/> wieder den Herzschlag des Frieder um ihrer Brust vernommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1093"> Das Leben im Müsershnus gestaltete sich wieder freundlicher. Von der<lb/> Sonne ans dem Rollbrett mußte ein Strahl in der Madlenenseele geborgen worden<lb/> sein. Eines Tags, als sie allein waren, sagte der Große zum Kleinen: Bin ich<lb/> dir froh, Klemmer, daß ich nit mit der Madlene zu reden brauch von wegen dem<lb/> Viertel Weizen selmal! Mußt mich recht versteh«!</p><lb/> <p xml:id="ID_1094"> Woh is denn mei sogen! Woh ich weß, dos weß ich. Jen'n Sonntag in<lb/> der Kirch hab ichs gespürt, böß es anners wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1095"> Hast recht. Und Irren ist menschlich. Ich kenn die Welt!</p><lb/> <p xml:id="ID_1096"> Und nun rührt sie nicht an, weder in Worten noch Gedanken, bis euch ver¬<lb/> kündigt wird: Madlene hat gewonnen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1097" next="#ID_1098"> Der schöne Mai mit seinen Wonnen war vergangen. Alles vergeht! Der<lb/> Sonnenstrahl in der Madlenenseele war auch wieder erloschen. Ja, die vermaledeite<lb/> Welt! Auf dem Kirchweg hatte die Matthesensbärbel zur Madlene gesagt: Weißes<lb/> schon? Der Frieder geht wieder aus, aber freilich erst noch an einer Krücken.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0332]
Madlene
ES fängt sich schon das Frühjahr an,
Nun freut sich, was sich freuen kann.
DaS Bächlein hüpft in seinem Lauf,
Das Blümlein thut die Äuglein auf. In Flur und Wald, im grünen Klee
Das Käferlein und Lerch und Reh,
Sie freun sich all, gesellt in Lieb:
Nur ich nlleine übrig blieb.
Den zweiten Reim der ersten Strophe wiederholte Madlene, wie es die
Melodie erheischte; bei der zweiten Strophe blieb sie ohne Wiederholung auf dem
Halbschluß stehen: Nur ich alleine übrig blieb. Vor dieser Klage erschrak sie. Ja,
wem fiele gleich ein deutsches Lied ein, das neben der Freude nicht die Klage
hätte!
Vor der Klage war Madlene erschrocken. Welch ein Umschwung! Sie ge¬
winnt: wozu die Klage? Wäre die Madlenenseele nicht durch ihr Schicksal, durch
die Lebensschule zu einem gewissen Gleichmut erzogen worden, sie hatte laut auf¬
gejubelt im Bewußtsein ihres Gewinns. Da>s konnte sie wohl nicht; aber die
plötzliche Klage im Frühliugsliedcheu hatte sie doch erschreckt wie eine Schlange
vor den Füßen. Wirklich war ihr der Fuß einen Augenblick wie angewurzelt.
Nur ich alleine übrig blieb! Es war über die Lippe geschlüpft. Hinaus ist es;
draußen bleibs! Drinnen sitzt das Gewinnen auf dein Thron. Den soll ein Lied
nicht umstoßen.
Rüstig schreitet Madlene wieder fürbaß. Sie hat den Brand hinter sich und
kommt am Bart herab. Drüben steht die Sonne auf dem Rollbrett. Das ist die
Berglinie am Horizont, mit der die Ncigungslinie der untergehenden Sonne zu¬
sammenfällt, sodaß diese wirklich eine Zeit lang als rollender Feuerball auf schiefer
Ebene erscheint. Es ist für das Dörflein eine immer wiederkehrende Erscheinung,
verliert aber nie das Interesse der einfachen Landleute, weil sie an Erhabenheit
und Pracht unvergleichlich ist und auch in ewiger Wiederholung stets überwältigend
bleibt. Madleuens Auge ist unverwandt hinübergerichtet, und in Andacht versunken
steht die Jungfrau auf der Höhe still, bis das majestätische Gestirn hinabgerollt
ist. Und dann schweift ihr Blick hinab zum Dörflein und bleibt hangen an des
Frieders Hans. Ihr Antlitz glüht. Nach einem tiefen Atemzug eilt sie weiter den
Berg hinab. Das Herz war ihr so weit geworden, die Welt so klein: sie hatte
wieder den Herzschlag des Frieder um ihrer Brust vernommen.
Das Leben im Müsershnus gestaltete sich wieder freundlicher. Von der
Sonne ans dem Rollbrett mußte ein Strahl in der Madlenenseele geborgen worden
sein. Eines Tags, als sie allein waren, sagte der Große zum Kleinen: Bin ich
dir froh, Klemmer, daß ich nit mit der Madlene zu reden brauch von wegen dem
Viertel Weizen selmal! Mußt mich recht versteh«!
Woh is denn mei sogen! Woh ich weß, dos weß ich. Jen'n Sonntag in
der Kirch hab ichs gespürt, böß es anners wird.
Hast recht. Und Irren ist menschlich. Ich kenn die Welt!
Und nun rührt sie nicht an, weder in Worten noch Gedanken, bis euch ver¬
kündigt wird: Madlene hat gewonnen!
Der schöne Mai mit seinen Wonnen war vergangen. Alles vergeht! Der
Sonnenstrahl in der Madlenenseele war auch wieder erloschen. Ja, die vermaledeite
Welt! Auf dem Kirchweg hatte die Matthesensbärbel zur Madlene gesagt: Weißes
schon? Der Frieder geht wieder aus, aber freilich erst noch an einer Krücken.
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