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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Zur neuesten Litteraturgeschichte

ebenso "Fürst Bismcirck in München," die Schilderung einer Abendgesellschaft
bei Lenbach, wo dem Dichter plötzlich einfällt

bis dann wieder ebenso plötzlich die Erzählung über Herkules zu Bismarck
zurückkehrt. Zum Beweis, wie bei Hesse das selbsterlebte in immer neuen
Wendungen zu Dichtung wird, mögen noch die Gedichte hervorgehoben werden,
die von seinem einzig schönen Verhältnis zu seiner Frau ausgehen. Schließlich
möchten wir unsern Lesern empfehlen, unmittelbar nach diesen Gedichten einen
Band Dehmel, Hartleben oder Bierbaum zu Probiren, denn -- doch dazu
müssen wir noch etwas weiter ausholen.

Wir haben seit 1870 in Deutschland offenbar sehr viel erreicht, und bis¬
weilen werden wir ja darauf erst durch fremde Beobachter aufmerksam gemacht,
die sich über unsre Fortschritte in der Industrie, im Handel, im Städtebau
oder im Schiffbau verwundern. Dazu hat es doch aber Arbeit gebraucht und
Gedanken, nicht wahr? Ist es denn unverständlich, wenn in diesem "Milieu,"
von dem man ja soviel spricht, die Dichter wirklich einmal ausgeblieben sein
sollten? Das heißt wahre Dichter -- denn Verse machen können wir ja fast
alle, bei der hohen Zucht, sagt einmal Nordau, die unsre Lhrik seit anderthalb
Jahrhunderten erfahren hat, liegt ein ganz annehmbarer Neimklingklcmg jedem
Deutschen im Blute. Es ist eine Erbfähigkeit, die man durch die Abstammung
von deutschen Eltern erlangt, und deren sich jeder Gymnasiast bewußt wird, ja
jeder etwas gebildetere Handwerksbursche. Hieraus folgt nun jedenfalls, erstens
daß Dichter, die als solche gerechnet werden wollen, sich merklich über dieses
Niveau erheben müssen, und zweitens, daß die Litteraturgeschichte, ehe sie
Lückenbüßer einreiht, lieber einmal ein weißes Blatt einlegen soll. Wir stimmen
aber völlig überein mit Grotthuß, der sich in dieser Frage so ausdrückt: Unsre
Kultur hat ihre größten Kunstwerke bereits gezeitigt; das Kunstwerk der Zu¬
kunft kann nur von einer Kultur der Zukunft geschaffen werden. Bis dahin,
fügen wir hinzu, wollen wir uns tüchtige Nachahmer gern gefallen lassen.
Sie sollen sich nur nicht weit über Verdienst geberden.




Zur neuesten Litteraturgeschichte

ebenso „Fürst Bismcirck in München," die Schilderung einer Abendgesellschaft
bei Lenbach, wo dem Dichter plötzlich einfällt

bis dann wieder ebenso plötzlich die Erzählung über Herkules zu Bismarck
zurückkehrt. Zum Beweis, wie bei Hesse das selbsterlebte in immer neuen
Wendungen zu Dichtung wird, mögen noch die Gedichte hervorgehoben werden,
die von seinem einzig schönen Verhältnis zu seiner Frau ausgehen. Schließlich
möchten wir unsern Lesern empfehlen, unmittelbar nach diesen Gedichten einen
Band Dehmel, Hartleben oder Bierbaum zu Probiren, denn — doch dazu
müssen wir noch etwas weiter ausholen.

Wir haben seit 1870 in Deutschland offenbar sehr viel erreicht, und bis¬
weilen werden wir ja darauf erst durch fremde Beobachter aufmerksam gemacht,
die sich über unsre Fortschritte in der Industrie, im Handel, im Städtebau
oder im Schiffbau verwundern. Dazu hat es doch aber Arbeit gebraucht und
Gedanken, nicht wahr? Ist es denn unverständlich, wenn in diesem „Milieu,"
von dem man ja soviel spricht, die Dichter wirklich einmal ausgeblieben sein
sollten? Das heißt wahre Dichter — denn Verse machen können wir ja fast
alle, bei der hohen Zucht, sagt einmal Nordau, die unsre Lhrik seit anderthalb
Jahrhunderten erfahren hat, liegt ein ganz annehmbarer Neimklingklcmg jedem
Deutschen im Blute. Es ist eine Erbfähigkeit, die man durch die Abstammung
von deutschen Eltern erlangt, und deren sich jeder Gymnasiast bewußt wird, ja
jeder etwas gebildetere Handwerksbursche. Hieraus folgt nun jedenfalls, erstens
daß Dichter, die als solche gerechnet werden wollen, sich merklich über dieses
Niveau erheben müssen, und zweitens, daß die Litteraturgeschichte, ehe sie
Lückenbüßer einreiht, lieber einmal ein weißes Blatt einlegen soll. Wir stimmen
aber völlig überein mit Grotthuß, der sich in dieser Frage so ausdrückt: Unsre
Kultur hat ihre größten Kunstwerke bereits gezeitigt; das Kunstwerk der Zu¬
kunft kann nur von einer Kultur der Zukunft geschaffen werden. Bis dahin,
fügen wir hinzu, wollen wir uns tüchtige Nachahmer gern gefallen lassen.
Sie sollen sich nur nicht weit über Verdienst geberden.




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[0324] Zur neuesten Litteraturgeschichte ebenso „Fürst Bismcirck in München," die Schilderung einer Abendgesellschaft bei Lenbach, wo dem Dichter plötzlich einfällt bis dann wieder ebenso plötzlich die Erzählung über Herkules zu Bismarck zurückkehrt. Zum Beweis, wie bei Hesse das selbsterlebte in immer neuen Wendungen zu Dichtung wird, mögen noch die Gedichte hervorgehoben werden, die von seinem einzig schönen Verhältnis zu seiner Frau ausgehen. Schließlich möchten wir unsern Lesern empfehlen, unmittelbar nach diesen Gedichten einen Band Dehmel, Hartleben oder Bierbaum zu Probiren, denn — doch dazu müssen wir noch etwas weiter ausholen. Wir haben seit 1870 in Deutschland offenbar sehr viel erreicht, und bis¬ weilen werden wir ja darauf erst durch fremde Beobachter aufmerksam gemacht, die sich über unsre Fortschritte in der Industrie, im Handel, im Städtebau oder im Schiffbau verwundern. Dazu hat es doch aber Arbeit gebraucht und Gedanken, nicht wahr? Ist es denn unverständlich, wenn in diesem „Milieu," von dem man ja soviel spricht, die Dichter wirklich einmal ausgeblieben sein sollten? Das heißt wahre Dichter — denn Verse machen können wir ja fast alle, bei der hohen Zucht, sagt einmal Nordau, die unsre Lhrik seit anderthalb Jahrhunderten erfahren hat, liegt ein ganz annehmbarer Neimklingklcmg jedem Deutschen im Blute. Es ist eine Erbfähigkeit, die man durch die Abstammung von deutschen Eltern erlangt, und deren sich jeder Gymnasiast bewußt wird, ja jeder etwas gebildetere Handwerksbursche. Hieraus folgt nun jedenfalls, erstens daß Dichter, die als solche gerechnet werden wollen, sich merklich über dieses Niveau erheben müssen, und zweitens, daß die Litteraturgeschichte, ehe sie Lückenbüßer einreiht, lieber einmal ein weißes Blatt einlegen soll. Wir stimmen aber völlig überein mit Grotthuß, der sich in dieser Frage so ausdrückt: Unsre Kultur hat ihre größten Kunstwerke bereits gezeitigt; das Kunstwerk der Zu¬ kunft kann nur von einer Kultur der Zukunft geschaffen werden. Bis dahin, fügen wir hinzu, wollen wir uns tüchtige Nachahmer gern gefallen lassen. Sie sollen sich nur nicht weit über Verdienst geberden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/324>, abgerufen am 07.01.2025.