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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Vas deutsche Dorfwirtshaus

du vielleicht, lieber Leser, auch eine Stimmung, in der du dem grauen Regen¬
schleier dankst, daß er sich zwischen deiner Einsamkeit und der Welt zuzieht?
Jedenfalls thut es beim einförmigen Ton der fallenden Tropfen gut, sich noch
etwas tiefer ins Heu zurückzuziehen und das Gefühl der Geborgenheit im
Trocknen und Warmen zu genießen.

So ungefähr denke ich mir auch das ursprüngliche Wirtshaus, das
ähnlich bei Holzfällern im Walde und bei Fischern am Seestrand sein
mochte. In erweiterter Form, aber im Kern dasselbe war das niedersächsische
Bauernhaus mit dem Herd im Hintergrund der Tenne, über dem Ganzen
der offne Dachstuhl wie in einer byzantinischen Kirche. Wenn in Westfalen
oder im Lüneburgischen ein Bauernhaus Gäste aufnahm, so saßen sie gerade
so um das Herdfeuer wie heute dort in der Alphütte; und ihre Schlafstelle
war dann meistens auch über dem Schafstall neben dem uralten Langhaus.

Im heutigen Wirtshaus ist der Herd streng vom Gastzimmer gesondert.
Der Herd ist eine Werkstätte geworden, die mit zahlreichen kunstreichen Geräten
ausgestattet ist, womit eine entsprechend mannigfaltige Menge von Speisen zu¬
bereitet wird. Eine sehr tiefgehende Arbeitsteilung spricht sich darin aus.
Der halbstädtische Charakter des in ganz Mittel- und Süddeutschland vor¬
herrschenden fränkischen Vauernhauses mit seiner Absonderung mehrerer numme
zum Wohnen, Schlafen und Kochen, außerdem nicht selten noch eines Prunk-
und Vorratzimmers kam dieser Arbeitsteilung entgegen. Daher finden wir
merkwürdigerweise das Wirtshaus auch in solchen Dörfern Niederdeutschlands
nach fränkischem Stil angelegt, wo die Bauernhüuser noch niedersächsisch sind.
In der Abtrennung besondrer Räume kommt auch das alemannische und
bairisch-tirolerische Bauernhaus der Ausscheidung von Küchen- und Wirtschafts¬
räumen entgegen. Daher leuchtet uns hier überall nicht mehr der Herd vom
Mittelpunkt des Hauses her mit seiner die Kultur und die Gastlichkeit sym-
bolistrenden Flamme. Beim Eintritt in das Haus haben wir in der Regel
gleich links von der Hausflur das Wirtszimmer, dessen in der rechten Ecke sich
mächtig erhebender Kachelofen mit seinen behaglichen Bänken die Stelle des
Herdes als Sammelplatz der Hausgenossen und Güste eingenommen hat,
während die gegenüberliegende Kammer als "Herrenstübchen" eingerichtet ist,
wo dazu ein Bedürfnis ist. Ans dem Hintergrund her macht sich durch den
Duft und das Geklapper der Töpfe die Küche bemerklich, und man muß froh
sein, wenn man von der Flur aus einen Einblick in ihr Inneres gewinnt.
Mit dem Herde, dem dunkeln Rauchfang, den leuchtenden kupfernen und zin¬
nernen Geschirren, und durch den bläulichen Dampf, in dem alles erscheint,
ist das oft der einzige noch malerisch gebliebne Raum im ganzen Hause.

Daß nun die Entwicklung doch nicht notwendig gerade diesen Weg nehmen
mußte, lehrt die Erhaltung des großen Vorraumes mit dem Herde in den
französischen und italienischen Wirtshäusern nicht bloß der Dörfer, sondern auch


Vas deutsche Dorfwirtshaus

du vielleicht, lieber Leser, auch eine Stimmung, in der du dem grauen Regen¬
schleier dankst, daß er sich zwischen deiner Einsamkeit und der Welt zuzieht?
Jedenfalls thut es beim einförmigen Ton der fallenden Tropfen gut, sich noch
etwas tiefer ins Heu zurückzuziehen und das Gefühl der Geborgenheit im
Trocknen und Warmen zu genießen.

So ungefähr denke ich mir auch das ursprüngliche Wirtshaus, das
ähnlich bei Holzfällern im Walde und bei Fischern am Seestrand sein
mochte. In erweiterter Form, aber im Kern dasselbe war das niedersächsische
Bauernhaus mit dem Herd im Hintergrund der Tenne, über dem Ganzen
der offne Dachstuhl wie in einer byzantinischen Kirche. Wenn in Westfalen
oder im Lüneburgischen ein Bauernhaus Gäste aufnahm, so saßen sie gerade
so um das Herdfeuer wie heute dort in der Alphütte; und ihre Schlafstelle
war dann meistens auch über dem Schafstall neben dem uralten Langhaus.

Im heutigen Wirtshaus ist der Herd streng vom Gastzimmer gesondert.
Der Herd ist eine Werkstätte geworden, die mit zahlreichen kunstreichen Geräten
ausgestattet ist, womit eine entsprechend mannigfaltige Menge von Speisen zu¬
bereitet wird. Eine sehr tiefgehende Arbeitsteilung spricht sich darin aus.
Der halbstädtische Charakter des in ganz Mittel- und Süddeutschland vor¬
herrschenden fränkischen Vauernhauses mit seiner Absonderung mehrerer numme
zum Wohnen, Schlafen und Kochen, außerdem nicht selten noch eines Prunk-
und Vorratzimmers kam dieser Arbeitsteilung entgegen. Daher finden wir
merkwürdigerweise das Wirtshaus auch in solchen Dörfern Niederdeutschlands
nach fränkischem Stil angelegt, wo die Bauernhüuser noch niedersächsisch sind.
In der Abtrennung besondrer Räume kommt auch das alemannische und
bairisch-tirolerische Bauernhaus der Ausscheidung von Küchen- und Wirtschafts¬
räumen entgegen. Daher leuchtet uns hier überall nicht mehr der Herd vom
Mittelpunkt des Hauses her mit seiner die Kultur und die Gastlichkeit sym-
bolistrenden Flamme. Beim Eintritt in das Haus haben wir in der Regel
gleich links von der Hausflur das Wirtszimmer, dessen in der rechten Ecke sich
mächtig erhebender Kachelofen mit seinen behaglichen Bänken die Stelle des
Herdes als Sammelplatz der Hausgenossen und Güste eingenommen hat,
während die gegenüberliegende Kammer als „Herrenstübchen" eingerichtet ist,
wo dazu ein Bedürfnis ist. Ans dem Hintergrund her macht sich durch den
Duft und das Geklapper der Töpfe die Küche bemerklich, und man muß froh
sein, wenn man von der Flur aus einen Einblick in ihr Inneres gewinnt.
Mit dem Herde, dem dunkeln Rauchfang, den leuchtenden kupfernen und zin¬
nernen Geschirren, und durch den bläulichen Dampf, in dem alles erscheint,
ist das oft der einzige noch malerisch gebliebne Raum im ganzen Hause.

Daß nun die Entwicklung doch nicht notwendig gerade diesen Weg nehmen
mußte, lehrt die Erhaltung des großen Vorraumes mit dem Herde in den
französischen und italienischen Wirtshäusern nicht bloß der Dörfer, sondern auch


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[0308] Vas deutsche Dorfwirtshaus du vielleicht, lieber Leser, auch eine Stimmung, in der du dem grauen Regen¬ schleier dankst, daß er sich zwischen deiner Einsamkeit und der Welt zuzieht? Jedenfalls thut es beim einförmigen Ton der fallenden Tropfen gut, sich noch etwas tiefer ins Heu zurückzuziehen und das Gefühl der Geborgenheit im Trocknen und Warmen zu genießen. So ungefähr denke ich mir auch das ursprüngliche Wirtshaus, das ähnlich bei Holzfällern im Walde und bei Fischern am Seestrand sein mochte. In erweiterter Form, aber im Kern dasselbe war das niedersächsische Bauernhaus mit dem Herd im Hintergrund der Tenne, über dem Ganzen der offne Dachstuhl wie in einer byzantinischen Kirche. Wenn in Westfalen oder im Lüneburgischen ein Bauernhaus Gäste aufnahm, so saßen sie gerade so um das Herdfeuer wie heute dort in der Alphütte; und ihre Schlafstelle war dann meistens auch über dem Schafstall neben dem uralten Langhaus. Im heutigen Wirtshaus ist der Herd streng vom Gastzimmer gesondert. Der Herd ist eine Werkstätte geworden, die mit zahlreichen kunstreichen Geräten ausgestattet ist, womit eine entsprechend mannigfaltige Menge von Speisen zu¬ bereitet wird. Eine sehr tiefgehende Arbeitsteilung spricht sich darin aus. Der halbstädtische Charakter des in ganz Mittel- und Süddeutschland vor¬ herrschenden fränkischen Vauernhauses mit seiner Absonderung mehrerer numme zum Wohnen, Schlafen und Kochen, außerdem nicht selten noch eines Prunk- und Vorratzimmers kam dieser Arbeitsteilung entgegen. Daher finden wir merkwürdigerweise das Wirtshaus auch in solchen Dörfern Niederdeutschlands nach fränkischem Stil angelegt, wo die Bauernhüuser noch niedersächsisch sind. In der Abtrennung besondrer Räume kommt auch das alemannische und bairisch-tirolerische Bauernhaus der Ausscheidung von Küchen- und Wirtschafts¬ räumen entgegen. Daher leuchtet uns hier überall nicht mehr der Herd vom Mittelpunkt des Hauses her mit seiner die Kultur und die Gastlichkeit sym- bolistrenden Flamme. Beim Eintritt in das Haus haben wir in der Regel gleich links von der Hausflur das Wirtszimmer, dessen in der rechten Ecke sich mächtig erhebender Kachelofen mit seinen behaglichen Bänken die Stelle des Herdes als Sammelplatz der Hausgenossen und Güste eingenommen hat, während die gegenüberliegende Kammer als „Herrenstübchen" eingerichtet ist, wo dazu ein Bedürfnis ist. Ans dem Hintergrund her macht sich durch den Duft und das Geklapper der Töpfe die Küche bemerklich, und man muß froh sein, wenn man von der Flur aus einen Einblick in ihr Inneres gewinnt. Mit dem Herde, dem dunkeln Rauchfang, den leuchtenden kupfernen und zin¬ nernen Geschirren, und durch den bläulichen Dampf, in dem alles erscheint, ist das oft der einzige noch malerisch gebliebne Raum im ganzen Hause. Daß nun die Entwicklung doch nicht notwendig gerade diesen Weg nehmen mußte, lehrt die Erhaltung des großen Vorraumes mit dem Herde in den französischen und italienischen Wirtshäusern nicht bloß der Dörfer, sondern auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/308>, abgerufen am 08.01.2025.