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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Anblick empfängt nun den Müden, wenn er vor der breiten Thür des ein¬
fachen Blockhauses seinen Rucksack abhängt, um ihn neben dem Bergstock auf
der Bank neben der Thür abzulegen, wo Reihen hölzerner Weidlinge (Milch¬
schalen) zum Trocknen stehen. Über dem Herdfeuer hat die Stelle des ge¬
waltigen Kessels, worin die Milch für den Käse zum Gerinnen gebracht wird,
eine flache eiserne Pfanne eingenommen, in der ein Schnarren "brotzelt," dem,
indem er sich zu bräunen beginnt, ein herrlicher Geruch entqualmt. Eine
kundige Hand bewegt dieses Mittelding von steifem Brei und Backwerk mit
einem eisernen Schüufelcheu, hebt es immer wieder vom Boden der Pfanne
ab und zerschneidet es in kleinere Stücke. Dem Duft merkt man an, wie süß
die Milch war, die hier mit dem Mehl gemischt wurde, und wie rein die Butter,
in der der Teig brät. Die Pfanne wird jetzt vom Herd gehoben, einer
von den Hirten, der den Wirt spielt, teilt die Blechlöffel aus, und die Ge¬
sellschaft greift mit Wohlgefallen zu, ohne indessen die Mäßigung zu vergessen,
die beim Essen aus gemeinsamer Schüssel geboten ist. So alt wie das ge¬
meinsame Mahl der im Kreise um die Speise gelagerten, so alt ist auch die
Quelle des Anstandes in der Zurückhaltung der Hungrigen, von denen jeder
gleich deu halben Schnarren auffressen möchte, aber geduldig wartet, bis sein
Nachbar "hineingelange" hat. Der moderne Table d'hüte-Mensch, der seinem
Nachbar den letzten Bissen wegißt, kann von diesen einfachen Leuten lernen.

Das Mahl ist beendet, man löscht nun den Durst aus einer Bütte frischen
Wassers, das eben von einer nahen Quelle geholt worden ist, gießt sich Wasser
über die Hände, die man mit wergnem Handtuch abtrocknet. Vielleicht wandert
noch eine Flasche Enzian aus dem Dunkel des Wandschränkchens dort in der,
Ecke unter dem Heiligenbild hervor und würzt zusammen mit dem unvermeid¬
lichen Tabak die Unterhaltung der Hirten und ihres Gastes, die sich wieder
um das Herdfeuer versammelt haben. Es plaudert sich auch ohne das vor¬
trefflich angesichts der Flammen, die wie lebend auf und nieder steigen, sich
ausbreiten und zurücksinken. Es liegt soviel beruhigendes, in Träume
wiegendes im Anschauen eines Herdfeuers; ich würde es nervösen, schlaf¬
suchenden Menschen empfehlen. Eine harzgefüllte Lücke zersprengt mitunter ein
dürres Fichtenscheit mit lautem Knall und schleudert wohl gar einen Feuerbrand
vom Herd. Der Gast, der vermutlich das luftarme Schlafkämmerchen neben
dem gleichzeitig als Käserei, Küche und Gastzimmer dienenden Raum ver¬
schmäht, steigt eine Stunde nach Sonnenuntergang mit wohlversicherter Laterne
einen schmalen Hühnersteig empor zum Heulager über dem Ziegenstall, wo er
sich zwischen zwei Wolldecken unbeschreiblich behaglich bettet. Schön ists dann,
wenn bei der ersten Dämmerung die Sterne ohne Funkeln vom Himmel ver¬
schwinden, und nicht eine Wolke im regenverkündenden Morgenrot heraufzieht;
es ist aber auch nicht so ganz unschön, wenn nach einem warmen Abend ein
Landregen "einsaugt," der mit stiller Notwendigkeit herniederrieselt. Kennst


Anblick empfängt nun den Müden, wenn er vor der breiten Thür des ein¬
fachen Blockhauses seinen Rucksack abhängt, um ihn neben dem Bergstock auf
der Bank neben der Thür abzulegen, wo Reihen hölzerner Weidlinge (Milch¬
schalen) zum Trocknen stehen. Über dem Herdfeuer hat die Stelle des ge¬
waltigen Kessels, worin die Milch für den Käse zum Gerinnen gebracht wird,
eine flache eiserne Pfanne eingenommen, in der ein Schnarren „brotzelt," dem,
indem er sich zu bräunen beginnt, ein herrlicher Geruch entqualmt. Eine
kundige Hand bewegt dieses Mittelding von steifem Brei und Backwerk mit
einem eisernen Schüufelcheu, hebt es immer wieder vom Boden der Pfanne
ab und zerschneidet es in kleinere Stücke. Dem Duft merkt man an, wie süß
die Milch war, die hier mit dem Mehl gemischt wurde, und wie rein die Butter,
in der der Teig brät. Die Pfanne wird jetzt vom Herd gehoben, einer
von den Hirten, der den Wirt spielt, teilt die Blechlöffel aus, und die Ge¬
sellschaft greift mit Wohlgefallen zu, ohne indessen die Mäßigung zu vergessen,
die beim Essen aus gemeinsamer Schüssel geboten ist. So alt wie das ge¬
meinsame Mahl der im Kreise um die Speise gelagerten, so alt ist auch die
Quelle des Anstandes in der Zurückhaltung der Hungrigen, von denen jeder
gleich deu halben Schnarren auffressen möchte, aber geduldig wartet, bis sein
Nachbar „hineingelange" hat. Der moderne Table d'hüte-Mensch, der seinem
Nachbar den letzten Bissen wegißt, kann von diesen einfachen Leuten lernen.

Das Mahl ist beendet, man löscht nun den Durst aus einer Bütte frischen
Wassers, das eben von einer nahen Quelle geholt worden ist, gießt sich Wasser
über die Hände, die man mit wergnem Handtuch abtrocknet. Vielleicht wandert
noch eine Flasche Enzian aus dem Dunkel des Wandschränkchens dort in der,
Ecke unter dem Heiligenbild hervor und würzt zusammen mit dem unvermeid¬
lichen Tabak die Unterhaltung der Hirten und ihres Gastes, die sich wieder
um das Herdfeuer versammelt haben. Es plaudert sich auch ohne das vor¬
trefflich angesichts der Flammen, die wie lebend auf und nieder steigen, sich
ausbreiten und zurücksinken. Es liegt soviel beruhigendes, in Träume
wiegendes im Anschauen eines Herdfeuers; ich würde es nervösen, schlaf¬
suchenden Menschen empfehlen. Eine harzgefüllte Lücke zersprengt mitunter ein
dürres Fichtenscheit mit lautem Knall und schleudert wohl gar einen Feuerbrand
vom Herd. Der Gast, der vermutlich das luftarme Schlafkämmerchen neben
dem gleichzeitig als Käserei, Küche und Gastzimmer dienenden Raum ver¬
schmäht, steigt eine Stunde nach Sonnenuntergang mit wohlversicherter Laterne
einen schmalen Hühnersteig empor zum Heulager über dem Ziegenstall, wo er
sich zwischen zwei Wolldecken unbeschreiblich behaglich bettet. Schön ists dann,
wenn bei der ersten Dämmerung die Sterne ohne Funkeln vom Himmel ver¬
schwinden, und nicht eine Wolke im regenverkündenden Morgenrot heraufzieht;
es ist aber auch nicht so ganz unschön, wenn nach einem warmen Abend ein
Landregen „einsaugt," der mit stiller Notwendigkeit herniederrieselt. Kennst


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[0307] Anblick empfängt nun den Müden, wenn er vor der breiten Thür des ein¬ fachen Blockhauses seinen Rucksack abhängt, um ihn neben dem Bergstock auf der Bank neben der Thür abzulegen, wo Reihen hölzerner Weidlinge (Milch¬ schalen) zum Trocknen stehen. Über dem Herdfeuer hat die Stelle des ge¬ waltigen Kessels, worin die Milch für den Käse zum Gerinnen gebracht wird, eine flache eiserne Pfanne eingenommen, in der ein Schnarren „brotzelt," dem, indem er sich zu bräunen beginnt, ein herrlicher Geruch entqualmt. Eine kundige Hand bewegt dieses Mittelding von steifem Brei und Backwerk mit einem eisernen Schüufelcheu, hebt es immer wieder vom Boden der Pfanne ab und zerschneidet es in kleinere Stücke. Dem Duft merkt man an, wie süß die Milch war, die hier mit dem Mehl gemischt wurde, und wie rein die Butter, in der der Teig brät. Die Pfanne wird jetzt vom Herd gehoben, einer von den Hirten, der den Wirt spielt, teilt die Blechlöffel aus, und die Ge¬ sellschaft greift mit Wohlgefallen zu, ohne indessen die Mäßigung zu vergessen, die beim Essen aus gemeinsamer Schüssel geboten ist. So alt wie das ge¬ meinsame Mahl der im Kreise um die Speise gelagerten, so alt ist auch die Quelle des Anstandes in der Zurückhaltung der Hungrigen, von denen jeder gleich deu halben Schnarren auffressen möchte, aber geduldig wartet, bis sein Nachbar „hineingelange" hat. Der moderne Table d'hüte-Mensch, der seinem Nachbar den letzten Bissen wegißt, kann von diesen einfachen Leuten lernen. Das Mahl ist beendet, man löscht nun den Durst aus einer Bütte frischen Wassers, das eben von einer nahen Quelle geholt worden ist, gießt sich Wasser über die Hände, die man mit wergnem Handtuch abtrocknet. Vielleicht wandert noch eine Flasche Enzian aus dem Dunkel des Wandschränkchens dort in der, Ecke unter dem Heiligenbild hervor und würzt zusammen mit dem unvermeid¬ lichen Tabak die Unterhaltung der Hirten und ihres Gastes, die sich wieder um das Herdfeuer versammelt haben. Es plaudert sich auch ohne das vor¬ trefflich angesichts der Flammen, die wie lebend auf und nieder steigen, sich ausbreiten und zurücksinken. Es liegt soviel beruhigendes, in Träume wiegendes im Anschauen eines Herdfeuers; ich würde es nervösen, schlaf¬ suchenden Menschen empfehlen. Eine harzgefüllte Lücke zersprengt mitunter ein dürres Fichtenscheit mit lautem Knall und schleudert wohl gar einen Feuerbrand vom Herd. Der Gast, der vermutlich das luftarme Schlafkämmerchen neben dem gleichzeitig als Käserei, Küche und Gastzimmer dienenden Raum ver¬ schmäht, steigt eine Stunde nach Sonnenuntergang mit wohlversicherter Laterne einen schmalen Hühnersteig empor zum Heulager über dem Ziegenstall, wo er sich zwischen zwei Wolldecken unbeschreiblich behaglich bettet. Schön ists dann, wenn bei der ersten Dämmerung die Sterne ohne Funkeln vom Himmel ver¬ schwinden, und nicht eine Wolke im regenverkündenden Morgenrot heraufzieht; es ist aber auch nicht so ganz unschön, wenn nach einem warmen Abend ein Landregen „einsaugt," der mit stiller Notwendigkeit herniederrieselt. Kennst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/307>, abgerufen am 07.01.2025.