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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sie "unse für das Volk

verunstaltet und zerfrißt allmählich unsre Bücher, ob wir sie in Pappe oder
in Kalbleder binden, mit Sicherheit, und keine Macht scheint diesen Unfug
aushalten zu können.''')

Das letzte der uns vorliegenden Bändchen heißt Blumenkultus (Wilde
Blumen) und handelt von der Pflege der jetzt vernachlässigten alten Hausblumen,
wenn man diese Bezeichnung gebrauchen darf, die durch die kostbaren Zimmerein¬
richtungen mit den schweren dunkeln Vorhängen verdrängt worden sind. Man
hat ja nicht einmal mehr Blumentöpfe, die Anspruch auf Schönheit machen,
wie sie einst in den Fenstern unsrer Eltern und Großeltern standen, früher
aus Fayence mit Löwenmasken, die einen Ring im Maul hatten, später aus
bemaltem Porzellan; man braucht ja für Gärten und Veranden nur noch die
rohen irdnen Scherben. Man hat auch keine einfachen und dabei stilgerechten
Vasen und Gläser zur Aufnahme abgeschnittener Blumen, denn wer fragt oder
sieht bei den anspruchsvollen Chrysanthemumbüscheln darnach, in was für ge¬
schmacklose Behälter sie gesteckt sind? Hier wird nun wieder das alte Blumen¬
fenster empfohlen, wozu der weißgestrichne Fensterrahmen in seiner Wirkung für
die schlichte Backsteinfassade gehört; wenn nicht in der Stadt, so ließe sich dieser
Schmuck doch draußen wiederherstellen. Dazu wird von Blumentöpfen, neuen
Glasformen, Körben, Gittern, Brettern gehandelt und zuletzt auf deu kleinen
Hausgarten hingewiesen, aus dem die Blume vertrieben ist zu Gunsten einer
"kläglichen Nachahmung der englischen Landschaft." Frischer Nasen und Büsche,
vielleicht sogar ein paar wirkliche Bäume am Hause -- das galt bisher sür
einen Fortschritt gegenüber dem früher säuberlich eingekeilten Küchengarten mit
seinen Blumenrabatten, denn es nimmt sich wie ein Stück Park aus und thut
auch dem Auge wohl. Es ist der englische Garten, den wir vor nun hundert-
fünfzig Jahren zuerst über Hannover und Braunschweig bekamen, und der
dann das Entzücken eines ganzen Zeitalters, des Rousseauschen, war, ge¬
wissermaßen in äußerster Parzellirung. Der Vlumenkultns, meint Lichtwark,
werde den englischen Garten kleinerer Dimension zerstören; dessen Tage seien
gezählt, und dann könne "der kleine Garten am Hause wieder uach künst¬
lerischen Grundsätzen mit geraden Wegen und Blumenbeeten angelegt werden."
Da wären wir also ungefähr wieder am Ausgangspunkte, wenn die Entwicklung
den ihr hier vorgeschriebnen oder vorausgesagten Gang nähme. Ja Lichtwark



Die, Buchbinderei ist aus technischen Gründen zur Drahtheftung übergegangen, nachdem
diese sich bewährt hat, und Fadenhcfter giebt es jetzt gar nicht mehr im großen Betriebe. Es
wird wohl darauf ankommen, ob die Drahtheftung gut oder schlecht ist. Bei guter Arbeit und
solidem Material ist kaum zu fürchten, daß die gerügten Schäden eintreten. Schlechte Faden¬
heftung und schlechter Leim sind wohl ebenso verderblich für die Dauerhaftigkeit der Bücher, wie
schlechte Drahtheftung. Immerhin mag es gut sein, Bibliothekbände, wie es wohl auch meist
geschieht, mit Faden zu heften, da ja für den Draht noch keine Erfahrung von Jahrhunderten
vorliegt. Der Verleger
Grenzboten I 1898 35
Sie «unse für das Volk

verunstaltet und zerfrißt allmählich unsre Bücher, ob wir sie in Pappe oder
in Kalbleder binden, mit Sicherheit, und keine Macht scheint diesen Unfug
aushalten zu können.''')

Das letzte der uns vorliegenden Bändchen heißt Blumenkultus (Wilde
Blumen) und handelt von der Pflege der jetzt vernachlässigten alten Hausblumen,
wenn man diese Bezeichnung gebrauchen darf, die durch die kostbaren Zimmerein¬
richtungen mit den schweren dunkeln Vorhängen verdrängt worden sind. Man
hat ja nicht einmal mehr Blumentöpfe, die Anspruch auf Schönheit machen,
wie sie einst in den Fenstern unsrer Eltern und Großeltern standen, früher
aus Fayence mit Löwenmasken, die einen Ring im Maul hatten, später aus
bemaltem Porzellan; man braucht ja für Gärten und Veranden nur noch die
rohen irdnen Scherben. Man hat auch keine einfachen und dabei stilgerechten
Vasen und Gläser zur Aufnahme abgeschnittener Blumen, denn wer fragt oder
sieht bei den anspruchsvollen Chrysanthemumbüscheln darnach, in was für ge¬
schmacklose Behälter sie gesteckt sind? Hier wird nun wieder das alte Blumen¬
fenster empfohlen, wozu der weißgestrichne Fensterrahmen in seiner Wirkung für
die schlichte Backsteinfassade gehört; wenn nicht in der Stadt, so ließe sich dieser
Schmuck doch draußen wiederherstellen. Dazu wird von Blumentöpfen, neuen
Glasformen, Körben, Gittern, Brettern gehandelt und zuletzt auf deu kleinen
Hausgarten hingewiesen, aus dem die Blume vertrieben ist zu Gunsten einer
„kläglichen Nachahmung der englischen Landschaft." Frischer Nasen und Büsche,
vielleicht sogar ein paar wirkliche Bäume am Hause — das galt bisher sür
einen Fortschritt gegenüber dem früher säuberlich eingekeilten Küchengarten mit
seinen Blumenrabatten, denn es nimmt sich wie ein Stück Park aus und thut
auch dem Auge wohl. Es ist der englische Garten, den wir vor nun hundert-
fünfzig Jahren zuerst über Hannover und Braunschweig bekamen, und der
dann das Entzücken eines ganzen Zeitalters, des Rousseauschen, war, ge¬
wissermaßen in äußerster Parzellirung. Der Vlumenkultns, meint Lichtwark,
werde den englischen Garten kleinerer Dimension zerstören; dessen Tage seien
gezählt, und dann könne „der kleine Garten am Hause wieder uach künst¬
lerischen Grundsätzen mit geraden Wegen und Blumenbeeten angelegt werden."
Da wären wir also ungefähr wieder am Ausgangspunkte, wenn die Entwicklung
den ihr hier vorgeschriebnen oder vorausgesagten Gang nähme. Ja Lichtwark



Die, Buchbinderei ist aus technischen Gründen zur Drahtheftung übergegangen, nachdem
diese sich bewährt hat, und Fadenhcfter giebt es jetzt gar nicht mehr im großen Betriebe. Es
wird wohl darauf ankommen, ob die Drahtheftung gut oder schlecht ist. Bei guter Arbeit und
solidem Material ist kaum zu fürchten, daß die gerügten Schäden eintreten. Schlechte Faden¬
heftung und schlechter Leim sind wohl ebenso verderblich für die Dauerhaftigkeit der Bücher, wie
schlechte Drahtheftung. Immerhin mag es gut sein, Bibliothekbände, wie es wohl auch meist
geschieht, mit Faden zu heften, da ja für den Draht noch keine Erfahrung von Jahrhunderten
vorliegt. Der Verleger
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/277>, abgerufen am 07.01.2025.