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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst für das Volk

graphie aus dem Mitwirken der Liebhaber gezogen habe, und weist auf die
Aufgabe hin, die ihre Teilnahme an der Bildnisphotographie noch zu erfüllen
habe, nämlich an die Stelle des heutigen Verschönerungsverfahrens etwas von
der verschwundnen Wahrheit und schonungsloser Charakteristik der großen alten
Porträtmaler zu' setzen. Als was für ein verwaschnes, haltnngsloses Geschlecht
müssen wir dereinst dem Kunsthistoriker erscheinen, der die Überbleibsel der
photographischen Porträtirknnst auf ihren Inhalt, die Dargestellten, zu prüfen
unternimmt! Ganz besonders lesenswert ist der Aufsatz über Bucheinbände.
Was sür Erinnerungen steigen da in uns auf, wenn wir von den Tugenden
unsrer Vorfahren lesen, von der Buchbindcrkunst im achtzehnten Jahrhundert
und ihren köstlichen Früchten, den geschmackvollen, goldgepreßten Lederbänden
mit farbigen Schildern sür Titel und Bandzahl auf dem hellen Grunde des
Rückens, sodaß nnn eine solche Wand von uniformirten Bücherrücken auf Re¬
galen oder hinter Glas eine dekorative Einheit bildete und vornehmer und be¬
haglicher wirkte, als jedes Prünkmöbel. Liebenswürdigeres, sagt Lichtwark,
als gelbes Kalbleder mit reicher Vergoldung und Schildern in Türkisblau, in
zartem Rot oder Grün läßt sich nicht denken, die Wahl der Farben fordert
ein eignes Studium, hier kann der Liebhaber ans die Leistungsfähigkeit der
Lederfabrikation von großem Einfluß werden.

Ja, ich selbst habe diese schönen Dinge noch mit eignen Augen gesehen,
in den Überbleibseln der Bibliothek meines Urgroßvaters, der kaum wohl¬
habender war als ich. Trotzdem lasse ich mit Vorliebe meine Bücher so binden,
wie man es nach Lichtwarks oberstem Grundsatz vermeiden müßte, nämlich mit
dunkeln Rücken, weil diese nicht so Schmutzer und man die Goldschrift besser
darauf sieht, vor allem aber, weil es billiger ist; und meine Frau, die sich
nicht lange zu besinnen pflegt, wenn sie die Anschaffung eines keinem Gebrauche
dienenden Ziermöbels für nötig hält oder einer kostbaren Portiere oder eines
kleinen Kunstgegenstandes aus Bronze oder Marmor, würde sich wahrscheinlich
gelinde verfärben, wollte ich ihr plötzlich mit einer solchen goldig wirkenden,
kalbledernen Wand hinter den Fenstern meines großen Bücherschranks auf¬
warten. Und sie hätte doch auch Recht damit, denn die Richtung unsers Luxus
hat sich nun einmal geändert. Aber Lichtwark hat ebenfalls Recht, denn er
kann nicht nur mit Hamburger Leder, sondern auch mit Hamburger Gelde
rechnen, und der Gesetzgeber in künstlerischen Dingen soll immer das Höchste
verlangen. Wie sehr nun leider unsre arme Wirklichkeit hinter dem Geforderten
zurückbleibt, das kann der Leser zufällig an diesen allerliebsten Bändchen unsers
ästhetischen Gesetzgebers selbst sehen. Giebt es wohl etwas ordinäreres und
zugleich etwas vergänglicheres, dem Papier schädlicheres, als die Drahtheftung?
Und doch wollen nur unsre kleinen Buchbinder noch mit Faden heften, und
der plebejische Draht, ein Erzeugnis der umfangreichsten Organisation des
Jahrhunderts, der Metallindustrie, also eines der Wahrzeichen unsrer Zeit,


Die Kunst für das Volk

graphie aus dem Mitwirken der Liebhaber gezogen habe, und weist auf die
Aufgabe hin, die ihre Teilnahme an der Bildnisphotographie noch zu erfüllen
habe, nämlich an die Stelle des heutigen Verschönerungsverfahrens etwas von
der verschwundnen Wahrheit und schonungsloser Charakteristik der großen alten
Porträtmaler zu' setzen. Als was für ein verwaschnes, haltnngsloses Geschlecht
müssen wir dereinst dem Kunsthistoriker erscheinen, der die Überbleibsel der
photographischen Porträtirknnst auf ihren Inhalt, die Dargestellten, zu prüfen
unternimmt! Ganz besonders lesenswert ist der Aufsatz über Bucheinbände.
Was sür Erinnerungen steigen da in uns auf, wenn wir von den Tugenden
unsrer Vorfahren lesen, von der Buchbindcrkunst im achtzehnten Jahrhundert
und ihren köstlichen Früchten, den geschmackvollen, goldgepreßten Lederbänden
mit farbigen Schildern sür Titel und Bandzahl auf dem hellen Grunde des
Rückens, sodaß nnn eine solche Wand von uniformirten Bücherrücken auf Re¬
galen oder hinter Glas eine dekorative Einheit bildete und vornehmer und be¬
haglicher wirkte, als jedes Prünkmöbel. Liebenswürdigeres, sagt Lichtwark,
als gelbes Kalbleder mit reicher Vergoldung und Schildern in Türkisblau, in
zartem Rot oder Grün läßt sich nicht denken, die Wahl der Farben fordert
ein eignes Studium, hier kann der Liebhaber ans die Leistungsfähigkeit der
Lederfabrikation von großem Einfluß werden.

Ja, ich selbst habe diese schönen Dinge noch mit eignen Augen gesehen,
in den Überbleibseln der Bibliothek meines Urgroßvaters, der kaum wohl¬
habender war als ich. Trotzdem lasse ich mit Vorliebe meine Bücher so binden,
wie man es nach Lichtwarks oberstem Grundsatz vermeiden müßte, nämlich mit
dunkeln Rücken, weil diese nicht so Schmutzer und man die Goldschrift besser
darauf sieht, vor allem aber, weil es billiger ist; und meine Frau, die sich
nicht lange zu besinnen pflegt, wenn sie die Anschaffung eines keinem Gebrauche
dienenden Ziermöbels für nötig hält oder einer kostbaren Portiere oder eines
kleinen Kunstgegenstandes aus Bronze oder Marmor, würde sich wahrscheinlich
gelinde verfärben, wollte ich ihr plötzlich mit einer solchen goldig wirkenden,
kalbledernen Wand hinter den Fenstern meines großen Bücherschranks auf¬
warten. Und sie hätte doch auch Recht damit, denn die Richtung unsers Luxus
hat sich nun einmal geändert. Aber Lichtwark hat ebenfalls Recht, denn er
kann nicht nur mit Hamburger Leder, sondern auch mit Hamburger Gelde
rechnen, und der Gesetzgeber in künstlerischen Dingen soll immer das Höchste
verlangen. Wie sehr nun leider unsre arme Wirklichkeit hinter dem Geforderten
zurückbleibt, das kann der Leser zufällig an diesen allerliebsten Bändchen unsers
ästhetischen Gesetzgebers selbst sehen. Giebt es wohl etwas ordinäreres und
zugleich etwas vergänglicheres, dem Papier schädlicheres, als die Drahtheftung?
Und doch wollen nur unsre kleinen Buchbinder noch mit Faden heften, und
der plebejische Draht, ein Erzeugnis der umfangreichsten Organisation des
Jahrhunderts, der Metallindustrie, also eines der Wahrzeichen unsrer Zeit,


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[0276] Die Kunst für das Volk graphie aus dem Mitwirken der Liebhaber gezogen habe, und weist auf die Aufgabe hin, die ihre Teilnahme an der Bildnisphotographie noch zu erfüllen habe, nämlich an die Stelle des heutigen Verschönerungsverfahrens etwas von der verschwundnen Wahrheit und schonungsloser Charakteristik der großen alten Porträtmaler zu' setzen. Als was für ein verwaschnes, haltnngsloses Geschlecht müssen wir dereinst dem Kunsthistoriker erscheinen, der die Überbleibsel der photographischen Porträtirknnst auf ihren Inhalt, die Dargestellten, zu prüfen unternimmt! Ganz besonders lesenswert ist der Aufsatz über Bucheinbände. Was sür Erinnerungen steigen da in uns auf, wenn wir von den Tugenden unsrer Vorfahren lesen, von der Buchbindcrkunst im achtzehnten Jahrhundert und ihren köstlichen Früchten, den geschmackvollen, goldgepreßten Lederbänden mit farbigen Schildern sür Titel und Bandzahl auf dem hellen Grunde des Rückens, sodaß nnn eine solche Wand von uniformirten Bücherrücken auf Re¬ galen oder hinter Glas eine dekorative Einheit bildete und vornehmer und be¬ haglicher wirkte, als jedes Prünkmöbel. Liebenswürdigeres, sagt Lichtwark, als gelbes Kalbleder mit reicher Vergoldung und Schildern in Türkisblau, in zartem Rot oder Grün läßt sich nicht denken, die Wahl der Farben fordert ein eignes Studium, hier kann der Liebhaber ans die Leistungsfähigkeit der Lederfabrikation von großem Einfluß werden. Ja, ich selbst habe diese schönen Dinge noch mit eignen Augen gesehen, in den Überbleibseln der Bibliothek meines Urgroßvaters, der kaum wohl¬ habender war als ich. Trotzdem lasse ich mit Vorliebe meine Bücher so binden, wie man es nach Lichtwarks oberstem Grundsatz vermeiden müßte, nämlich mit dunkeln Rücken, weil diese nicht so Schmutzer und man die Goldschrift besser darauf sieht, vor allem aber, weil es billiger ist; und meine Frau, die sich nicht lange zu besinnen pflegt, wenn sie die Anschaffung eines keinem Gebrauche dienenden Ziermöbels für nötig hält oder einer kostbaren Portiere oder eines kleinen Kunstgegenstandes aus Bronze oder Marmor, würde sich wahrscheinlich gelinde verfärben, wollte ich ihr plötzlich mit einer solchen goldig wirkenden, kalbledernen Wand hinter den Fenstern meines großen Bücherschranks auf¬ warten. Und sie hätte doch auch Recht damit, denn die Richtung unsers Luxus hat sich nun einmal geändert. Aber Lichtwark hat ebenfalls Recht, denn er kann nicht nur mit Hamburger Leder, sondern auch mit Hamburger Gelde rechnen, und der Gesetzgeber in künstlerischen Dingen soll immer das Höchste verlangen. Wie sehr nun leider unsre arme Wirklichkeit hinter dem Geforderten zurückbleibt, das kann der Leser zufällig an diesen allerliebsten Bändchen unsers ästhetischen Gesetzgebers selbst sehen. Giebt es wohl etwas ordinäreres und zugleich etwas vergänglicheres, dem Papier schädlicheres, als die Drahtheftung? Und doch wollen nur unsre kleinen Buchbinder noch mit Faden heften, und der plebejische Draht, ein Erzeugnis der umfangreichsten Organisation des Jahrhunderts, der Metallindustrie, also eines der Wahrzeichen unsrer Zeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/276>, abgerufen am 08.01.2025.