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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform des Postpaketportos

das 50-Pfennigporto nicht ganz in dem Sinne benutzt wird, wie die Gesetz¬
geber seinerzeit voraussetzten, so haben sich diese eben getäuscht. Aber ein
ehrlicher Paketabsender oder ein ehrlicher Konkurrent darf deshalb doch
nicht des "Mißbrauchs" geziehen werden, weil er sich eine bestehende Ein¬
richtung ebenso wie jeder andre zu nutze macht. Wir wissen nicht, wie groß
die Zahl der wirklich großen Versandhäuser in Deutschland ist. Aber sagen
wir, es seien 500, und diese schickten täglich je 100 5-Kilopakete ab. Das
würden im ganzen Jahre erst 18^ Millionen Pakete sein. Aber die Zahl der
Paketsendungen beläuft sich zur Zeit in Deutschland auf etwa 140 Millionen
jährlich, darunter etwa 112 Millionen Pakete nach dem 5-Kiloporto. Soll
man dieser 500 Versandgeschäftsbesitzer wegen nun das Porto allgemein ver¬
teuern und somit zugleich die übrigen 52 Millionen Neichsbewohner mit ihren
128 Millionen Paketen bestrafen? Werden nicht gerade die reichen Großkrümer
oder Großhändler auch ein teureres Porto viel leichter tragen als die übrige
Bevölkerung? Denn die überwältigende Mehrzahl ist immer arm, nur etwa
1 Prozent der Bevölkerung hat ein Einkommen von mehr als 3000 Mark.
Wollte man aber bei gleichzeitiger Auslieferung von mehr als 5 Paketen noch
eine besondre Gebühr erheben, wie die Kreuzzeitung seinerzeit vorschlug, was würde
die Folge sein? Ein großes Versandhaus in Berlin würde seinen Kom¬
missionär im Geschüftswagen mit den 100 Paketen ruhig immer von einem Post¬
amt in das andre fahren und überall je 5 Pakete aufgeben lassen, oder es würde
wiederholt und kurz nacheinander mehrere Boten mit je 5 Paketen schicken und
den Absender nicht namhaft machen oder vielleicht sogar hie und da ein
Pseudonym wählen. Und eine Gebühr von je 10 Pfennigen würde oft kaum
abschrecken, ganz abgesehen davon, daß sie ungerecht wäre. Denn einem guten
Kunden und so Zros macht man es doch sonst eher billiger als teurer. Eine
höhere Gebühr aber wäre sinnlos.

Wenn nun aber ein notleidender Landwirt, der sich ja gern die Zwischen¬
händler vom Leibe halten und deren Gewinn selber verdienen möchte, durch
die 5-Kilopakete einen unmittelbaren Verkehr zwischen Produzenten und Kon¬
sumenten geschaffen hat und nun allwöchentlich oder täglich mit einem Dutzend
5-Kilopakete einen Boten zur Post fahren läßt, so würde er von dieser Gebühr
nicht minder getroffen werden. Thatsächlich werden aber Butter, Eier, Honig,
Milch, Sahne, Käse, Geflügel, Wildbret. Obst, Pilze, Spargel und andre feinere
Gemüse oft genug von den Landwirten per Post nach fernern Großstädten
gesandt, wo sie von Restaurateuren, Speisewirten oder Privatkunden wegen
ihrer sichern Reinheit und unmittelbaren Frische gern mit höhern Preisen be¬
zahlt werden als am Orte selbst. 10 5-Kilopakete kosten aber auf 1000 Kilo¬
meter nur 5 Mark; als preußisches Expreßgut würden sie 25 Mark, als Eil¬
gut 11 Mark 20 Pfennige und selbst als Frachtgut noch 5 Mark 60 Pfennige
kosten.


Zur Reform des Postpaketportos

das 50-Pfennigporto nicht ganz in dem Sinne benutzt wird, wie die Gesetz¬
geber seinerzeit voraussetzten, so haben sich diese eben getäuscht. Aber ein
ehrlicher Paketabsender oder ein ehrlicher Konkurrent darf deshalb doch
nicht des „Mißbrauchs" geziehen werden, weil er sich eine bestehende Ein¬
richtung ebenso wie jeder andre zu nutze macht. Wir wissen nicht, wie groß
die Zahl der wirklich großen Versandhäuser in Deutschland ist. Aber sagen
wir, es seien 500, und diese schickten täglich je 100 5-Kilopakete ab. Das
würden im ganzen Jahre erst 18^ Millionen Pakete sein. Aber die Zahl der
Paketsendungen beläuft sich zur Zeit in Deutschland auf etwa 140 Millionen
jährlich, darunter etwa 112 Millionen Pakete nach dem 5-Kiloporto. Soll
man dieser 500 Versandgeschäftsbesitzer wegen nun das Porto allgemein ver¬
teuern und somit zugleich die übrigen 52 Millionen Neichsbewohner mit ihren
128 Millionen Paketen bestrafen? Werden nicht gerade die reichen Großkrümer
oder Großhändler auch ein teureres Porto viel leichter tragen als die übrige
Bevölkerung? Denn die überwältigende Mehrzahl ist immer arm, nur etwa
1 Prozent der Bevölkerung hat ein Einkommen von mehr als 3000 Mark.
Wollte man aber bei gleichzeitiger Auslieferung von mehr als 5 Paketen noch
eine besondre Gebühr erheben, wie die Kreuzzeitung seinerzeit vorschlug, was würde
die Folge sein? Ein großes Versandhaus in Berlin würde seinen Kom¬
missionär im Geschüftswagen mit den 100 Paketen ruhig immer von einem Post¬
amt in das andre fahren und überall je 5 Pakete aufgeben lassen, oder es würde
wiederholt und kurz nacheinander mehrere Boten mit je 5 Paketen schicken und
den Absender nicht namhaft machen oder vielleicht sogar hie und da ein
Pseudonym wählen. Und eine Gebühr von je 10 Pfennigen würde oft kaum
abschrecken, ganz abgesehen davon, daß sie ungerecht wäre. Denn einem guten
Kunden und so Zros macht man es doch sonst eher billiger als teurer. Eine
höhere Gebühr aber wäre sinnlos.

Wenn nun aber ein notleidender Landwirt, der sich ja gern die Zwischen¬
händler vom Leibe halten und deren Gewinn selber verdienen möchte, durch
die 5-Kilopakete einen unmittelbaren Verkehr zwischen Produzenten und Kon¬
sumenten geschaffen hat und nun allwöchentlich oder täglich mit einem Dutzend
5-Kilopakete einen Boten zur Post fahren läßt, so würde er von dieser Gebühr
nicht minder getroffen werden. Thatsächlich werden aber Butter, Eier, Honig,
Milch, Sahne, Käse, Geflügel, Wildbret. Obst, Pilze, Spargel und andre feinere
Gemüse oft genug von den Landwirten per Post nach fernern Großstädten
gesandt, wo sie von Restaurateuren, Speisewirten oder Privatkunden wegen
ihrer sichern Reinheit und unmittelbaren Frische gern mit höhern Preisen be¬
zahlt werden als am Orte selbst. 10 5-Kilopakete kosten aber auf 1000 Kilo¬
meter nur 5 Mark; als preußisches Expreßgut würden sie 25 Mark, als Eil¬
gut 11 Mark 20 Pfennige und selbst als Frachtgut noch 5 Mark 60 Pfennige
kosten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/260>, abgerufen am 07.01.2025.