Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Reichsländische Zeitfragen als irgend einer der bisherigen "Erfolge" der Gesetzgebung; es hat sogar Das ist die Sachlage, die der Regierung im Landesausschuß Oberwasser Reichsländische Zeitfragen als irgend einer der bisherigen „Erfolge" der Gesetzgebung; es hat sogar Das ist die Sachlage, die der Regierung im Landesausschuß Oberwasser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227160"/> <fw type="header" place="top"> Reichsländische Zeitfragen</fw><lb/> <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837"> als irgend einer der bisherigen „Erfolge" der Gesetzgebung; es hat sogar<lb/> sozialpolitischen Wert, denn bis jetzt haben wir im Lande keine Form von<lb/> Einkommensteuer auf bewegliches Vermögen. Es scheint, daß sich die Regie¬<lb/> rung von der Annahme sehr viel verspricht, wahrscheinlich auch für die bevor¬<lb/> stehenden Reichstagswahlen. Der Laudesausschuß seinesteils ist für den Ent¬<lb/> wurf ungünstig gestimmt, wird aber wohl nachgeben müssen. Der Weg dazu<lb/> wird ihm dadurch zu ebnen gesucht, daß der Einführungstermin der Steuer<lb/> erst später festgestellt werden, und daß der Landesausschuß in die General¬<lb/> kommission zur Einführung des Gesetzes die meisten Mitglieder wählen soll.<lb/> Aber das ist wohl ein Pflaster auf die Wunde, jedoch kein Grund, sich die<lb/> Wunde schlagen zu helfen. Für die Zustimmung wird entscheiden, daß sich<lb/> der Landesausschuß in seiner bisherigen Zusammensetzung bedroht fühlt. Er<lb/> fürchtet eine Wahlreform und ist gegen sie auf den guten Willen der Regierung<lb/> angewiesen. Er weiß sehr wohl, daß der Regierung der in den Reichstag ge¬<lb/> brachte Antrag unsrer Separatisten zu radikal ist, aber dadurch ist die Frage<lb/> der Wahlreform in Fluß gekommen, sie ist volkstümlich, und die Regierung<lb/> könnte darauf kommen, es liegt ja nahe genug, die Hochburg der jetzigen Zu¬<lb/> sammensetzung, das Wahlrecht der Bezirkstage, zum Gegenstand der Reform<lb/> zu machen. Was soll der Landesausschuß dagegen thun? Seine Popu¬<lb/> larität ausspielen? Die ist, wie er sehr wohl weiß, nicht vorhanden, er ist<lb/> bestenfalls weniger unpopulär als die Regierung, aber nur, weil er „ein¬<lb/> heimisch" ist. Der Anlaß wäre auch schlecht gewählt, heißt doch der Landes¬<lb/> ausschuß in dem am meisten gelesenen Teil unsrer Presse kaum noch anders<lb/> als Rentnerparlament. Mit Recht oder Unrecht, er heißt jetzt so, und das<lb/> will sür diese Frage sehr viel sagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_839"> Das ist die Sachlage, die der Regierung im Landesausschuß Oberwasser<lb/> verschafft. Die Plänkeleien werden fortgesetzt, gegen Ausnahmegesetze, Deutschtum<lb/> zweiter Klasse usw.; das gehört mit zur Staffage, darf aber über den wirk¬<lb/> lichen Hintergrund nicht täuschen. Der Landesausschuß ist in einer Zwangs¬<lb/> lage. Davon kann so leicht kein politischer „Faktor" etwas abthun, aber es<lb/> kann auch kaum etwas hinzugethan werden. Die Ernennung Herrn Dr. Petris<lb/> insbesondre ist dafür nur Episode, und kaum eine günstige, denn sie wird<lb/> nicht als ein Zugeständnis der Stärke aufgefaßt. Für die Reichstagswahlen<lb/> vollends spielt die Ernennung keine Rolle. Was weiß der oberelsässische<lb/> Fabrikarbeiter, der Bauer aus dem Sundgau von Herrn or. Petri? Was<lb/> der Lothringer? Das sind fast ganz katholische Landesteile, und der Herr<lb/> Pfarrer will von ihm nichts wissen; der Notable, z. B. der protestantische<lb/> Fabrikherr, sieht ihn als abtrünnig an. Im Unterelsaß stehen ja die Wahl¬<lb/> aussichten besser, aber da hätten die Gesinnungsgenossen Herrn Dr. Petris<lb/> auch ohne seine Ernennung für sich oder ihre Schützlinge gewirkt, und bei den<lb/> Massen zählt Herr Dr. Petri auch im Unterelsaß nicht mit, in Straßburg ist<lb/> er dem kleinen Mann zwar bekannt, aber keineswegs volkstümlich.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
Reichsländische Zeitfragen
als irgend einer der bisherigen „Erfolge" der Gesetzgebung; es hat sogar
sozialpolitischen Wert, denn bis jetzt haben wir im Lande keine Form von
Einkommensteuer auf bewegliches Vermögen. Es scheint, daß sich die Regie¬
rung von der Annahme sehr viel verspricht, wahrscheinlich auch für die bevor¬
stehenden Reichstagswahlen. Der Laudesausschuß seinesteils ist für den Ent¬
wurf ungünstig gestimmt, wird aber wohl nachgeben müssen. Der Weg dazu
wird ihm dadurch zu ebnen gesucht, daß der Einführungstermin der Steuer
erst später festgestellt werden, und daß der Landesausschuß in die General¬
kommission zur Einführung des Gesetzes die meisten Mitglieder wählen soll.
Aber das ist wohl ein Pflaster auf die Wunde, jedoch kein Grund, sich die
Wunde schlagen zu helfen. Für die Zustimmung wird entscheiden, daß sich
der Landesausschuß in seiner bisherigen Zusammensetzung bedroht fühlt. Er
fürchtet eine Wahlreform und ist gegen sie auf den guten Willen der Regierung
angewiesen. Er weiß sehr wohl, daß der Regierung der in den Reichstag ge¬
brachte Antrag unsrer Separatisten zu radikal ist, aber dadurch ist die Frage
der Wahlreform in Fluß gekommen, sie ist volkstümlich, und die Regierung
könnte darauf kommen, es liegt ja nahe genug, die Hochburg der jetzigen Zu¬
sammensetzung, das Wahlrecht der Bezirkstage, zum Gegenstand der Reform
zu machen. Was soll der Landesausschuß dagegen thun? Seine Popu¬
larität ausspielen? Die ist, wie er sehr wohl weiß, nicht vorhanden, er ist
bestenfalls weniger unpopulär als die Regierung, aber nur, weil er „ein¬
heimisch" ist. Der Anlaß wäre auch schlecht gewählt, heißt doch der Landes¬
ausschuß in dem am meisten gelesenen Teil unsrer Presse kaum noch anders
als Rentnerparlament. Mit Recht oder Unrecht, er heißt jetzt so, und das
will sür diese Frage sehr viel sagen.
Das ist die Sachlage, die der Regierung im Landesausschuß Oberwasser
verschafft. Die Plänkeleien werden fortgesetzt, gegen Ausnahmegesetze, Deutschtum
zweiter Klasse usw.; das gehört mit zur Staffage, darf aber über den wirk¬
lichen Hintergrund nicht täuschen. Der Landesausschuß ist in einer Zwangs¬
lage. Davon kann so leicht kein politischer „Faktor" etwas abthun, aber es
kann auch kaum etwas hinzugethan werden. Die Ernennung Herrn Dr. Petris
insbesondre ist dafür nur Episode, und kaum eine günstige, denn sie wird
nicht als ein Zugeständnis der Stärke aufgefaßt. Für die Reichstagswahlen
vollends spielt die Ernennung keine Rolle. Was weiß der oberelsässische
Fabrikarbeiter, der Bauer aus dem Sundgau von Herrn or. Petri? Was
der Lothringer? Das sind fast ganz katholische Landesteile, und der Herr
Pfarrer will von ihm nichts wissen; der Notable, z. B. der protestantische
Fabrikherr, sieht ihn als abtrünnig an. Im Unterelsaß stehen ja die Wahl¬
aussichten besser, aber da hätten die Gesinnungsgenossen Herrn Dr. Petris
auch ohne seine Ernennung für sich oder ihre Schützlinge gewirkt, und bei den
Massen zählt Herr Dr. Petri auch im Unterelsaß nicht mit, in Straßburg ist
er dem kleinen Mann zwar bekannt, aber keineswegs volkstümlich.
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