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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Eine Frauenfrage

doch selbst nichts weismachen wollen; wir wissen doch, daß es zum Geschäft
der Macher beiderlei Geschlechts gehört, sich solcher "Kerne" findig zu be¬
mächtigen, und wers nicht weiß, dem zeigts der "Fall Koppen." Weiter habe
ich mit der Frauenbewegung hier, Gott sei Dank, nichts zu thun. Ich wünsche
vielmehr sehr, daß die Dienstbotenfrage, für die ich das Interesse der Grenz¬
botenleser in Anspruch nehmen will, von der "modernen Frauenbewegung"
ganz und gar in Ruhe gelassen werden möchte, sonst wird das Kranke in ihr
nicht gesund, sondern nur noch kränker werden.

Vor kurzem hat der Berliner Statistiker Dr. E. Hirschberg unter dem Titel:
,,Die soziale Lage der arbeitenden Klassen in Berlin" ein recht wertvolles Buch
veröffentlicht. Nicht nur das mit aller Gewissenhaftigkeit geprüfte Material
von Thatsachen, das er beibringt, verleiht der Arbeit eine besondre Bedeutung,
auch die daran geknüpften Betrachtungen und Schlußfolgerungen fallen sehr
vorteilhaft auf gegenüber der Masse von Einseitigkeiten, Übertreibungen und
anmaßenden Urteilen, denen wir in der sonstigen modernen sozialpolitischen
Litteratur auf Schritt und Tritt begegnen; sie scheinen mir um so lehrreicher,
als man sast bei allen einzelnen Fragen den Widerstand des ehrlichen Ge¬
lehrtengewissens und des gesunden Menschenverstandes gegen die Dogmen der
Schule herausfühlt. Das Buch ist jedenfalls allen, die sich wirklich belehren
wollen und Kritik zu üben vermögen, auf das wärmste zu empfehlen. Mit
Recht widmet der Verfasser der Lage der weiblichen Dienstboten, als einer von
der der übrigen Arbeiterinnen sehr verschiednen, ein besondres Kapitel, dessen
Inhalt ich zunächst als den Ausdruck von sozusagen sehnt- und fachmännischer
Anschauungen kurz darlegen will.

Den Dienstboten wird, sagt der Verfasser, der größere Teil des Lohnes
in Naturalien und Wohnung bezahlt, indem sie im Haushalt verpflegt werden
und leben. Hieraus ergiebt sich eine, man kann sagen ,,ununterbrochne Arbeits¬
zeit," da sie zu jeder Stunde zur Verfügung der ,,Dienstherrschaften," wieder
technische Ausdruck lautet, stehen. Selbst die übliche Ausbedingung eines freien
Sonntagnachmittags aller vierzehn Tage wird nicht immer eingehalten, da auch
das von den besondern Umstünden im Haushalt abhängig gemacht werden muß.
Von diesem Standpunkt aus betrachtet, hat die Lage der Dienstmädchen auf
den ersten Blick "ein fast erschreckendes Maß von Unfreiheit," und in der That
kann sie von unverständigen und böswilligen Arbeitgebern arg mißbraucht
werden. Sieht man aber hiervon ab, so ist sie keineswegs beklagenswert. Die
Arbeit ist nicht besonders hart und schwer, sie bringt keine besondern Gefahren
für Gesundheit und Sittlichkeit mit sich, ja sie unterscheidet sich nicht von den
Arbeiten, die so viele Hausfrauen in Berlin -- denn nur der siebente Teil
aller Haushaltungen hat Dienstboten -- selbst verrichten. Vor Kälte, Hunger,
Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit geschützt, leben die Dienstboten als Ge¬
nossinnen des Haushalts, nehmen an dessen Freuden teil, ohne von dessen


Eine Frauenfrage

doch selbst nichts weismachen wollen; wir wissen doch, daß es zum Geschäft
der Macher beiderlei Geschlechts gehört, sich solcher „Kerne" findig zu be¬
mächtigen, und wers nicht weiß, dem zeigts der „Fall Koppen." Weiter habe
ich mit der Frauenbewegung hier, Gott sei Dank, nichts zu thun. Ich wünsche
vielmehr sehr, daß die Dienstbotenfrage, für die ich das Interesse der Grenz¬
botenleser in Anspruch nehmen will, von der „modernen Frauenbewegung"
ganz und gar in Ruhe gelassen werden möchte, sonst wird das Kranke in ihr
nicht gesund, sondern nur noch kränker werden.

Vor kurzem hat der Berliner Statistiker Dr. E. Hirschberg unter dem Titel:
,,Die soziale Lage der arbeitenden Klassen in Berlin" ein recht wertvolles Buch
veröffentlicht. Nicht nur das mit aller Gewissenhaftigkeit geprüfte Material
von Thatsachen, das er beibringt, verleiht der Arbeit eine besondre Bedeutung,
auch die daran geknüpften Betrachtungen und Schlußfolgerungen fallen sehr
vorteilhaft auf gegenüber der Masse von Einseitigkeiten, Übertreibungen und
anmaßenden Urteilen, denen wir in der sonstigen modernen sozialpolitischen
Litteratur auf Schritt und Tritt begegnen; sie scheinen mir um so lehrreicher,
als man sast bei allen einzelnen Fragen den Widerstand des ehrlichen Ge¬
lehrtengewissens und des gesunden Menschenverstandes gegen die Dogmen der
Schule herausfühlt. Das Buch ist jedenfalls allen, die sich wirklich belehren
wollen und Kritik zu üben vermögen, auf das wärmste zu empfehlen. Mit
Recht widmet der Verfasser der Lage der weiblichen Dienstboten, als einer von
der der übrigen Arbeiterinnen sehr verschiednen, ein besondres Kapitel, dessen
Inhalt ich zunächst als den Ausdruck von sozusagen sehnt- und fachmännischer
Anschauungen kurz darlegen will.

Den Dienstboten wird, sagt der Verfasser, der größere Teil des Lohnes
in Naturalien und Wohnung bezahlt, indem sie im Haushalt verpflegt werden
und leben. Hieraus ergiebt sich eine, man kann sagen ,,ununterbrochne Arbeits¬
zeit," da sie zu jeder Stunde zur Verfügung der ,,Dienstherrschaften," wieder
technische Ausdruck lautet, stehen. Selbst die übliche Ausbedingung eines freien
Sonntagnachmittags aller vierzehn Tage wird nicht immer eingehalten, da auch
das von den besondern Umstünden im Haushalt abhängig gemacht werden muß.
Von diesem Standpunkt aus betrachtet, hat die Lage der Dienstmädchen auf
den ersten Blick „ein fast erschreckendes Maß von Unfreiheit," und in der That
kann sie von unverständigen und böswilligen Arbeitgebern arg mißbraucht
werden. Sieht man aber hiervon ab, so ist sie keineswegs beklagenswert. Die
Arbeit ist nicht besonders hart und schwer, sie bringt keine besondern Gefahren
für Gesundheit und Sittlichkeit mit sich, ja sie unterscheidet sich nicht von den
Arbeiten, die so viele Hausfrauen in Berlin — denn nur der siebente Teil
aller Haushaltungen hat Dienstboten — selbst verrichten. Vor Kälte, Hunger,
Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit geschützt, leben die Dienstboten als Ge¬
nossinnen des Haushalts, nehmen an dessen Freuden teil, ohne von dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/238>, abgerufen am 07.01.2025.