Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene zu thun und war sehr früh aufgebrochen, um dann dem Vater, der ins Mähen Aus wars. Kurz wars. Wars Glück? Das Glück ist wohl sehr flüchtig. Aber wie die Saat unter dem Schnee heimlich fortgrünt, und ihr Wurzel- So war das schweigende Elend des Frieder und der Madlene gewissermaßen Der Frieder und die Madlene waren aber so ins Schweigen hineingewachsen, Das Hervorbrechen der so lange im Verborgnen genährten Kraft war so er¬ Der Türkendres war einst als Ameisenhaufen bald eingegangen, und sein Madlene zu thun und war sehr früh aufgebrochen, um dann dem Vater, der ins Mähen Aus wars. Kurz wars. Wars Glück? Das Glück ist wohl sehr flüchtig. Aber wie die Saat unter dem Schnee heimlich fortgrünt, und ihr Wurzel- So war das schweigende Elend des Frieder und der Madlene gewissermaßen Der Frieder und die Madlene waren aber so ins Schweigen hineingewachsen, Das Hervorbrechen der so lange im Verborgnen genährten Kraft war so er¬ Der Türkendres war einst als Ameisenhaufen bald eingegangen, und sein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0224" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227126"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_705" prev="#ID_704"> zu thun und war sehr früh aufgebrochen, um dann dem Vater, der ins Mähen<lb/> gegangen war, die Mvrgensuppe rechtzeitig bringen zu können. Heimwärts ging sie<lb/> auf einem schmalen Fußsteig durch den hohen Roggen, und die Ähren rauschten,<lb/> wie sie so durchschritt, geheimnisvolle Geschichten von vergangner Blüte und<lb/> schwellendem Kern und von der giftstreuenden Roggenmuhme — von Lerchen- und<lb/> Hühnerglück und blutgierigen Habicht und schleichenden Mordfnchs. Und Mndlene<lb/> war wie verloren in Gedanken. Da schallte von der Wiese drunten an der<lb/> Brattendörfer Flurgrenze herauf ein Lachen und Girren und scheuchte Madleue<lb/> vou den Kreuzwegen ihrer Gedanken zurück in die Üppigkeit der Johnnnistagsflnr,<lb/> Sie sah hinunter zur Wiese. Dort stand die Brattendörfer Turteltaube vor dem<lb/> nahenden Frieder, der eben seine Sense mit dem Wetzstein strich. Ein einziger<lb/> kurzer Blick hatte Nvggenmuhmcugift gefangen. Wie im Fieber schwebte Madleue<lb/> zwischen den rauschenden Ähren hin. Der Pfad wurde elastisch uuter ihr und<lb/> schnellte den Fuß bei jedem Tritt empor. Aus ists! ganz ans!</p><lb/> <p xml:id="ID_706"> Aus wars. Kurz wars. Wars Glück? Das Glück ist wohl sehr flüchtig.<lb/> Aber es war noch nicht einmal Glück. Es war das Morgenrot des Glücks, was<lb/> erloschen war. In diesem Morgenrot war das jungfräuliche Herz erwacht und<lb/> wollte aufjubeln zum Himmel wie die steigende Lerche über der märzgrünen Saat.<lb/> Und der Schneesturm war dahergefegt, und ans wars.</p><lb/> <p xml:id="ID_707"> Aber wie die Saat unter dem Schnee heimlich fortgrünt, und ihr Wurzel-<lb/> wachstum sich dabei vertieft, und wie die Lerche von den letzten Wintertücken hinter<lb/> die schützende Scholle getrieben, aber nicht Vertrieben wird aus der Flur ihres zu<lb/> hoffenden NestglückS, zu der sie im Glauben an den Lenz zurückgekehrt ist, so blieb<lb/> ein Schimmer vom Morgenrot des Glücks im Herzen der Madleue haften. Dieser<lb/> Schimmer war acht Jahre lang das heilige Geheimnis des Mädchens. Ob er den<lb/> Glauben umschloß? Sehnen und Leid, jn! Hoffnung? Lieb und Treue, jn!<lb/> Sehnen und Leid, Liebe und Treue bleiben im heiligen Geheimnis eingeschlossen.<lb/> Und wenn die blasse Blüte Von Sehnen und Leid aus den Wangen schlug und<lb/> der Thräuentau darüber zitterte, so war es keinem Menschenkind vergönnt, es zu<lb/> schauen; oder wenn die Liebe und Treue in purpurnen Schein zu Tage trat, so<lb/> war des kein Verständnis ringsherum.</p><lb/> <p xml:id="ID_708"> So war das schweigende Elend des Frieder und der Madlene gewissermaßen<lb/> kein Elend. Es war und blieb ein unbeschreibliches Schweigen, ein Verborgnes<lb/> ihres Seelenlebens, eine Kraft, der das Hineinwachsen ins Leben versagt war.<lb/> Wie Keime der Natur jahrhundertelang dem Erwachen entgegenschlummern, so war<lb/> eben acht Jahre lang jene Kraft in den Seelen der beiden zurückgehalten und ge¬<lb/> borgen geblieben bis zur Erweckung zum Leben dnrch das glückliche Zusammen¬<lb/> treffen im Unglück.</p><lb/> <p xml:id="ID_709"> Der Frieder und die Madlene waren aber so ins Schweigen hineingewachsen,<lb/> daß selbst das Unglück nicht imstande war, ihre Zungen zu lösen. Desto gewaltiger<lb/> reckte sich in ihnen die erweckte Kraft, so gewaltig, daß ihrer Übermacht eben die<lb/> Sprache als ein zu seichtes Gefäß erschien.</p><lb/> <p xml:id="ID_710"> Das Hervorbrechen der so lange im Verborgnen genährten Kraft war so er¬<lb/> schütternd erfolgt, daß Madlene aus sich selbst heraus zum Weib geboren, und<lb/> Frieder mit einem herrlichen Mannesmut erfüllt ward. Und doch behauptete sich<lb/> das Schweigen zwischen ihnen noch eine lange Zeit. Denn nun ist ein halbes<lb/> Jahr für sie länger als die geheimnisvollen acht Jahre.</p><lb/> <p xml:id="ID_711" next="#ID_712"> Der Türkendres war einst als Ameisenhaufen bald eingegangen, und sein<lb/> tückischer Bund mit den. Grundel hatte keine wettern Folgen gehabt. Der Gründe!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0224]
Madlene
zu thun und war sehr früh aufgebrochen, um dann dem Vater, der ins Mähen
gegangen war, die Mvrgensuppe rechtzeitig bringen zu können. Heimwärts ging sie
auf einem schmalen Fußsteig durch den hohen Roggen, und die Ähren rauschten,
wie sie so durchschritt, geheimnisvolle Geschichten von vergangner Blüte und
schwellendem Kern und von der giftstreuenden Roggenmuhme — von Lerchen- und
Hühnerglück und blutgierigen Habicht und schleichenden Mordfnchs. Und Mndlene
war wie verloren in Gedanken. Da schallte von der Wiese drunten an der
Brattendörfer Flurgrenze herauf ein Lachen und Girren und scheuchte Madleue
vou den Kreuzwegen ihrer Gedanken zurück in die Üppigkeit der Johnnnistagsflnr,
Sie sah hinunter zur Wiese. Dort stand die Brattendörfer Turteltaube vor dem
nahenden Frieder, der eben seine Sense mit dem Wetzstein strich. Ein einziger
kurzer Blick hatte Nvggenmuhmcugift gefangen. Wie im Fieber schwebte Madleue
zwischen den rauschenden Ähren hin. Der Pfad wurde elastisch uuter ihr und
schnellte den Fuß bei jedem Tritt empor. Aus ists! ganz ans!
Aus wars. Kurz wars. Wars Glück? Das Glück ist wohl sehr flüchtig.
Aber es war noch nicht einmal Glück. Es war das Morgenrot des Glücks, was
erloschen war. In diesem Morgenrot war das jungfräuliche Herz erwacht und
wollte aufjubeln zum Himmel wie die steigende Lerche über der märzgrünen Saat.
Und der Schneesturm war dahergefegt, und ans wars.
Aber wie die Saat unter dem Schnee heimlich fortgrünt, und ihr Wurzel-
wachstum sich dabei vertieft, und wie die Lerche von den letzten Wintertücken hinter
die schützende Scholle getrieben, aber nicht Vertrieben wird aus der Flur ihres zu
hoffenden NestglückS, zu der sie im Glauben an den Lenz zurückgekehrt ist, so blieb
ein Schimmer vom Morgenrot des Glücks im Herzen der Madleue haften. Dieser
Schimmer war acht Jahre lang das heilige Geheimnis des Mädchens. Ob er den
Glauben umschloß? Sehnen und Leid, jn! Hoffnung? Lieb und Treue, jn!
Sehnen und Leid, Liebe und Treue bleiben im heiligen Geheimnis eingeschlossen.
Und wenn die blasse Blüte Von Sehnen und Leid aus den Wangen schlug und
der Thräuentau darüber zitterte, so war es keinem Menschenkind vergönnt, es zu
schauen; oder wenn die Liebe und Treue in purpurnen Schein zu Tage trat, so
war des kein Verständnis ringsherum.
So war das schweigende Elend des Frieder und der Madlene gewissermaßen
kein Elend. Es war und blieb ein unbeschreibliches Schweigen, ein Verborgnes
ihres Seelenlebens, eine Kraft, der das Hineinwachsen ins Leben versagt war.
Wie Keime der Natur jahrhundertelang dem Erwachen entgegenschlummern, so war
eben acht Jahre lang jene Kraft in den Seelen der beiden zurückgehalten und ge¬
borgen geblieben bis zur Erweckung zum Leben dnrch das glückliche Zusammen¬
treffen im Unglück.
Der Frieder und die Madlene waren aber so ins Schweigen hineingewachsen,
daß selbst das Unglück nicht imstande war, ihre Zungen zu lösen. Desto gewaltiger
reckte sich in ihnen die erweckte Kraft, so gewaltig, daß ihrer Übermacht eben die
Sprache als ein zu seichtes Gefäß erschien.
Das Hervorbrechen der so lange im Verborgnen genährten Kraft war so er¬
schütternd erfolgt, daß Madlene aus sich selbst heraus zum Weib geboren, und
Frieder mit einem herrlichen Mannesmut erfüllt ward. Und doch behauptete sich
das Schweigen zwischen ihnen noch eine lange Zeit. Denn nun ist ein halbes
Jahr für sie länger als die geheimnisvollen acht Jahre.
Der Türkendres war einst als Ameisenhaufen bald eingegangen, und sein
tückischer Bund mit den. Grundel hatte keine wettern Folgen gehabt. Der Gründe!
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