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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Wieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?

Auch hieraus geht hervor, aus welchem Born die Industrie ihren Zufluß
erhält, dem einzigen übrigens, der ihr neben ihrer eignen Vermehrung offen
steht, und den sie auch völlig ausschöpft.

Brentano hat also, wenn wir das Gesagte nochmals kurz zusammenfassen,
lediglich bewiesen, daß bei gleicher Fläche ein Industriestaat mehr Soldaten
stellen kann als ein Agrarstaat, und dies einfach deshalb, weil er mehr Menschen
zu ernähren vermag. Es ist ihm aber mißglückt, durch seine Zahlen zu zeigen,
daß schon jetzt die deutsche Landwirtschaft nicht mehr sei, was sie war: nach
Kraft und Gesinnung der Kern unsrer Kriegsmacht. Wir konnten im Gegen¬
teil zeigen, daß aus ihren Angehörigen der Staat heute noch mindestens die
Hälfte seiner Rekruten erhält, und daß sie wegen der höhern Tauglichkeit
ihrer Heerespslichtigen stärker zum Kriegsdienst herangezogen wird als irgend
eine andre Vevölkerungsschicht.

Das festzustellen, war Aufgabe dieser Zeilen; Prognosen, namentlich wirt¬
schaftliche zu stellen, ist sehr bedenklich -- was uns der deutsche Bauer war
und ist, wissen wir; was uus der große Umschwung zur Industrie bringt:
-S"-^ ^ovi/ttsst xetr"t. Das aber ist gewiß, das Wachstum der Industrie
drängt uns mehr als der Agrarstaat zur Weltpolitik. Schon heute beschäftigen
wir in Bergbau und Hüttenwesen, in Industrie und Bauwesen ebensoviel
Menschen wie das maschinengewaltige England/") das seine zahlreichen Kriegs¬
schiffe in alle Weltteile sendet, um der Handelsflotte den nötigen Rückhalt zu
geben. Unsre Flottenvorlage will dem deutschen Kaufmann das Schwert mit¬
geben, das die alten Kaufleute der Hansa deutsch und klug allezeit an ihrer
Seite trugen. Auf die freie See weist uns unsre Volkswirtschaft, und die
Kraft unsers Volkes wird sich darauf zu halten wissen. Möchten wir aber
immer daran denken, welches Ursprungs diese Kraft ist, und wo ihre starken
Wurzeln liegen. Möchten wir uns im Besitze einer noch starken Landwirt¬
schaft glücklicher fühle" als England, das keine mehr sein eigen nennt, und
möchte ihr allezeit die Rücksicht und Pflege gezollt werden, die ihr als einem
großen Vorrat von unverbrauchter Muskel- und Nervenkraft, als dem Grund¬
quell des deutschen Individualismus zu teil werden muß.


Karl Hoffmann



Nach der Berufszühlung von 1895 zählten wir in den genannten Berufsgruppen
8300000, England nach der Zählung von 1891 9000000 Erwerbsthätige, darunter bei Eng¬
land aber auch die Händler (ässlsi'") mit industriellen Erzeugnissen miteingerechnet.
Wieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?

Auch hieraus geht hervor, aus welchem Born die Industrie ihren Zufluß
erhält, dem einzigen übrigens, der ihr neben ihrer eignen Vermehrung offen
steht, und den sie auch völlig ausschöpft.

Brentano hat also, wenn wir das Gesagte nochmals kurz zusammenfassen,
lediglich bewiesen, daß bei gleicher Fläche ein Industriestaat mehr Soldaten
stellen kann als ein Agrarstaat, und dies einfach deshalb, weil er mehr Menschen
zu ernähren vermag. Es ist ihm aber mißglückt, durch seine Zahlen zu zeigen,
daß schon jetzt die deutsche Landwirtschaft nicht mehr sei, was sie war: nach
Kraft und Gesinnung der Kern unsrer Kriegsmacht. Wir konnten im Gegen¬
teil zeigen, daß aus ihren Angehörigen der Staat heute noch mindestens die
Hälfte seiner Rekruten erhält, und daß sie wegen der höhern Tauglichkeit
ihrer Heerespslichtigen stärker zum Kriegsdienst herangezogen wird als irgend
eine andre Vevölkerungsschicht.

Das festzustellen, war Aufgabe dieser Zeilen; Prognosen, namentlich wirt¬
schaftliche zu stellen, ist sehr bedenklich — was uns der deutsche Bauer war
und ist, wissen wir; was uus der große Umschwung zur Industrie bringt:
-S«-^ ^ovi/ttsst xetr«t. Das aber ist gewiß, das Wachstum der Industrie
drängt uns mehr als der Agrarstaat zur Weltpolitik. Schon heute beschäftigen
wir in Bergbau und Hüttenwesen, in Industrie und Bauwesen ebensoviel
Menschen wie das maschinengewaltige England/") das seine zahlreichen Kriegs¬
schiffe in alle Weltteile sendet, um der Handelsflotte den nötigen Rückhalt zu
geben. Unsre Flottenvorlage will dem deutschen Kaufmann das Schwert mit¬
geben, das die alten Kaufleute der Hansa deutsch und klug allezeit an ihrer
Seite trugen. Auf die freie See weist uns unsre Volkswirtschaft, und die
Kraft unsers Volkes wird sich darauf zu halten wissen. Möchten wir aber
immer daran denken, welches Ursprungs diese Kraft ist, und wo ihre starken
Wurzeln liegen. Möchten wir uns im Besitze einer noch starken Landwirt¬
schaft glücklicher fühle» als England, das keine mehr sein eigen nennt, und
möchte ihr allezeit die Rücksicht und Pflege gezollt werden, die ihr als einem
großen Vorrat von unverbrauchter Muskel- und Nervenkraft, als dem Grund¬
quell des deutschen Individualismus zu teil werden muß.


Karl Hoffmann



Nach der Berufszühlung von 1895 zählten wir in den genannten Berufsgruppen
8300000, England nach der Zählung von 1891 9000000 Erwerbsthätige, darunter bei Eng¬
land aber auch die Händler (ässlsi'») mit industriellen Erzeugnissen miteingerechnet.
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[0218] Wieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft? Auch hieraus geht hervor, aus welchem Born die Industrie ihren Zufluß erhält, dem einzigen übrigens, der ihr neben ihrer eignen Vermehrung offen steht, und den sie auch völlig ausschöpft. Brentano hat also, wenn wir das Gesagte nochmals kurz zusammenfassen, lediglich bewiesen, daß bei gleicher Fläche ein Industriestaat mehr Soldaten stellen kann als ein Agrarstaat, und dies einfach deshalb, weil er mehr Menschen zu ernähren vermag. Es ist ihm aber mißglückt, durch seine Zahlen zu zeigen, daß schon jetzt die deutsche Landwirtschaft nicht mehr sei, was sie war: nach Kraft und Gesinnung der Kern unsrer Kriegsmacht. Wir konnten im Gegen¬ teil zeigen, daß aus ihren Angehörigen der Staat heute noch mindestens die Hälfte seiner Rekruten erhält, und daß sie wegen der höhern Tauglichkeit ihrer Heerespslichtigen stärker zum Kriegsdienst herangezogen wird als irgend eine andre Vevölkerungsschicht. Das festzustellen, war Aufgabe dieser Zeilen; Prognosen, namentlich wirt¬ schaftliche zu stellen, ist sehr bedenklich — was uns der deutsche Bauer war und ist, wissen wir; was uus der große Umschwung zur Industrie bringt: -S«-^ ^ovi/ttsst xetr«t. Das aber ist gewiß, das Wachstum der Industrie drängt uns mehr als der Agrarstaat zur Weltpolitik. Schon heute beschäftigen wir in Bergbau und Hüttenwesen, in Industrie und Bauwesen ebensoviel Menschen wie das maschinengewaltige England/") das seine zahlreichen Kriegs¬ schiffe in alle Weltteile sendet, um der Handelsflotte den nötigen Rückhalt zu geben. Unsre Flottenvorlage will dem deutschen Kaufmann das Schwert mit¬ geben, das die alten Kaufleute der Hansa deutsch und klug allezeit an ihrer Seite trugen. Auf die freie See weist uns unsre Volkswirtschaft, und die Kraft unsers Volkes wird sich darauf zu halten wissen. Möchten wir aber immer daran denken, welches Ursprungs diese Kraft ist, und wo ihre starken Wurzeln liegen. Möchten wir uns im Besitze einer noch starken Landwirt¬ schaft glücklicher fühle» als England, das keine mehr sein eigen nennt, und möchte ihr allezeit die Rücksicht und Pflege gezollt werden, die ihr als einem großen Vorrat von unverbrauchter Muskel- und Nervenkraft, als dem Grund¬ quell des deutschen Individualismus zu teil werden muß. Karl Hoffmann Nach der Berufszühlung von 1895 zählten wir in den genannten Berufsgruppen 8300000, England nach der Zählung von 1891 9000000 Erwerbsthätige, darunter bei Eng¬ land aber auch die Händler (ässlsi'») mit industriellen Erzeugnissen miteingerechnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/218>, abgerufen am 07.01.2025.