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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Wieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?

nimmt, die Frage aber offen läßt, welcher Berufsklasse der Bevölkerung sie
entsprungen sind?

Muß die Beweiskraft seiner Zahlen für die in Rede stehende Frage schon
hiernach Bedenken erregen, so werden sie durch einen zweiten Mangel geradezu
unhaltbar. Hat er es schon innerhalb seiner beiden Wirtschaftsgruppen unter¬
lassen, die Abstammung der darin gebornen Rekruten festzustellen, so geht die
Beurteilung der Herkunft vollends verloren bei der Zusammenleguug dieser
Gruppen aus den einzelnen Neichsgebietsteilen. Ohne Rücksicht nämlich ans
die Vergangenheit der Einzelgebiete und deu schnellen Berufswechsel, den sie
in den dreizehn Jahren von 1882 bis 1895 erlebt haben, sind sie gerade nach
Maßgabe der Berufsgliederung, die ihre Bevölkerung im Jahre 1895 zeigt,
in agrarische und industrielle gesondert worden. Dadurch aber ist es gekommen,
daß eine große Zahl von Rekruten salscherweise zu solchen gestempelt worden
ist, die in industriellen Gebieten geboren sind. Wären 1895 gar bloß noch
Gebiete mit vorwiegend industrieller Bevölkerung vorhanden gewesen, so hätte
Brentano dieser Methode zufolge sagen müssen: Seht, die industriellen
Gebiete haben sämtliche Rekruten aufgebracht, es ist also bewiesen, daß die
Landwirtschaft nicht der Jungbrunnen der Armee ist! Aber selbst wenn man
das Unmögliche zugeben wollte, daß die in den vorherrschend industriellen
Gebieten gebornen Rekruten sämtlich von Eltern abstammten, die einen nicht¬
agrarischen Beruf ausgeübt hatten, so ist es doch undenkbar, daß die Be¬
völkerung der einzelnen Reichsgebietsteile seit zwanzig Jahren immer dieselbe
Berufsgliederung gehabt hätte.

Nun verlangt allerdings die Wahrheit festzustellen, daß Brentano beim
Aufbau seiner Zahlen gar nicht die Absicht hatte, die Frage nach dem Jung¬
brunnen der Armee zu erörtern, er hat die Forschung nach der Vergangenheit
der Rekruten, was ihren Beruf angeht, mit Recht außer Betracht lassen können,
weil er ja nur untersuchen wollte, ob die Industrie, weil sie mehr Menschen
unterhalte, darum auch mehr Rekruten ernähre und dem Staate liefere. Umso
sorgfältiger hätte er aber seine Zahlen nachprüfen müssen, wenn er hinterher
noch durch sie beweisen will, die landwirtschaftliche Bevölkerung verjünge nicht
mehr wie früher das Heer.

Wenn man sich sonach mit Hilfe der Zahlen Brentanos kein Bild davon
macheu kann, wieviel Rekruten die Landwirtschaft Wohl heute noch stellt, und
selbst die Ermittlung des Berufs der Rekrtlleu kein zutreffendes Ergebnis
liefern kann, weil sie das Dunkel nicht aufhellt, das über dem Ursprung der
Rekruten liegt, die von der Industrie gestellt werden, so ist doch die Möglich¬
keit nicht abgeschnitten, die Mindestzahl der Rekruten ländlichen Ursprungs
festzustellen, die heute noch im Heere dienen. Dazu aber ist es nötig, zu einer
Auslassung Brentanos Stellung zu nehmen, die er an der Hand der Neichs-
statiftik zu bekräftigen sucht. Sie betrifft die verschiedene Größe des Gebnrten-


Grenzbow, I 1L"8 27
Wieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?

nimmt, die Frage aber offen läßt, welcher Berufsklasse der Bevölkerung sie
entsprungen sind?

Muß die Beweiskraft seiner Zahlen für die in Rede stehende Frage schon
hiernach Bedenken erregen, so werden sie durch einen zweiten Mangel geradezu
unhaltbar. Hat er es schon innerhalb seiner beiden Wirtschaftsgruppen unter¬
lassen, die Abstammung der darin gebornen Rekruten festzustellen, so geht die
Beurteilung der Herkunft vollends verloren bei der Zusammenleguug dieser
Gruppen aus den einzelnen Neichsgebietsteilen. Ohne Rücksicht nämlich ans
die Vergangenheit der Einzelgebiete und deu schnellen Berufswechsel, den sie
in den dreizehn Jahren von 1882 bis 1895 erlebt haben, sind sie gerade nach
Maßgabe der Berufsgliederung, die ihre Bevölkerung im Jahre 1895 zeigt,
in agrarische und industrielle gesondert worden. Dadurch aber ist es gekommen,
daß eine große Zahl von Rekruten salscherweise zu solchen gestempelt worden
ist, die in industriellen Gebieten geboren sind. Wären 1895 gar bloß noch
Gebiete mit vorwiegend industrieller Bevölkerung vorhanden gewesen, so hätte
Brentano dieser Methode zufolge sagen müssen: Seht, die industriellen
Gebiete haben sämtliche Rekruten aufgebracht, es ist also bewiesen, daß die
Landwirtschaft nicht der Jungbrunnen der Armee ist! Aber selbst wenn man
das Unmögliche zugeben wollte, daß die in den vorherrschend industriellen
Gebieten gebornen Rekruten sämtlich von Eltern abstammten, die einen nicht¬
agrarischen Beruf ausgeübt hatten, so ist es doch undenkbar, daß die Be¬
völkerung der einzelnen Reichsgebietsteile seit zwanzig Jahren immer dieselbe
Berufsgliederung gehabt hätte.

Nun verlangt allerdings die Wahrheit festzustellen, daß Brentano beim
Aufbau seiner Zahlen gar nicht die Absicht hatte, die Frage nach dem Jung¬
brunnen der Armee zu erörtern, er hat die Forschung nach der Vergangenheit
der Rekruten, was ihren Beruf angeht, mit Recht außer Betracht lassen können,
weil er ja nur untersuchen wollte, ob die Industrie, weil sie mehr Menschen
unterhalte, darum auch mehr Rekruten ernähre und dem Staate liefere. Umso
sorgfältiger hätte er aber seine Zahlen nachprüfen müssen, wenn er hinterher
noch durch sie beweisen will, die landwirtschaftliche Bevölkerung verjünge nicht
mehr wie früher das Heer.

Wenn man sich sonach mit Hilfe der Zahlen Brentanos kein Bild davon
macheu kann, wieviel Rekruten die Landwirtschaft Wohl heute noch stellt, und
selbst die Ermittlung des Berufs der Rekrtlleu kein zutreffendes Ergebnis
liefern kann, weil sie das Dunkel nicht aufhellt, das über dem Ursprung der
Rekruten liegt, die von der Industrie gestellt werden, so ist doch die Möglich¬
keit nicht abgeschnitten, die Mindestzahl der Rekruten ländlichen Ursprungs
festzustellen, die heute noch im Heere dienen. Dazu aber ist es nötig, zu einer
Auslassung Brentanos Stellung zu nehmen, die er an der Hand der Neichs-
statiftik zu bekräftigen sucht. Sie betrifft die verschiedene Größe des Gebnrten-


Grenzbow, I 1L»8 27
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[0213] Wieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft? nimmt, die Frage aber offen läßt, welcher Berufsklasse der Bevölkerung sie entsprungen sind? Muß die Beweiskraft seiner Zahlen für die in Rede stehende Frage schon hiernach Bedenken erregen, so werden sie durch einen zweiten Mangel geradezu unhaltbar. Hat er es schon innerhalb seiner beiden Wirtschaftsgruppen unter¬ lassen, die Abstammung der darin gebornen Rekruten festzustellen, so geht die Beurteilung der Herkunft vollends verloren bei der Zusammenleguug dieser Gruppen aus den einzelnen Neichsgebietsteilen. Ohne Rücksicht nämlich ans die Vergangenheit der Einzelgebiete und deu schnellen Berufswechsel, den sie in den dreizehn Jahren von 1882 bis 1895 erlebt haben, sind sie gerade nach Maßgabe der Berufsgliederung, die ihre Bevölkerung im Jahre 1895 zeigt, in agrarische und industrielle gesondert worden. Dadurch aber ist es gekommen, daß eine große Zahl von Rekruten salscherweise zu solchen gestempelt worden ist, die in industriellen Gebieten geboren sind. Wären 1895 gar bloß noch Gebiete mit vorwiegend industrieller Bevölkerung vorhanden gewesen, so hätte Brentano dieser Methode zufolge sagen müssen: Seht, die industriellen Gebiete haben sämtliche Rekruten aufgebracht, es ist also bewiesen, daß die Landwirtschaft nicht der Jungbrunnen der Armee ist! Aber selbst wenn man das Unmögliche zugeben wollte, daß die in den vorherrschend industriellen Gebieten gebornen Rekruten sämtlich von Eltern abstammten, die einen nicht¬ agrarischen Beruf ausgeübt hatten, so ist es doch undenkbar, daß die Be¬ völkerung der einzelnen Reichsgebietsteile seit zwanzig Jahren immer dieselbe Berufsgliederung gehabt hätte. Nun verlangt allerdings die Wahrheit festzustellen, daß Brentano beim Aufbau seiner Zahlen gar nicht die Absicht hatte, die Frage nach dem Jung¬ brunnen der Armee zu erörtern, er hat die Forschung nach der Vergangenheit der Rekruten, was ihren Beruf angeht, mit Recht außer Betracht lassen können, weil er ja nur untersuchen wollte, ob die Industrie, weil sie mehr Menschen unterhalte, darum auch mehr Rekruten ernähre und dem Staate liefere. Umso sorgfältiger hätte er aber seine Zahlen nachprüfen müssen, wenn er hinterher noch durch sie beweisen will, die landwirtschaftliche Bevölkerung verjünge nicht mehr wie früher das Heer. Wenn man sich sonach mit Hilfe der Zahlen Brentanos kein Bild davon macheu kann, wieviel Rekruten die Landwirtschaft Wohl heute noch stellt, und selbst die Ermittlung des Berufs der Rekrtlleu kein zutreffendes Ergebnis liefern kann, weil sie das Dunkel nicht aufhellt, das über dem Ursprung der Rekruten liegt, die von der Industrie gestellt werden, so ist doch die Möglich¬ keit nicht abgeschnitten, die Mindestzahl der Rekruten ländlichen Ursprungs festzustellen, die heute noch im Heere dienen. Dazu aber ist es nötig, zu einer Auslassung Brentanos Stellung zu nehmen, die er an der Hand der Neichs- statiftik zu bekräftigen sucht. Sie betrifft die verschiedene Größe des Gebnrten- Grenzbow, I 1L»8 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/213>, abgerufen am 08.01.2025.