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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Mieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?

der selige Generalleutnant wirklich heute so an seinen König berichtet haben
würde? Die höchste Achtung vor der preußischen und der vom Reiche aus-
gegangnen Arbeiterschutzgesetzgebung, aber das kann man von ihr doch nicht
erwarten, daß sie bei ihrer zum Teil noch großen Jugendlichkeit die industriellen
Bezirke auf der Höhe der Tauglichkeit erhalten habe. Sie hat zwar nicht zu
verkennende Beweise ihrer Wirksamkeit geliefert und wird in späterer Zeit
wohl noch deutlichere bringen, aber mit den Wirkungen der Freizügigkeit, die
in die verdumpften Fabrikreviere die Frische des platten Landes führte, kann
sie nicht in Vergleich gestellt werden. Die Freizügigkeit brachte es im wesentlichen
mit sich, daß die militärische Mindertauglichkeit dieser alten Bezirke gehoben
wurde. Und vollends der Generalleutnant Horn würde für seinen Bericht
schwerlich die wunderliche Methode Brentanos benutzt haben, die aus den
einzelnen Gebieten gebürtigen Rekruten auf die Flächeneinheit zu berechnen und
dann zu schließen, das Land stelle sein Kontingent nicht vollständig. Er hätte
sich nicht ausreden lassen, daß aus dem Gesetze vom 26. Mai 1893, betreffend
die Ersatzverteilung mit Notwendigkeit hervorgehe, daß die Landbevölkerung in
größerer Zahl zum Heeresdienst herangezogen und ihren letzten Manu eher
gestellt haben werde als die gesamte übrige Bevölkerung. Es werde nämlich
der Rekrntenbedarf nach der Zahl der in den einzelnen Armeekorpsbezirkeu
vorhandnen Tauglichen auf diese verteilt; vermöge ein Armeekorpsbezirk seinen
Anteil nicht zu decken, so werde auf die Überzähligen der übrigen Armeekorps¬
bezirke hinübergegriffen. Da aber die größere Tauglichkeit auf dem Lande zu
finden sei, was ja Brentano nicht leugne, so sei es unverständlich, warum
die Landwirtschaft ihr Kontingent nicht vollständig stellen solle.

Hier Hütten wir also zwei Proben davon gehabt, wie Brentano seine
Zahlen nützt. Das meiste aber mutete er ihnen zu, als er in Ur. 8 der
Nation vom 20. November sich also äußerte:

Wenn man entgegen meinen Darlegungen die Behauptung, die landwirtschaft¬
liche Bevölkerung sei der Jungbrunnen unsrer Armee und Marine, aufrecht er¬
halten will, käme es doch vor allem darauf an, sich mit den absoluten Zahlen der
aus den beiden Wirtschaftsgebieten stammenden Rekruten zu beschäftigen. Welches
Gebiet liefert absolut die meisten Soldat"-"? Soweit die Zahl in Frage steht, ist
diese Frage die wichtigste. Allein so viele gegen meine Ausführungen gerichtete
Artikel mir zu Gesicht kamen, keiner, der sie auch nur erwähnt. Man scheint also
zuzugeben, daß an der Thatsache, daß in deu drei Rekrutirnngsjahren 1893/94
bis 1895/96 aus deu überwiegend agrarischen Gebieten nur 247 945, ans den
überwiegend Industrie und Handel treibenden dagegen 512 041 Mannschaften
stammen, gar nicht zu rütteln ist.

Im Kriege kommt es aber darauf an, wie groß absolut die Armeen sind,
nicht darauf, wie sie sich gleichviel zu welchem Maßstabe verhalten.

Wenn also die Frage nach dem Jungbrunnen der Armee zu Ungunsten
der Landwirtschaft damit abgethan sein soll, daß man die absolute Zahl der
aus den überwiegend Industrie und Handel treibenden Gebieten stammenden


Mieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?

der selige Generalleutnant wirklich heute so an seinen König berichtet haben
würde? Die höchste Achtung vor der preußischen und der vom Reiche aus-
gegangnen Arbeiterschutzgesetzgebung, aber das kann man von ihr doch nicht
erwarten, daß sie bei ihrer zum Teil noch großen Jugendlichkeit die industriellen
Bezirke auf der Höhe der Tauglichkeit erhalten habe. Sie hat zwar nicht zu
verkennende Beweise ihrer Wirksamkeit geliefert und wird in späterer Zeit
wohl noch deutlichere bringen, aber mit den Wirkungen der Freizügigkeit, die
in die verdumpften Fabrikreviere die Frische des platten Landes führte, kann
sie nicht in Vergleich gestellt werden. Die Freizügigkeit brachte es im wesentlichen
mit sich, daß die militärische Mindertauglichkeit dieser alten Bezirke gehoben
wurde. Und vollends der Generalleutnant Horn würde für seinen Bericht
schwerlich die wunderliche Methode Brentanos benutzt haben, die aus den
einzelnen Gebieten gebürtigen Rekruten auf die Flächeneinheit zu berechnen und
dann zu schließen, das Land stelle sein Kontingent nicht vollständig. Er hätte
sich nicht ausreden lassen, daß aus dem Gesetze vom 26. Mai 1893, betreffend
die Ersatzverteilung mit Notwendigkeit hervorgehe, daß die Landbevölkerung in
größerer Zahl zum Heeresdienst herangezogen und ihren letzten Manu eher
gestellt haben werde als die gesamte übrige Bevölkerung. Es werde nämlich
der Rekrntenbedarf nach der Zahl der in den einzelnen Armeekorpsbezirkeu
vorhandnen Tauglichen auf diese verteilt; vermöge ein Armeekorpsbezirk seinen
Anteil nicht zu decken, so werde auf die Überzähligen der übrigen Armeekorps¬
bezirke hinübergegriffen. Da aber die größere Tauglichkeit auf dem Lande zu
finden sei, was ja Brentano nicht leugne, so sei es unverständlich, warum
die Landwirtschaft ihr Kontingent nicht vollständig stellen solle.

Hier Hütten wir also zwei Proben davon gehabt, wie Brentano seine
Zahlen nützt. Das meiste aber mutete er ihnen zu, als er in Ur. 8 der
Nation vom 20. November sich also äußerte:

Wenn man entgegen meinen Darlegungen die Behauptung, die landwirtschaft¬
liche Bevölkerung sei der Jungbrunnen unsrer Armee und Marine, aufrecht er¬
halten will, käme es doch vor allem darauf an, sich mit den absoluten Zahlen der
aus den beiden Wirtschaftsgebieten stammenden Rekruten zu beschäftigen. Welches
Gebiet liefert absolut die meisten Soldat»-»? Soweit die Zahl in Frage steht, ist
diese Frage die wichtigste. Allein so viele gegen meine Ausführungen gerichtete
Artikel mir zu Gesicht kamen, keiner, der sie auch nur erwähnt. Man scheint also
zuzugeben, daß an der Thatsache, daß in deu drei Rekrutirnngsjahren 1893/94
bis 1895/96 aus deu überwiegend agrarischen Gebieten nur 247 945, ans den
überwiegend Industrie und Handel treibenden dagegen 512 041 Mannschaften
stammen, gar nicht zu rütteln ist.

Im Kriege kommt es aber darauf an, wie groß absolut die Armeen sind,
nicht darauf, wie sie sich gleichviel zu welchem Maßstabe verhalten.

Wenn also die Frage nach dem Jungbrunnen der Armee zu Ungunsten
der Landwirtschaft damit abgethan sein soll, daß man die absolute Zahl der
aus den überwiegend Industrie und Handel treibenden Gebieten stammenden


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[0211] Mieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft? der selige Generalleutnant wirklich heute so an seinen König berichtet haben würde? Die höchste Achtung vor der preußischen und der vom Reiche aus- gegangnen Arbeiterschutzgesetzgebung, aber das kann man von ihr doch nicht erwarten, daß sie bei ihrer zum Teil noch großen Jugendlichkeit die industriellen Bezirke auf der Höhe der Tauglichkeit erhalten habe. Sie hat zwar nicht zu verkennende Beweise ihrer Wirksamkeit geliefert und wird in späterer Zeit wohl noch deutlichere bringen, aber mit den Wirkungen der Freizügigkeit, die in die verdumpften Fabrikreviere die Frische des platten Landes führte, kann sie nicht in Vergleich gestellt werden. Die Freizügigkeit brachte es im wesentlichen mit sich, daß die militärische Mindertauglichkeit dieser alten Bezirke gehoben wurde. Und vollends der Generalleutnant Horn würde für seinen Bericht schwerlich die wunderliche Methode Brentanos benutzt haben, die aus den einzelnen Gebieten gebürtigen Rekruten auf die Flächeneinheit zu berechnen und dann zu schließen, das Land stelle sein Kontingent nicht vollständig. Er hätte sich nicht ausreden lassen, daß aus dem Gesetze vom 26. Mai 1893, betreffend die Ersatzverteilung mit Notwendigkeit hervorgehe, daß die Landbevölkerung in größerer Zahl zum Heeresdienst herangezogen und ihren letzten Manu eher gestellt haben werde als die gesamte übrige Bevölkerung. Es werde nämlich der Rekrntenbedarf nach der Zahl der in den einzelnen Armeekorpsbezirkeu vorhandnen Tauglichen auf diese verteilt; vermöge ein Armeekorpsbezirk seinen Anteil nicht zu decken, so werde auf die Überzähligen der übrigen Armeekorps¬ bezirke hinübergegriffen. Da aber die größere Tauglichkeit auf dem Lande zu finden sei, was ja Brentano nicht leugne, so sei es unverständlich, warum die Landwirtschaft ihr Kontingent nicht vollständig stellen solle. Hier Hütten wir also zwei Proben davon gehabt, wie Brentano seine Zahlen nützt. Das meiste aber mutete er ihnen zu, als er in Ur. 8 der Nation vom 20. November sich also äußerte: Wenn man entgegen meinen Darlegungen die Behauptung, die landwirtschaft¬ liche Bevölkerung sei der Jungbrunnen unsrer Armee und Marine, aufrecht er¬ halten will, käme es doch vor allem darauf an, sich mit den absoluten Zahlen der aus den beiden Wirtschaftsgebieten stammenden Rekruten zu beschäftigen. Welches Gebiet liefert absolut die meisten Soldat»-»? Soweit die Zahl in Frage steht, ist diese Frage die wichtigste. Allein so viele gegen meine Ausführungen gerichtete Artikel mir zu Gesicht kamen, keiner, der sie auch nur erwähnt. Man scheint also zuzugeben, daß an der Thatsache, daß in deu drei Rekrutirnngsjahren 1893/94 bis 1895/96 aus deu überwiegend agrarischen Gebieten nur 247 945, ans den überwiegend Industrie und Handel treibenden dagegen 512 041 Mannschaften stammen, gar nicht zu rütteln ist. Im Kriege kommt es aber darauf an, wie groß absolut die Armeen sind, nicht darauf, wie sie sich gleichviel zu welchem Maßstabe verhalten. Wenn also die Frage nach dem Jungbrunnen der Armee zu Ungunsten der Landwirtschaft damit abgethan sein soll, daß man die absolute Zahl der aus den überwiegend Industrie und Handel treibenden Gebieten stammenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/211>, abgerufen am 08.01.2025.