Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Ulieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft? -- das ja bei uns sehr rasch war -- eben die Grundlage der Volks¬ Wenn aber in Deutschland von der Gefährdung der Wehrkraft durch die Statt beruhigend zu wirken, hat also diese Veröffentlichung die Sorge Als der moderne Industriebetrieb aufkam, war er rücksichtslos in der Aus¬ Daß also die Fabrikgegenden heute ^ der Rekruten zu stellen vermögen, soll *) Vgl. Anton, Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung, S. W.
Ulieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft? — das ja bei uns sehr rasch war — eben die Grundlage der Volks¬ Wenn aber in Deutschland von der Gefährdung der Wehrkraft durch die Statt beruhigend zu wirken, hat also diese Veröffentlichung die Sorge Als der moderne Industriebetrieb aufkam, war er rücksichtslos in der Aus¬ Daß also die Fabrikgegenden heute ^ der Rekruten zu stellen vermögen, soll *) Vgl. Anton, Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung, S. W.
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Ulieviel Rekruten stellt die Landwirtschaft?
— das ja bei uns sehr rasch war — eben die Grundlage der Volks¬
wirtschaft verschoben hat. Erst sei» Hinweis auf England schließt diese Lücke
in der Beweisführung, macht aber seine Zahlen überhaupt entbehrlich. Er
hätte auch uoch die Juden anführen können, die in der körperlichen Tauglichkeit
— wenigstens wenn man die wohlgenährten Berliner Juden ins Ange faßt —
wohl wenig hinter dem Durchschnitt zurückbleiben, trotzdem daß sie seit beinahe
zwei Jahrtausenden dem Betriebe der Landwirtschaft nach Kräften aus dem
Wege gegangen sind.
Wenn aber in Deutschland von der Gefährdung der Wehrkraft durch die
Industrie gesprochen wird, so kommt die Frage meist in einer andern Richtung
zur Erörterung, die für uns und deu auch Brentano bekannten Arbeiterverhält¬
nissen gegenüber ungleich wichtiger ist. Die Sorge dreht sich nicht darum/
ob wir genng Soldaten haben werden, sondern ob mit dem in die Armee ein¬
dringenden Geiste der industriellen und sich international fühlende» Arbeiter¬
schaft nicht einmal das Wörtlein: Drauf! seine gewaltige Wirkung verlieren
könne. Wenn Brentano sich genan informiren will, wo wirklich der Angel¬
punkt seines Themas liegt, dann überdenke er die Worte, die der Bestnnter-
richtete alljährlich an die Rekruten bei ihrer Vereidigung zu richten pflegt!
Statt beruhigend zu wirken, hat also diese Veröffentlichung die Sorge
um die Wehrkraft unsers Vaterlands vertieft, und dies umso mehr, als
Brentano den mehr akademischen Wert seiner Zahlen nicht genügend hervor¬
gehoben hat; im Gegenteil, er verstärkt ihre Bedeutung durch Ausführungen,
die irre führen können. So schreibt er:
Als der moderne Industriebetrieb aufkam, war er rücksichtslos in der Aus¬
dehnung der Arbeitszeit und in der Ausnutzung der Arbeitskraft von Kindern und
Fromm. Damals (1828) berichtete der Generalleutnant von Horn in seinem Land¬
wehrgeschäftsberichte,") daß die Fabrikgegenden ihr Kontingent zum Ersatze der Armee
nicht vollständig stellen könnten und daher vou deu Kreise», welche Ackerbau treiben,
übertragen werden. Er erwähnt dabei des Übelstands, daß vou den Fabrilunter-
nchmern sogar Kinder in Masse des Nachts zu den Arbeiten benutzt werden. Das
wurde der Ursprung der preußisch-deutschen Arbeitsschutzgesetzgebung. Ihre Wir¬
kungen liegen nnn offenbar. Jener Regierungsbezirk, welcher dem rheinischen Pro-
viuziallaudtac, den ersten Anlaß zur Beschwerde über allzu rücksichtslose Ausnutzung
der Kinderarbeit an den König gab, der Regierungsbezirk Düsseldorf, liefert heute
1696,7 Rekruten ans tausend Quadratkilometer gegen 341,7 Rekruten, welche die
Kreise, welche überwiegend Ackerbau treibe», im Durchschnitt liefern. Herr v. Horn
würde heute zu berichten haben, daß die Ackerbaudistrikte ihr Kontingent zum Ersatz
der Armee nicht vollständig stellen und daher von den Fabrikgegenden übertragen
werden; dies aber nicht etwa, weil das Kontingent der überwiegend agrarischen
Distrikte zurückgegangen wäre, sondern weil das der überwiegend industriellen
Distrikte sich so sehr gesteigert hat.
Daß also die Fabrikgegenden heute ^ der Rekruten zu stellen vermögen, soll
die Wirkung der preußisch-deutschen Arbeiterschutzgesetzgebung sein! Ob aber
*) Vgl. Anton, Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung, S. W.
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