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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Der Arieg von ^866 und seine Folgen

gerade umgekehrt von Tirol abschneiden und im besten Fall aus dem Festungs¬
viereck hinaus, gerade rückwärts in die venetianische Ebene treiben, wo sie an
jedem Flusse eine neue Stellung finden und ihre Nückzugsliuie immer ganz
ungefährdet gerade hinter sich haben würden! Und die Freiwilligen unter
Garibaldi will er nicht nach Dalmatien schicken, wo sie ein Königreich unter
Waffen bringen können, sondern nach Tirol, wo sie sehr bald auf die deutsche
Bevölkerung und einen sehr hartnäckigen Widerstand stoßen werden; wo sie
die Landesschützen in Bewegung bringen, das heißt Streitkräfte in Bewegung
setzen werden, die als solche gar nicht wirksam werden können, ja gar nicht
da sind, wenn man sie nicht unnützer- und thörichterweise in ihrer unmittel¬
baren Heimat aufsucht und aufstört, die aber, einmal in solcher Weise auf¬
gestört, Garibaldi und seine Freischaren für den ganzen übrigen Krieg neutra-
lisiren können und werden."

Bei La Marmoras hoffnungsloser Bornirtheit schien es zwar nicht mög¬
lich, ihn zu einem vernünftigen Feldzugsplane zu bewegen; trotzdem beschloß
Usedom eine Denkschrift auszuarbeiten, in der er darlegte, die Italiener würden,
wenn sie ihren Plänen gemäß etwa nur bis Udine vorgingen, den Preußen
weniger nützen, als wenn sie gar nichts thäten. War schon dieser ganz über¬
flüssigerweise beleidigende Ausdruck höchst unglücklich gewählt, so konnte
außerdem, wie Bernhardt sagt, die unzusammenhüngende Argumentation und
die dilettantische Weise, in der die militärischen Operationen in der Note be¬
sprochen wurden, für sich allein keinen Feldherrn bestimmen, einen fremden
Feldzugsplan anzunehmen. Der Verabredung gemäß arbeitete gleichzeitig
Bernhardt selbst eine Denkschrift aus, in der er sich auf den Beweis beschränkte,
daß durch die Eroberung einer oder mehrerer italienischer Festungen für die
in Böhmen und an der Donau liegende Entscheidung des Krieges nichts ge-
wonnen sei, und daß die Italiener, um Preußen wirklich zu fördern und
zur Entscheidung beizutragen, entweder die österreichische Armee bei Verona
festhalten oder ihr auf dem Fuße bis zur Donau folgen müßten: "Das erste
konnten sie nur dadurch bewirken, daß sie der Armee des Erzherzogs Albrecht
den Rückweg nach den deutschen Provinzen Österreichs in der Stellung bei
Caldiero verlegten und ihr, wenn sie den Rückzug durch das Pusterthal an¬
trat, wieder bei Laibach den Weg sperrten. Gelang es aber nicht, sie von der
Donau abzusperren, so mußten sie wenigstens zugleich mit ihr dort eintreffen."

Und nun kommt das Unglaubliche: Usedom übergab am 18. Juni 1866, wie
er später selbst gestanden hat, und wie erst jetzt aus Bernhardts Aufzeichnungen
bekannt wird, La Marmora nur seine eigne Denkschrift und unterschlug ihm die
von Bernhardt ausgearbeitete! Hätte er wenigstens von der Absicht, diese ebenso
schändliche als alberne Gewissenlosigkeit zu begehen, Bernhardt Mitteilung
gemacht, so Hütte Bernhardt die Sache vielleicht noch rückgängig machen können,
so aber hat er seine diplomatische Heldenthat erst zwei Jahre später, am 22. Juli


Der Arieg von ^866 und seine Folgen

gerade umgekehrt von Tirol abschneiden und im besten Fall aus dem Festungs¬
viereck hinaus, gerade rückwärts in die venetianische Ebene treiben, wo sie an
jedem Flusse eine neue Stellung finden und ihre Nückzugsliuie immer ganz
ungefährdet gerade hinter sich haben würden! Und die Freiwilligen unter
Garibaldi will er nicht nach Dalmatien schicken, wo sie ein Königreich unter
Waffen bringen können, sondern nach Tirol, wo sie sehr bald auf die deutsche
Bevölkerung und einen sehr hartnäckigen Widerstand stoßen werden; wo sie
die Landesschützen in Bewegung bringen, das heißt Streitkräfte in Bewegung
setzen werden, die als solche gar nicht wirksam werden können, ja gar nicht
da sind, wenn man sie nicht unnützer- und thörichterweise in ihrer unmittel¬
baren Heimat aufsucht und aufstört, die aber, einmal in solcher Weise auf¬
gestört, Garibaldi und seine Freischaren für den ganzen übrigen Krieg neutra-
lisiren können und werden."

Bei La Marmoras hoffnungsloser Bornirtheit schien es zwar nicht mög¬
lich, ihn zu einem vernünftigen Feldzugsplane zu bewegen; trotzdem beschloß
Usedom eine Denkschrift auszuarbeiten, in der er darlegte, die Italiener würden,
wenn sie ihren Plänen gemäß etwa nur bis Udine vorgingen, den Preußen
weniger nützen, als wenn sie gar nichts thäten. War schon dieser ganz über¬
flüssigerweise beleidigende Ausdruck höchst unglücklich gewählt, so konnte
außerdem, wie Bernhardt sagt, die unzusammenhüngende Argumentation und
die dilettantische Weise, in der die militärischen Operationen in der Note be¬
sprochen wurden, für sich allein keinen Feldherrn bestimmen, einen fremden
Feldzugsplan anzunehmen. Der Verabredung gemäß arbeitete gleichzeitig
Bernhardt selbst eine Denkschrift aus, in der er sich auf den Beweis beschränkte,
daß durch die Eroberung einer oder mehrerer italienischer Festungen für die
in Böhmen und an der Donau liegende Entscheidung des Krieges nichts ge-
wonnen sei, und daß die Italiener, um Preußen wirklich zu fördern und
zur Entscheidung beizutragen, entweder die österreichische Armee bei Verona
festhalten oder ihr auf dem Fuße bis zur Donau folgen müßten: „Das erste
konnten sie nur dadurch bewirken, daß sie der Armee des Erzherzogs Albrecht
den Rückweg nach den deutschen Provinzen Österreichs in der Stellung bei
Caldiero verlegten und ihr, wenn sie den Rückzug durch das Pusterthal an¬
trat, wieder bei Laibach den Weg sperrten. Gelang es aber nicht, sie von der
Donau abzusperren, so mußten sie wenigstens zugleich mit ihr dort eintreffen."

Und nun kommt das Unglaubliche: Usedom übergab am 18. Juni 1866, wie
er später selbst gestanden hat, und wie erst jetzt aus Bernhardts Aufzeichnungen
bekannt wird, La Marmora nur seine eigne Denkschrift und unterschlug ihm die
von Bernhardt ausgearbeitete! Hätte er wenigstens von der Absicht, diese ebenso
schändliche als alberne Gewissenlosigkeit zu begehen, Bernhardt Mitteilung
gemacht, so Hütte Bernhardt die Sache vielleicht noch rückgängig machen können,
so aber hat er seine diplomatische Heldenthat erst zwei Jahre später, am 22. Juli


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[0182] Der Arieg von ^866 und seine Folgen gerade umgekehrt von Tirol abschneiden und im besten Fall aus dem Festungs¬ viereck hinaus, gerade rückwärts in die venetianische Ebene treiben, wo sie an jedem Flusse eine neue Stellung finden und ihre Nückzugsliuie immer ganz ungefährdet gerade hinter sich haben würden! Und die Freiwilligen unter Garibaldi will er nicht nach Dalmatien schicken, wo sie ein Königreich unter Waffen bringen können, sondern nach Tirol, wo sie sehr bald auf die deutsche Bevölkerung und einen sehr hartnäckigen Widerstand stoßen werden; wo sie die Landesschützen in Bewegung bringen, das heißt Streitkräfte in Bewegung setzen werden, die als solche gar nicht wirksam werden können, ja gar nicht da sind, wenn man sie nicht unnützer- und thörichterweise in ihrer unmittel¬ baren Heimat aufsucht und aufstört, die aber, einmal in solcher Weise auf¬ gestört, Garibaldi und seine Freischaren für den ganzen übrigen Krieg neutra- lisiren können und werden." Bei La Marmoras hoffnungsloser Bornirtheit schien es zwar nicht mög¬ lich, ihn zu einem vernünftigen Feldzugsplane zu bewegen; trotzdem beschloß Usedom eine Denkschrift auszuarbeiten, in der er darlegte, die Italiener würden, wenn sie ihren Plänen gemäß etwa nur bis Udine vorgingen, den Preußen weniger nützen, als wenn sie gar nichts thäten. War schon dieser ganz über¬ flüssigerweise beleidigende Ausdruck höchst unglücklich gewählt, so konnte außerdem, wie Bernhardt sagt, die unzusammenhüngende Argumentation und die dilettantische Weise, in der die militärischen Operationen in der Note be¬ sprochen wurden, für sich allein keinen Feldherrn bestimmen, einen fremden Feldzugsplan anzunehmen. Der Verabredung gemäß arbeitete gleichzeitig Bernhardt selbst eine Denkschrift aus, in der er sich auf den Beweis beschränkte, daß durch die Eroberung einer oder mehrerer italienischer Festungen für die in Böhmen und an der Donau liegende Entscheidung des Krieges nichts ge- wonnen sei, und daß die Italiener, um Preußen wirklich zu fördern und zur Entscheidung beizutragen, entweder die österreichische Armee bei Verona festhalten oder ihr auf dem Fuße bis zur Donau folgen müßten: „Das erste konnten sie nur dadurch bewirken, daß sie der Armee des Erzherzogs Albrecht den Rückweg nach den deutschen Provinzen Österreichs in der Stellung bei Caldiero verlegten und ihr, wenn sie den Rückzug durch das Pusterthal an¬ trat, wieder bei Laibach den Weg sperrten. Gelang es aber nicht, sie von der Donau abzusperren, so mußten sie wenigstens zugleich mit ihr dort eintreffen." Und nun kommt das Unglaubliche: Usedom übergab am 18. Juni 1866, wie er später selbst gestanden hat, und wie erst jetzt aus Bernhardts Aufzeichnungen bekannt wird, La Marmora nur seine eigne Denkschrift und unterschlug ihm die von Bernhardt ausgearbeitete! Hätte er wenigstens von der Absicht, diese ebenso schändliche als alberne Gewissenlosigkeit zu begehen, Bernhardt Mitteilung gemacht, so Hütte Bernhardt die Sache vielleicht noch rückgängig machen können, so aber hat er seine diplomatische Heldenthat erst zwei Jahre später, am 22. Juli

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/182>, abgerufen am 07.01.2025.