Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene Es wird nicht. Aber die Brattendörfer Christel holte Mndlene aus ihrem Winkel hervor und Da stand Madlene auf dem Plan, und als die Fiedel mit ihren Unterthanen Nur keinen Nagel zum Sarg geschmiedet! Dazu ist uoch Zeit. Es muß Der Walzer ist ans. Madlene steht vor der Schützin. Und die Schützin Und die Fiedel erhob sich abermals mit ihren Uuterhauen zu einem leben¬ Als er zu Ende war, stand der Frieder wie versteinert auf der Höhe des Madlene war verschwunden vom Tanzboden. Es war ihr nicht zum Heil Endlich verläßt junges Volk den Tanzboden, und verliert sich gruppen- oder Madlene Es wird nicht. Aber die Brattendörfer Christel holte Mndlene aus ihrem Winkel hervor und Da stand Madlene auf dem Plan, und als die Fiedel mit ihren Unterthanen Nur keinen Nagel zum Sarg geschmiedet! Dazu ist uoch Zeit. Es muß Der Walzer ist ans. Madlene steht vor der Schützin. Und die Schützin Und die Fiedel erhob sich abermals mit ihren Uuterhauen zu einem leben¬ Als er zu Ende war, stand der Frieder wie versteinert auf der Höhe des Madlene war verschwunden vom Tanzboden. Es war ihr nicht zum Heil Endlich verläßt junges Volk den Tanzboden, und verliert sich gruppen- oder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227071"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_533"> Es wird nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_534"> Aber die Brattendörfer Christel holte Mndlene aus ihrem Winkel hervor und<lb/> lachte und girrte. El, du Herrjemine! Da dorre gehts heckenhoch! Schämst dich<lb/> wohl wegen der Maien? Der Türk'endres tanzt wie ein feuriger Mann auf der<lb/> Wiesen. Hab schon zwei Reihn mit ihm gemacht. Und du wirst mir net bös!</p><lb/> <p xml:id="ID_535"> Da stand Madlene auf dem Plan, und als die Fiedel mit ihren Unterthanen<lb/> aufbegehrte, kam wahrhaftig der Türkendres und umfaßte die Madlene nud schnalzte<lb/> und klappte nud trappte und juchzte und walzte, daß es der Madlene grün und<lb/> gelb vor den Augen ward. Dahin flogen sie wie ein Wüstenwirbel. Und hinter<lb/> dem Grummetloch fing das andre Herz an zu pochen wie der Hammer eines Nagel¬<lb/> schmiedes.</p><lb/> <p xml:id="ID_536"> Nur keinen Nagel zum Sarg geschmiedet! Dazu ist uoch Zeit. Es muß<lb/> gar viel Zeit erfüllt werden, ehe es zum Sarg kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_537"> Der Walzer ist ans. Madlene steht vor der Schützin. Und die Schützin<lb/> zupft an dem Mieder der Madlene: He, Madlene! Es sind halt doch schöne<lb/> Feiertag, die Pfingsten, wenn einem Maien gesetzt wordeu sind! Das war ein<lb/> Schlag auf einen Nagel zum Sarg. Hämmert ihr immer zu! Die Madlene stirbt<lb/> nicht gleich; sie ist uoch zu jung.</p><lb/> <p xml:id="ID_538"> Und die Fiedel erhob sich abermals mit ihren Uuterhauen zu einem leben¬<lb/> sprühenden Galopp. Da ward Madlene sanft umfaßt, daß sie von dieser Berührung<lb/> zusammenschauerte, so sanft war sie. Und ihre Seele trat zurück aus allen Glieder»<lb/> und flüchtete sich ins heilige Kämmerlein, daß die Arme wie gelähmt niedersanken,<lb/> und die Kniee zitterten, und die Fußknöchel wankten. Der Frieder hatte seinen<lb/> rechten Arm um sie gelegt, daß er ans den gemauerten Hüften ruhte. Er sah<lb/> nicht in das blasse Antlitz; sein Blick fiel zur Erde. Und bevor sich die süße Ge¬<lb/> stalt belebte, durchzuckte es den Frieder wie ein ungeheurer Schmerz. Mit dem<lb/> Türkcndrcseu war sie dahin geflogen wie eine Feder, vor ihm stand die Unlust.<lb/> Das war ein trauriger Galopp.</p><lb/> <p xml:id="ID_539"> Als er zu Ende war, stand der Frieder wie versteinert auf der Höhe des<lb/> Stolzes, aber ohne die Stützen des Edelmuth; er hatte den Knotenstock der Ver¬<lb/> zweiflung zur Hand. Und als sich die Fiedel mit ihren Unterthanen zu einem<lb/> lustigen Gelächter anließ, warf er sich der Triltschenchristel an die Brust und fegte<lb/> über den Boden hin wie ein ausgelassener Bube. Er juchzte nicht, aber die Christel<lb/> lachte und girrte in Lust wie eine Siegerin.</p><lb/> <p xml:id="ID_540"> Madlene war verschwunden vom Tanzboden. Es war ihr nicht zum Heil<lb/> geraten, wie wir wähnten, daß sie vom Weltrad erfaßt und in den Luststrndel<lb/> gerissen ward. 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Ihr Leid, ihr achtjähriges, stummes<lb/> Elend hat in selbiger Nacht begonnen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0169]
Madlene
Es wird nicht.
Aber die Brattendörfer Christel holte Mndlene aus ihrem Winkel hervor und
lachte und girrte. El, du Herrjemine! Da dorre gehts heckenhoch! Schämst dich
wohl wegen der Maien? Der Türk'endres tanzt wie ein feuriger Mann auf der
Wiesen. Hab schon zwei Reihn mit ihm gemacht. Und du wirst mir net bös!
Da stand Madlene auf dem Plan, und als die Fiedel mit ihren Unterthanen
aufbegehrte, kam wahrhaftig der Türkendres und umfaßte die Madlene nud schnalzte
und klappte nud trappte und juchzte und walzte, daß es der Madlene grün und
gelb vor den Augen ward. Dahin flogen sie wie ein Wüstenwirbel. Und hinter
dem Grummetloch fing das andre Herz an zu pochen wie der Hammer eines Nagel¬
schmiedes.
Nur keinen Nagel zum Sarg geschmiedet! Dazu ist uoch Zeit. Es muß
gar viel Zeit erfüllt werden, ehe es zum Sarg kommt.
Der Walzer ist ans. Madlene steht vor der Schützin. Und die Schützin
zupft an dem Mieder der Madlene: He, Madlene! Es sind halt doch schöne
Feiertag, die Pfingsten, wenn einem Maien gesetzt wordeu sind! Das war ein
Schlag auf einen Nagel zum Sarg. Hämmert ihr immer zu! Die Madlene stirbt
nicht gleich; sie ist uoch zu jung.
Und die Fiedel erhob sich abermals mit ihren Uuterhauen zu einem leben¬
sprühenden Galopp. Da ward Madlene sanft umfaßt, daß sie von dieser Berührung
zusammenschauerte, so sanft war sie. Und ihre Seele trat zurück aus allen Glieder»
und flüchtete sich ins heilige Kämmerlein, daß die Arme wie gelähmt niedersanken,
und die Kniee zitterten, und die Fußknöchel wankten. Der Frieder hatte seinen
rechten Arm um sie gelegt, daß er ans den gemauerten Hüften ruhte. Er sah
nicht in das blasse Antlitz; sein Blick fiel zur Erde. Und bevor sich die süße Ge¬
stalt belebte, durchzuckte es den Frieder wie ein ungeheurer Schmerz. Mit dem
Türkcndrcseu war sie dahin geflogen wie eine Feder, vor ihm stand die Unlust.
Das war ein trauriger Galopp.
Als er zu Ende war, stand der Frieder wie versteinert auf der Höhe des
Stolzes, aber ohne die Stützen des Edelmuth; er hatte den Knotenstock der Ver¬
zweiflung zur Hand. Und als sich die Fiedel mit ihren Unterthanen zu einem
lustigen Gelächter anließ, warf er sich der Triltschenchristel an die Brust und fegte
über den Boden hin wie ein ausgelassener Bube. Er juchzte nicht, aber die Christel
lachte und girrte in Lust wie eine Siegerin.
Madlene war verschwunden vom Tanzboden. Es war ihr nicht zum Heil
geraten, wie wir wähnten, daß sie vom Weltrad erfaßt und in den Luststrndel
gerissen ward. Das höhnende Getöse vom Wirtshaus her, aus dem heraus die
stechenden und kreischenden Töne der Fiedel und Klarinette sie wie Nadeln trafen,
verfolgte die Madlene, bis sie erschöpft ans einen Bauholzstamm unter der „alte»
Linde" niedersank. Da starrte sie vor sich hin in die Nacht hinein wie eine Irr¬
sinnige. So saß sie lange.
Endlich verläßt junges Volk den Tanzboden, und verliert sich gruppen- oder
paarweise schäkernd und kichernd durchs Dorf. Da schleicht sich Madlene hinter
eine Gartenbeete am Saum der Ane, an dem ein Fußsteig uach Brattendorf hin¬
führt, und wartet. Nicht lange, da kommen die Brattendörfer. Den Schluß der
Lichtstnbe macht ein vertrautes Partein. Am Lachen und Girren erkennt Madlene
die Triltschenchristel. Und der sie umschlungen führt? Er ists! stößt Mndlene
hervor. Dann schleicht sie sich nach Haus. Ihr Leid, ihr achtjähriges, stummes
Elend hat in selbiger Nacht begonnen.
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