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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

etwas gebirgshafter zu steigern trachtet. Der Sommerverkehr vermehrt so
plötzlich die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, daß ohne den Schnellverkehr so
manches Gebirgsdorf und noch eher manches Seebad von Hungersnot heim¬
gesucht werden würde. Daß das ländliche Wirtshaus ländlichen Überfluß
bietet, kommt nur noch in den von Fremden am wenigsten besuchten Gegenden
vor; oder der einsame Winterreisende erfährt diesen Segen, wenn ihn sein
Stern zur Metzelsuppe daherführt. Wir haben schon gesehen, wie leicht sich
die Wirtshäuser im Schwarzwald und an der Haardt in die neuen Verkehrs¬
verhältnisse gefunden haben, weil ihnen schon früher ihre glückliche Lage ein
kosmopolitisches, forderndes und zählendes Publikum zugeführt hatte. Merk¬
würdig, daß dabei die Preise noch über das schweizerische Niveau stiegen,
sodaß der Freiburger und Offenburger seine Rechnung dabei findet, zu der¬
selben Zeit eine Schweizerreise zu machen, wo die Norddeutschen, Frankfurter
und Engländer den Schwarzwald überschwemmen.

Der Prozeß ist dort viel einfacher verlaufen, wo die neue Entwicklung
überhaupt an nichts Vorhcmdnes anknüpfen konnte, sondern auf frischem
Boden aufzubauen hatte. Im Hintergrund der Alpenthüler traten an die
Stelle der Heulager in Alphütten zuerst einfache Schutzhäuser mit Pritschen¬
lagern, die dann bei zunehmendem Besuch immer besser ausgestattet und
endlich zu wahren Gasthäusern wurden, die aus dem Besitz einer Alpen¬
vereinssektion in den eines Wirtes übergingen, der nun jährlich Tausende ein-
und ausgehen sieht. So sind das Wendelsteinhaus, das Herzogenstandhaus
und andre in den bairischen Alpen zu viel besuchten Höhengasthciuscrn ge¬
worden, und bald wird es vom Pfänder bis zum Triglav im weiten Bereich
der deutschen und österreichischen Alpen keinen besuchter" Gipfel mehr geben,
der nicht in irgend einem Thalhintergrund oder an seinem Jochsattel seine
"bewirtschaftete" Hütte hätte. Dazu kommen zahllose Alphütten, in denen im
Sommer Wein oder Vier verzapft und das altursprüngliche Heulager durch
Wolldecken höhern Ansprüchen angepaßt wird. Dabei treten die merkwürdigsten
Übergangserscheinungen hervor. Zum Beispiel reicht das Geld uur sür die
Bettladen und diese werden nun mit Heu ausgefüllt, um in einem künftigen
Jahr, wenn das Geschäft gut geht, ländliche Betten aufzunehmen. In den
deutschen Mittelgebirgen zeigen Harz, Thüringer Wald, Sächsische Schweiz und
Riesengebirge eine Menge nagelneuer Wirtshäuser, die entweder mit großen
Mitteln groß, protzig und teuer hingestellt sind, oder als Unternehmungen
einzelner kleiner Leute zunächst nur bescheidnen Ansprüchen entgegenkommen
wollen, leider aber gezwungen sind, unverhältnismäßig hohe Preise zu machen.
Auch in den Vogesen hat der seit dem Übergang an Deutschland gesteigerte
Verkehr neue Häuser ins Leben gerufen. Altdeutscher Wirt und elsässische
Wirtin geben zusammen einen guten Klang, wenn nicht zufällig der Wirt ein
sitzengebliebuer Jurist ist, tems "der Wirtin Töchterlein" angethan hat. Ein


Das deutsche Dorfwirtshaus

etwas gebirgshafter zu steigern trachtet. Der Sommerverkehr vermehrt so
plötzlich die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, daß ohne den Schnellverkehr so
manches Gebirgsdorf und noch eher manches Seebad von Hungersnot heim¬
gesucht werden würde. Daß das ländliche Wirtshaus ländlichen Überfluß
bietet, kommt nur noch in den von Fremden am wenigsten besuchten Gegenden
vor; oder der einsame Winterreisende erfährt diesen Segen, wenn ihn sein
Stern zur Metzelsuppe daherführt. Wir haben schon gesehen, wie leicht sich
die Wirtshäuser im Schwarzwald und an der Haardt in die neuen Verkehrs¬
verhältnisse gefunden haben, weil ihnen schon früher ihre glückliche Lage ein
kosmopolitisches, forderndes und zählendes Publikum zugeführt hatte. Merk¬
würdig, daß dabei die Preise noch über das schweizerische Niveau stiegen,
sodaß der Freiburger und Offenburger seine Rechnung dabei findet, zu der¬
selben Zeit eine Schweizerreise zu machen, wo die Norddeutschen, Frankfurter
und Engländer den Schwarzwald überschwemmen.

Der Prozeß ist dort viel einfacher verlaufen, wo die neue Entwicklung
überhaupt an nichts Vorhcmdnes anknüpfen konnte, sondern auf frischem
Boden aufzubauen hatte. Im Hintergrund der Alpenthüler traten an die
Stelle der Heulager in Alphütten zuerst einfache Schutzhäuser mit Pritschen¬
lagern, die dann bei zunehmendem Besuch immer besser ausgestattet und
endlich zu wahren Gasthäusern wurden, die aus dem Besitz einer Alpen¬
vereinssektion in den eines Wirtes übergingen, der nun jährlich Tausende ein-
und ausgehen sieht. So sind das Wendelsteinhaus, das Herzogenstandhaus
und andre in den bairischen Alpen zu viel besuchten Höhengasthciuscrn ge¬
worden, und bald wird es vom Pfänder bis zum Triglav im weiten Bereich
der deutschen und österreichischen Alpen keinen besuchter» Gipfel mehr geben,
der nicht in irgend einem Thalhintergrund oder an seinem Jochsattel seine
„bewirtschaftete" Hütte hätte. Dazu kommen zahllose Alphütten, in denen im
Sommer Wein oder Vier verzapft und das altursprüngliche Heulager durch
Wolldecken höhern Ansprüchen angepaßt wird. Dabei treten die merkwürdigsten
Übergangserscheinungen hervor. Zum Beispiel reicht das Geld uur sür die
Bettladen und diese werden nun mit Heu ausgefüllt, um in einem künftigen
Jahr, wenn das Geschäft gut geht, ländliche Betten aufzunehmen. In den
deutschen Mittelgebirgen zeigen Harz, Thüringer Wald, Sächsische Schweiz und
Riesengebirge eine Menge nagelneuer Wirtshäuser, die entweder mit großen
Mitteln groß, protzig und teuer hingestellt sind, oder als Unternehmungen
einzelner kleiner Leute zunächst nur bescheidnen Ansprüchen entgegenkommen
wollen, leider aber gezwungen sind, unverhältnismäßig hohe Preise zu machen.
Auch in den Vogesen hat der seit dem Übergang an Deutschland gesteigerte
Verkehr neue Häuser ins Leben gerufen. Altdeutscher Wirt und elsässische
Wirtin geben zusammen einen guten Klang, wenn nicht zufällig der Wirt ein
sitzengebliebuer Jurist ist, tems „der Wirtin Töchterlein" angethan hat. Ein


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[0154] Das deutsche Dorfwirtshaus etwas gebirgshafter zu steigern trachtet. Der Sommerverkehr vermehrt so plötzlich die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, daß ohne den Schnellverkehr so manches Gebirgsdorf und noch eher manches Seebad von Hungersnot heim¬ gesucht werden würde. Daß das ländliche Wirtshaus ländlichen Überfluß bietet, kommt nur noch in den von Fremden am wenigsten besuchten Gegenden vor; oder der einsame Winterreisende erfährt diesen Segen, wenn ihn sein Stern zur Metzelsuppe daherführt. Wir haben schon gesehen, wie leicht sich die Wirtshäuser im Schwarzwald und an der Haardt in die neuen Verkehrs¬ verhältnisse gefunden haben, weil ihnen schon früher ihre glückliche Lage ein kosmopolitisches, forderndes und zählendes Publikum zugeführt hatte. Merk¬ würdig, daß dabei die Preise noch über das schweizerische Niveau stiegen, sodaß der Freiburger und Offenburger seine Rechnung dabei findet, zu der¬ selben Zeit eine Schweizerreise zu machen, wo die Norddeutschen, Frankfurter und Engländer den Schwarzwald überschwemmen. Der Prozeß ist dort viel einfacher verlaufen, wo die neue Entwicklung überhaupt an nichts Vorhcmdnes anknüpfen konnte, sondern auf frischem Boden aufzubauen hatte. Im Hintergrund der Alpenthüler traten an die Stelle der Heulager in Alphütten zuerst einfache Schutzhäuser mit Pritschen¬ lagern, die dann bei zunehmendem Besuch immer besser ausgestattet und endlich zu wahren Gasthäusern wurden, die aus dem Besitz einer Alpen¬ vereinssektion in den eines Wirtes übergingen, der nun jährlich Tausende ein- und ausgehen sieht. So sind das Wendelsteinhaus, das Herzogenstandhaus und andre in den bairischen Alpen zu viel besuchten Höhengasthciuscrn ge¬ worden, und bald wird es vom Pfänder bis zum Triglav im weiten Bereich der deutschen und österreichischen Alpen keinen besuchter» Gipfel mehr geben, der nicht in irgend einem Thalhintergrund oder an seinem Jochsattel seine „bewirtschaftete" Hütte hätte. Dazu kommen zahllose Alphütten, in denen im Sommer Wein oder Vier verzapft und das altursprüngliche Heulager durch Wolldecken höhern Ansprüchen angepaßt wird. Dabei treten die merkwürdigsten Übergangserscheinungen hervor. Zum Beispiel reicht das Geld uur sür die Bettladen und diese werden nun mit Heu ausgefüllt, um in einem künftigen Jahr, wenn das Geschäft gut geht, ländliche Betten aufzunehmen. In den deutschen Mittelgebirgen zeigen Harz, Thüringer Wald, Sächsische Schweiz und Riesengebirge eine Menge nagelneuer Wirtshäuser, die entweder mit großen Mitteln groß, protzig und teuer hingestellt sind, oder als Unternehmungen einzelner kleiner Leute zunächst nur bescheidnen Ansprüchen entgegenkommen wollen, leider aber gezwungen sind, unverhältnismäßig hohe Preise zu machen. Auch in den Vogesen hat der seit dem Übergang an Deutschland gesteigerte Verkehr neue Häuser ins Leben gerufen. Altdeutscher Wirt und elsässische Wirtin geben zusammen einen guten Klang, wenn nicht zufällig der Wirt ein sitzengebliebuer Jurist ist, tems „der Wirtin Töchterlein" angethan hat. Ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/154>, abgerufen am 08.01.2025.