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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Der Auszug der deutschen Professoren

darüber nachgedacht, daß sich Universitäten im neunzehnten Jahrhundert
nicht etwa nach Art eines katholischen Priesterseminars oder einer Unteroffizier-
schnle leiten lassen, und daß die Männer der Wissenschaft, um ihren Aufgaben
genügen zu können, nicht bloß einer gewissen Freiheit der Bewegung bedürfen,
sondern in der Regel auch Leute von regem Ehrgefühl sind und unwürdigen
Zumutungen der Regierenden schon mehr als einmal hartnäckigen Widerstand
entgegengesetzt haben. Hütten sie das bedacht, so wäre nicht so bald nach der
an sich ja sehr löblichen Bethätigung des kantonalen höhern Bildungsdrangs
gekommen, was gekommen ist: daß acht an der jungen Hochschule wirkende
rcichsdeutsche Professoren, lauter tüchtige Gelehrte, darunter Zierden der Wissen¬
schaft, ihr Amt der Kantonalregierung zurückgegeben haben.

Dieser Massenabschied, der uns an die Göttinger Sieben erinnert, hat
begreiflicherweise in weiten Kreisen Aufsehen erregt, und viele deutsche und
Schweizer Zeitungen haben sich schon mit ihm befaßt. Die Betreffenden haben
bis jetzt keine Erklärung des von ihnen gethanen Schrittes veröffentlicht, und
eine solche ist auch, wie es scheint, vor Ostern, dem Termin ihres Abgangs
von Freiburg, nicht zu erwarten. Dennoch ist über diesen Exodus, seine Vor¬
geschichte und die an dieser Pflegestätte der Wissenschaft herrschenden Zustünde
schon soviel an die Öffentlichkeit gedrungen, daß es dem aufmerksamen Be¬
obachter nicht schwer wird, die Einzelheiten zu einem im großen Ganzen rich¬
tigen Bilde zusammenzufassen. Das Bild ist wenig ansprechend, aber umso
lehrreicher.

Die katholische Universität Freiburg in der Schweiz wurde im November
1889 eröffnet, nachdem der Großrat, d. h. die gesetzgebende Körperschaft des
Kantons, einen Monat früher die Errichtung einer kantonalen Hochschule be¬
schlossen hatte. Die Mittel zu diesem Unternehmen hatte eine Konversion der
Staatsschuld geboten, die einen Gewinn von 2^ Millionen gebracht hatte.
Schon im Laufe des Sommers hatte der als Politiker, Svziolog und Romanist
bekannte Nntionalrat Dcenrtins, ein Nhntoromcmc, in der Schweiz, in Deutsch¬
land und in Frankreich eine Anzahl von Dozenten geworben, und so konnte
zu dem genannten Zeitpunkt wenigstens die Eröffnung der juristischen und der
Philosophischen Fakultät vor sich gehen. Beide hatten einige zwanzig Dozenten,
unter denen die Deutschschweizer und die Reichsdeutschen die überwiegende
Mehrzahl bildeten. Die philosophische Fakultät war so gut wie ganz deutsch
(nur die beiden Vertreter der romanischen Philologie stammten ans Frankreich),
die juristische war von vornherein doppelsprachig. Dies erklärt sich dadurch,
daß sie eine Erweiterung der schon lange bestehenden kantonalen Rechtsschule
bildete, deren Personalbestand einfach übernommen und nach Kräften ergänzt
wurde.

Von Anfang an trug die Universität einen konfessionellen Charakter inso¬
fern, als alle Dozenten dem katholischen Bekenntnis angehören sollten. Diese


Der Auszug der deutschen Professoren

darüber nachgedacht, daß sich Universitäten im neunzehnten Jahrhundert
nicht etwa nach Art eines katholischen Priesterseminars oder einer Unteroffizier-
schnle leiten lassen, und daß die Männer der Wissenschaft, um ihren Aufgaben
genügen zu können, nicht bloß einer gewissen Freiheit der Bewegung bedürfen,
sondern in der Regel auch Leute von regem Ehrgefühl sind und unwürdigen
Zumutungen der Regierenden schon mehr als einmal hartnäckigen Widerstand
entgegengesetzt haben. Hütten sie das bedacht, so wäre nicht so bald nach der
an sich ja sehr löblichen Bethätigung des kantonalen höhern Bildungsdrangs
gekommen, was gekommen ist: daß acht an der jungen Hochschule wirkende
rcichsdeutsche Professoren, lauter tüchtige Gelehrte, darunter Zierden der Wissen¬
schaft, ihr Amt der Kantonalregierung zurückgegeben haben.

Dieser Massenabschied, der uns an die Göttinger Sieben erinnert, hat
begreiflicherweise in weiten Kreisen Aufsehen erregt, und viele deutsche und
Schweizer Zeitungen haben sich schon mit ihm befaßt. Die Betreffenden haben
bis jetzt keine Erklärung des von ihnen gethanen Schrittes veröffentlicht, und
eine solche ist auch, wie es scheint, vor Ostern, dem Termin ihres Abgangs
von Freiburg, nicht zu erwarten. Dennoch ist über diesen Exodus, seine Vor¬
geschichte und die an dieser Pflegestätte der Wissenschaft herrschenden Zustünde
schon soviel an die Öffentlichkeit gedrungen, daß es dem aufmerksamen Be¬
obachter nicht schwer wird, die Einzelheiten zu einem im großen Ganzen rich¬
tigen Bilde zusammenzufassen. Das Bild ist wenig ansprechend, aber umso
lehrreicher.

Die katholische Universität Freiburg in der Schweiz wurde im November
1889 eröffnet, nachdem der Großrat, d. h. die gesetzgebende Körperschaft des
Kantons, einen Monat früher die Errichtung einer kantonalen Hochschule be¬
schlossen hatte. Die Mittel zu diesem Unternehmen hatte eine Konversion der
Staatsschuld geboten, die einen Gewinn von 2^ Millionen gebracht hatte.
Schon im Laufe des Sommers hatte der als Politiker, Svziolog und Romanist
bekannte Nntionalrat Dcenrtins, ein Nhntoromcmc, in der Schweiz, in Deutsch¬
land und in Frankreich eine Anzahl von Dozenten geworben, und so konnte
zu dem genannten Zeitpunkt wenigstens die Eröffnung der juristischen und der
Philosophischen Fakultät vor sich gehen. Beide hatten einige zwanzig Dozenten,
unter denen die Deutschschweizer und die Reichsdeutschen die überwiegende
Mehrzahl bildeten. Die philosophische Fakultät war so gut wie ganz deutsch
(nur die beiden Vertreter der romanischen Philologie stammten ans Frankreich),
die juristische war von vornherein doppelsprachig. Dies erklärt sich dadurch,
daß sie eine Erweiterung der schon lange bestehenden kantonalen Rechtsschule
bildete, deren Personalbestand einfach übernommen und nach Kräften ergänzt
wurde.

Von Anfang an trug die Universität einen konfessionellen Charakter inso¬
fern, als alle Dozenten dem katholischen Bekenntnis angehören sollten. Diese


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[0137] Der Auszug der deutschen Professoren darüber nachgedacht, daß sich Universitäten im neunzehnten Jahrhundert nicht etwa nach Art eines katholischen Priesterseminars oder einer Unteroffizier- schnle leiten lassen, und daß die Männer der Wissenschaft, um ihren Aufgaben genügen zu können, nicht bloß einer gewissen Freiheit der Bewegung bedürfen, sondern in der Regel auch Leute von regem Ehrgefühl sind und unwürdigen Zumutungen der Regierenden schon mehr als einmal hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt haben. Hütten sie das bedacht, so wäre nicht so bald nach der an sich ja sehr löblichen Bethätigung des kantonalen höhern Bildungsdrangs gekommen, was gekommen ist: daß acht an der jungen Hochschule wirkende rcichsdeutsche Professoren, lauter tüchtige Gelehrte, darunter Zierden der Wissen¬ schaft, ihr Amt der Kantonalregierung zurückgegeben haben. Dieser Massenabschied, der uns an die Göttinger Sieben erinnert, hat begreiflicherweise in weiten Kreisen Aufsehen erregt, und viele deutsche und Schweizer Zeitungen haben sich schon mit ihm befaßt. Die Betreffenden haben bis jetzt keine Erklärung des von ihnen gethanen Schrittes veröffentlicht, und eine solche ist auch, wie es scheint, vor Ostern, dem Termin ihres Abgangs von Freiburg, nicht zu erwarten. Dennoch ist über diesen Exodus, seine Vor¬ geschichte und die an dieser Pflegestätte der Wissenschaft herrschenden Zustünde schon soviel an die Öffentlichkeit gedrungen, daß es dem aufmerksamen Be¬ obachter nicht schwer wird, die Einzelheiten zu einem im großen Ganzen rich¬ tigen Bilde zusammenzufassen. Das Bild ist wenig ansprechend, aber umso lehrreicher. Die katholische Universität Freiburg in der Schweiz wurde im November 1889 eröffnet, nachdem der Großrat, d. h. die gesetzgebende Körperschaft des Kantons, einen Monat früher die Errichtung einer kantonalen Hochschule be¬ schlossen hatte. Die Mittel zu diesem Unternehmen hatte eine Konversion der Staatsschuld geboten, die einen Gewinn von 2^ Millionen gebracht hatte. Schon im Laufe des Sommers hatte der als Politiker, Svziolog und Romanist bekannte Nntionalrat Dcenrtins, ein Nhntoromcmc, in der Schweiz, in Deutsch¬ land und in Frankreich eine Anzahl von Dozenten geworben, und so konnte zu dem genannten Zeitpunkt wenigstens die Eröffnung der juristischen und der Philosophischen Fakultät vor sich gehen. Beide hatten einige zwanzig Dozenten, unter denen die Deutschschweizer und die Reichsdeutschen die überwiegende Mehrzahl bildeten. Die philosophische Fakultät war so gut wie ganz deutsch (nur die beiden Vertreter der romanischen Philologie stammten ans Frankreich), die juristische war von vornherein doppelsprachig. Dies erklärt sich dadurch, daß sie eine Erweiterung der schon lange bestehenden kantonalen Rechtsschule bildete, deren Personalbestand einfach übernommen und nach Kräften ergänzt wurde. Von Anfang an trug die Universität einen konfessionellen Charakter inso¬ fern, als alle Dozenten dem katholischen Bekenntnis angehören sollten. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/137>, abgerufen am 07.01.2025.