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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

als die andern Teile Deutschlands, aber in diesen ist die deutsche Staats¬
gesinnung erwachsen und vergleichsweise noch immer mehr zu Hause, wofür
als Beweis nicht bloß Preußen in Betracht kommt, sondern z. B. auch Alt-
baiern und das Königreich Sachsen. Die Vereinbarungen mit den betreffenden
Staaten werden keine Schwierigkeiten machen, wenn die Wichtigkeit der Auf¬
gabe an leitender Stelle anerkannt wird.

Außer dieser auf die Zukunft berechneten Maßregel ist unter den Beamten,
die noch nicht festangestellt sind, eine Auslese zu halten, und unsichere Persön¬
lichkeiten dürfen nicht mehr angenommen werden; dafür braucht man das gar
uicht, was Gesinnungsriecherei genannt wird, denn die Verhältnisse liegen
meistens offen für den da, der nur die Augen ausmacht. Doch damit ist die
Offensive der Negierung noch nicht erschöpft; sie muß sich auch gegen den
Landesausschuß kehren, wenn dieser fortfährt, die Hauptstütze des Nativismus
zu sein. Jetzt wetteifern zu dessen Förderung unsre erklärten Feinde und
unsre vermeintlichen oder wirklichen Freunde. Einer der Hauptverfechter ist
Herr Dr. Petri, der doch für eine Säule der deutschen Sache im Landesaus¬
schuß gilt. Er will durchweg nur Elsaß-Lothringer berücksichtigt wissen; dazu
rechnet er anch die von altdeutscher Abstammung, die im Lande geboren sind,
aber andre Einschränkungen des Nativismus macht er nicht, so oft und mit
solchem Eifer er auch die Frage behandelt. Sollte er wirklich keine kennen,
ein Mann, der als Kandidat zum Justizministerium genannt worden ist, der
als Justizminister den umfassendsten Stcllenvorschlcig haben würde?") Aus
diesem Beispiel, das typisch ist, ergiebt sich auch, wie wenig die Regierung
Empfehlungen von Amtsanwärtern durch Mitglieder des Landesausschusses
gelten lassen darf. Was ist denn für die Zukunft des Neichslcmds wichtiger:
die Aufrechterhaltung der wurmstichigen Zufriedenheitslegeude, oder Fortschritte
im deutschen Sinne? Geteilte Herzen kann Deutschland nicht brauchen; wer
seine französischen Schiffe nicht hinter sich verbrannt hat, darf weder die Vor¬
teile, noch den Einfluß einer deutschen Amtsstellung genießen. Für die An¬
stellung gilt das Stichwort "Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern" nur mit
einem Zusatz: Elsaß-Lothringen den deutschgesiunten Elsaß-Lothringern, das
Reichsland den reichsländisch Gesinnten!





") Herr Dr. Petri ist inzwischen wirklich zum Vorstand der Ministerialabteilung für Justiz
und Kultus ernannt worden.
Reichsländische Zeitfragen

als die andern Teile Deutschlands, aber in diesen ist die deutsche Staats¬
gesinnung erwachsen und vergleichsweise noch immer mehr zu Hause, wofür
als Beweis nicht bloß Preußen in Betracht kommt, sondern z. B. auch Alt-
baiern und das Königreich Sachsen. Die Vereinbarungen mit den betreffenden
Staaten werden keine Schwierigkeiten machen, wenn die Wichtigkeit der Auf¬
gabe an leitender Stelle anerkannt wird.

Außer dieser auf die Zukunft berechneten Maßregel ist unter den Beamten,
die noch nicht festangestellt sind, eine Auslese zu halten, und unsichere Persön¬
lichkeiten dürfen nicht mehr angenommen werden; dafür braucht man das gar
uicht, was Gesinnungsriecherei genannt wird, denn die Verhältnisse liegen
meistens offen für den da, der nur die Augen ausmacht. Doch damit ist die
Offensive der Negierung noch nicht erschöpft; sie muß sich auch gegen den
Landesausschuß kehren, wenn dieser fortfährt, die Hauptstütze des Nativismus
zu sein. Jetzt wetteifern zu dessen Förderung unsre erklärten Feinde und
unsre vermeintlichen oder wirklichen Freunde. Einer der Hauptverfechter ist
Herr Dr. Petri, der doch für eine Säule der deutschen Sache im Landesaus¬
schuß gilt. Er will durchweg nur Elsaß-Lothringer berücksichtigt wissen; dazu
rechnet er anch die von altdeutscher Abstammung, die im Lande geboren sind,
aber andre Einschränkungen des Nativismus macht er nicht, so oft und mit
solchem Eifer er auch die Frage behandelt. Sollte er wirklich keine kennen,
ein Mann, der als Kandidat zum Justizministerium genannt worden ist, der
als Justizminister den umfassendsten Stcllenvorschlcig haben würde?") Aus
diesem Beispiel, das typisch ist, ergiebt sich auch, wie wenig die Regierung
Empfehlungen von Amtsanwärtern durch Mitglieder des Landesausschusses
gelten lassen darf. Was ist denn für die Zukunft des Neichslcmds wichtiger:
die Aufrechterhaltung der wurmstichigen Zufriedenheitslegeude, oder Fortschritte
im deutschen Sinne? Geteilte Herzen kann Deutschland nicht brauchen; wer
seine französischen Schiffe nicht hinter sich verbrannt hat, darf weder die Vor¬
teile, noch den Einfluß einer deutschen Amtsstellung genießen. Für die An¬
stellung gilt das Stichwort „Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern" nur mit
einem Zusatz: Elsaß-Lothringen den deutschgesiunten Elsaß-Lothringern, das
Reichsland den reichsländisch Gesinnten!





") Herr Dr. Petri ist inzwischen wirklich zum Vorstand der Ministerialabteilung für Justiz
und Kultus ernannt worden.
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[0130] Reichsländische Zeitfragen als die andern Teile Deutschlands, aber in diesen ist die deutsche Staats¬ gesinnung erwachsen und vergleichsweise noch immer mehr zu Hause, wofür als Beweis nicht bloß Preußen in Betracht kommt, sondern z. B. auch Alt- baiern und das Königreich Sachsen. Die Vereinbarungen mit den betreffenden Staaten werden keine Schwierigkeiten machen, wenn die Wichtigkeit der Auf¬ gabe an leitender Stelle anerkannt wird. Außer dieser auf die Zukunft berechneten Maßregel ist unter den Beamten, die noch nicht festangestellt sind, eine Auslese zu halten, und unsichere Persön¬ lichkeiten dürfen nicht mehr angenommen werden; dafür braucht man das gar uicht, was Gesinnungsriecherei genannt wird, denn die Verhältnisse liegen meistens offen für den da, der nur die Augen ausmacht. Doch damit ist die Offensive der Negierung noch nicht erschöpft; sie muß sich auch gegen den Landesausschuß kehren, wenn dieser fortfährt, die Hauptstütze des Nativismus zu sein. Jetzt wetteifern zu dessen Förderung unsre erklärten Feinde und unsre vermeintlichen oder wirklichen Freunde. Einer der Hauptverfechter ist Herr Dr. Petri, der doch für eine Säule der deutschen Sache im Landesaus¬ schuß gilt. Er will durchweg nur Elsaß-Lothringer berücksichtigt wissen; dazu rechnet er anch die von altdeutscher Abstammung, die im Lande geboren sind, aber andre Einschränkungen des Nativismus macht er nicht, so oft und mit solchem Eifer er auch die Frage behandelt. Sollte er wirklich keine kennen, ein Mann, der als Kandidat zum Justizministerium genannt worden ist, der als Justizminister den umfassendsten Stcllenvorschlcig haben würde?") Aus diesem Beispiel, das typisch ist, ergiebt sich auch, wie wenig die Regierung Empfehlungen von Amtsanwärtern durch Mitglieder des Landesausschusses gelten lassen darf. Was ist denn für die Zukunft des Neichslcmds wichtiger: die Aufrechterhaltung der wurmstichigen Zufriedenheitslegeude, oder Fortschritte im deutschen Sinne? Geteilte Herzen kann Deutschland nicht brauchen; wer seine französischen Schiffe nicht hinter sich verbrannt hat, darf weder die Vor¬ teile, noch den Einfluß einer deutschen Amtsstellung genießen. Für die An¬ stellung gilt das Stichwort „Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern" nur mit einem Zusatz: Elsaß-Lothringen den deutschgesiunten Elsaß-Lothringern, das Reichsland den reichsländisch Gesinnten! ") Herr Dr. Petri ist inzwischen wirklich zum Vorstand der Ministerialabteilung für Justiz und Kultus ernannt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/130>, abgerufen am 07.01.2025.