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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

meiner Schoppen? -- Da hängt sie. Wenn du sie morgen so anziehen wollest,
wär mirs ein großer Gefallen. -- Alter Lügensager! Die ist ja nur geheftet.
Ich glands. Ihr thät't Euch nichts draus machen und schicktet mich mit den
großen weißen Stichen in die Kirch! -- Probier sie einmal an, Madlene! --
Madlene huschte in die Stube. Aber es sind ja noch keine Ärmel drin. --
Gleich! -- Der Schneider stellte sein Bügeleisen in die Kohlen und heftete die
Ärmel an. So, nun flink! -- Madlene schlüpfte in das unfertige Ding. -- Es
kommt alles drauf an, wie sie unter den Armen ringsherum sitzt. So, recht schön
so! Dabei strich er und zupfte und zog bald hinüber, bald herüber, bald nach
unten, bald nach oben. Sitzt wie angegossen, Madlene! Morgen beim ersten
Läuten bring ich dir 's Schöppla! -- Das läßt Euch Gott reden! Machts
nur gut und bügelts hübsch! -- Wie der Wind war sie wieder davon.

Im Müsershaus wurden an dem Abend auch uoch Waffeln oder Pfannkuchen
gesotten. Das war von altersher das Pfingstrccht, vielmehr die Pfingstpflicht der
Hausfrau. Madlene hatte natürlich dabei zu helfen. Ja, das Wnsfelsieden! Wenn
es gefehlt hätte, wär das kein richtiges Pfingsten gewesen.

Der Kleine hatte sich heute nicht auf den Spielplätzen herumgetrieben. Er
war in das letzte Schuljahr eingerückt und nicht mehr ans die Nandefncht erpicht,
biß schon etwas Gesetztes heraus und kam eben mit etlichen Birken um, als das
Waffelsieden in der Küche begann. Die Nacht war schon angebrochen. Madlene
eilte zum Kleinen in die Hausflur und rief: Klemmer, wos Hofe du duch su graße
Birken! Warm sie dir nit zu schwer? -- Freilich! Wenn der Nödersfrieder
nit ein Einsehn gehabt hätt, wärs übel gangen. Der hat meine Mai'n mit auf
seinen Handwagen geladen. Ich hab mich mit angespannt; so gings prächtig! --
Hat der auch Mai'n geholt? -- Was denn? Und große, zweimal so groß wie
die da! -- Husch! war die Madlene wieder beim Waffelsieden in der Küche.

Ob sie auch sehr müde war, in dieser Nacht walzte sich Madleue lange
schlaflos in ihrem Bett. Sollte der Nödersfrieder schon Eine haben? Wer wirds
sein? Wem wird er die Mai'n stelln? An mich denkt niemand in der Welt. --
Ich muß doch gar nit schön sein! -- Und sie weinte in dieser Nacht zwischen
zwölf und ein Uhr wie ein kleines Kind, bis sie einschlief.

An der "Porlam"") hin -- einem von der Küche auslaufenden Gang, dessen
eine Längswand von der Brüstung bis unter das Dach offne Bogen hat -- lief
eine dünne Stange zum Trocknen kleiner Wäsche; darauf saß die treue Haus¬
schwalbe und sang ihren Morgengruß, der durfte zum Pfingstfest nicht fehlen.
Drinnen die Schwarzwälderin verkündigte mit vier hellen Glockenschlägen den
Anbruch der Morgenröte. Alles schlief uoch fest im Müsershaus. Es war ja der
erste Feiertag. An keinem andern Morgen macht sich das Bedürfnis der Ruhe
so nachhaltig geltend als am ersten Feiertngsmorgen, weil er vom arbeitsschweren
Heiligabend geboren wird. Und an keinem andern Morgen wirkt der Zauber der
Nuhe so gewaltig; deun auf den erste" Feiertag folgt ja noch ein zweiter. Ju
die Nuhe herein ragt Ruhe, nicht Arbeit, wie an einem Sonntag. Die Sonntags¬
ruhe wird in schlimmen Arbeitszeiten für den Landmann durch deu Montag hart
bedrängt. Aber der Morgen des ersten Feiertags blickt nach dem Morgen eines
zweiten Feiertages, der deu ersten jeglicher Berührung mit den Mühen und Drang¬
salen der arbeitsvollen Zukunft enthebt und dadurch seine Feier und weihevolle
Nuhe zu eiuer Höhe steigert, die das menschliche Gemüt in eine Glückseligteits-



Emporlcmbe.
Madlene

meiner Schoppen? — Da hängt sie. Wenn du sie morgen so anziehen wollest,
wär mirs ein großer Gefallen. — Alter Lügensager! Die ist ja nur geheftet.
Ich glands. Ihr thät't Euch nichts draus machen und schicktet mich mit den
großen weißen Stichen in die Kirch! — Probier sie einmal an, Madlene! —
Madlene huschte in die Stube. Aber es sind ja noch keine Ärmel drin. —
Gleich! — Der Schneider stellte sein Bügeleisen in die Kohlen und heftete die
Ärmel an. So, nun flink! — Madlene schlüpfte in das unfertige Ding. — Es
kommt alles drauf an, wie sie unter den Armen ringsherum sitzt. So, recht schön
so! Dabei strich er und zupfte und zog bald hinüber, bald herüber, bald nach
unten, bald nach oben. Sitzt wie angegossen, Madlene! Morgen beim ersten
Läuten bring ich dir 's Schöppla! — Das läßt Euch Gott reden! Machts
nur gut und bügelts hübsch! — Wie der Wind war sie wieder davon.

Im Müsershaus wurden an dem Abend auch uoch Waffeln oder Pfannkuchen
gesotten. Das war von altersher das Pfingstrccht, vielmehr die Pfingstpflicht der
Hausfrau. Madlene hatte natürlich dabei zu helfen. Ja, das Wnsfelsieden! Wenn
es gefehlt hätte, wär das kein richtiges Pfingsten gewesen.

Der Kleine hatte sich heute nicht auf den Spielplätzen herumgetrieben. Er
war in das letzte Schuljahr eingerückt und nicht mehr ans die Nandefncht erpicht,
biß schon etwas Gesetztes heraus und kam eben mit etlichen Birken um, als das
Waffelsieden in der Küche begann. Die Nacht war schon angebrochen. Madlene
eilte zum Kleinen in die Hausflur und rief: Klemmer, wos Hofe du duch su graße
Birken! Warm sie dir nit zu schwer? — Freilich! Wenn der Nödersfrieder
nit ein Einsehn gehabt hätt, wärs übel gangen. Der hat meine Mai'n mit auf
seinen Handwagen geladen. Ich hab mich mit angespannt; so gings prächtig! —
Hat der auch Mai'n geholt? — Was denn? Und große, zweimal so groß wie
die da! — Husch! war die Madlene wieder beim Waffelsieden in der Küche.

Ob sie auch sehr müde war, in dieser Nacht walzte sich Madleue lange
schlaflos in ihrem Bett. Sollte der Nödersfrieder schon Eine haben? Wer wirds
sein? Wem wird er die Mai'n stelln? An mich denkt niemand in der Welt. —
Ich muß doch gar nit schön sein! — Und sie weinte in dieser Nacht zwischen
zwölf und ein Uhr wie ein kleines Kind, bis sie einschlief.

An der „Porlam"") hin — einem von der Küche auslaufenden Gang, dessen
eine Längswand von der Brüstung bis unter das Dach offne Bogen hat — lief
eine dünne Stange zum Trocknen kleiner Wäsche; darauf saß die treue Haus¬
schwalbe und sang ihren Morgengruß, der durfte zum Pfingstfest nicht fehlen.
Drinnen die Schwarzwälderin verkündigte mit vier hellen Glockenschlägen den
Anbruch der Morgenröte. Alles schlief uoch fest im Müsershaus. Es war ja der
erste Feiertag. An keinem andern Morgen macht sich das Bedürfnis der Ruhe
so nachhaltig geltend als am ersten Feiertngsmorgen, weil er vom arbeitsschweren
Heiligabend geboren wird. Und an keinem andern Morgen wirkt der Zauber der
Nuhe so gewaltig; deun auf den erste» Feiertag folgt ja noch ein zweiter. Ju
die Nuhe herein ragt Ruhe, nicht Arbeit, wie an einem Sonntag. Die Sonntags¬
ruhe wird in schlimmen Arbeitszeiten für den Landmann durch deu Montag hart
bedrängt. Aber der Morgen des ersten Feiertags blickt nach dem Morgen eines
zweiten Feiertages, der deu ersten jeglicher Berührung mit den Mühen und Drang¬
salen der arbeitsvollen Zukunft enthebt und dadurch seine Feier und weihevolle
Nuhe zu eiuer Höhe steigert, die das menschliche Gemüt in eine Glückseligteits-



Emporlcmbe.
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[0114] Madlene meiner Schoppen? — Da hängt sie. Wenn du sie morgen so anziehen wollest, wär mirs ein großer Gefallen. — Alter Lügensager! Die ist ja nur geheftet. Ich glands. Ihr thät't Euch nichts draus machen und schicktet mich mit den großen weißen Stichen in die Kirch! — Probier sie einmal an, Madlene! — Madlene huschte in die Stube. Aber es sind ja noch keine Ärmel drin. — Gleich! — Der Schneider stellte sein Bügeleisen in die Kohlen und heftete die Ärmel an. So, nun flink! — Madlene schlüpfte in das unfertige Ding. — Es kommt alles drauf an, wie sie unter den Armen ringsherum sitzt. So, recht schön so! Dabei strich er und zupfte und zog bald hinüber, bald herüber, bald nach unten, bald nach oben. Sitzt wie angegossen, Madlene! Morgen beim ersten Läuten bring ich dir 's Schöppla! — Das läßt Euch Gott reden! Machts nur gut und bügelts hübsch! — Wie der Wind war sie wieder davon. Im Müsershaus wurden an dem Abend auch uoch Waffeln oder Pfannkuchen gesotten. Das war von altersher das Pfingstrccht, vielmehr die Pfingstpflicht der Hausfrau. Madlene hatte natürlich dabei zu helfen. Ja, das Wnsfelsieden! Wenn es gefehlt hätte, wär das kein richtiges Pfingsten gewesen. Der Kleine hatte sich heute nicht auf den Spielplätzen herumgetrieben. Er war in das letzte Schuljahr eingerückt und nicht mehr ans die Nandefncht erpicht, biß schon etwas Gesetztes heraus und kam eben mit etlichen Birken um, als das Waffelsieden in der Küche begann. Die Nacht war schon angebrochen. Madlene eilte zum Kleinen in die Hausflur und rief: Klemmer, wos Hofe du duch su graße Birken! Warm sie dir nit zu schwer? — Freilich! Wenn der Nödersfrieder nit ein Einsehn gehabt hätt, wärs übel gangen. Der hat meine Mai'n mit auf seinen Handwagen geladen. Ich hab mich mit angespannt; so gings prächtig! — Hat der auch Mai'n geholt? — Was denn? Und große, zweimal so groß wie die da! — Husch! war die Madlene wieder beim Waffelsieden in der Küche. Ob sie auch sehr müde war, in dieser Nacht walzte sich Madleue lange schlaflos in ihrem Bett. Sollte der Nödersfrieder schon Eine haben? Wer wirds sein? Wem wird er die Mai'n stelln? An mich denkt niemand in der Welt. — Ich muß doch gar nit schön sein! — Und sie weinte in dieser Nacht zwischen zwölf und ein Uhr wie ein kleines Kind, bis sie einschlief. An der „Porlam"") hin — einem von der Küche auslaufenden Gang, dessen eine Längswand von der Brüstung bis unter das Dach offne Bogen hat — lief eine dünne Stange zum Trocknen kleiner Wäsche; darauf saß die treue Haus¬ schwalbe und sang ihren Morgengruß, der durfte zum Pfingstfest nicht fehlen. Drinnen die Schwarzwälderin verkündigte mit vier hellen Glockenschlägen den Anbruch der Morgenröte. Alles schlief uoch fest im Müsershaus. Es war ja der erste Feiertag. An keinem andern Morgen macht sich das Bedürfnis der Ruhe so nachhaltig geltend als am ersten Feiertngsmorgen, weil er vom arbeitsschweren Heiligabend geboren wird. Und an keinem andern Morgen wirkt der Zauber der Nuhe so gewaltig; deun auf den erste» Feiertag folgt ja noch ein zweiter. Ju die Nuhe herein ragt Ruhe, nicht Arbeit, wie an einem Sonntag. Die Sonntags¬ ruhe wird in schlimmen Arbeitszeiten für den Landmann durch deu Montag hart bedrängt. Aber der Morgen des ersten Feiertags blickt nach dem Morgen eines zweiten Feiertages, der deu ersten jeglicher Berührung mit den Mühen und Drang¬ salen der arbeitsvollen Zukunft enthebt und dadurch seine Feier und weihevolle Nuhe zu eiuer Höhe steigert, die das menschliche Gemüt in eine Glückseligteits- Emporlcmbe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/114>, abgerufen am 08.01.2025.