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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

gelegenheiten des öffentlichen Lebens zu verschaffen und zu diesem Zwecke selbst
fleißig lernt, oder ob man bloß Redensarten macht oder wohl gar Begeisterung
wie Entrüstung nur heuchelt und den dummen Kerl von Leser oder Zuhörer
hinter seinein Rücken auslacht. Dem strebsamen gemeinen Manne ist sein
Lokal- oder Parteiblatt, was der geistig geweckten Frau aus dem Volke die
Predigt ist; sie schätzt eine "ausgearbeitete" Predigt sehr hoch und zürnt dem
Prediger, der schlecht vorbereitet oder unvorbereitet koste. Und da ich mich
bemühe, stets gemeinverständlich zu schreiben (klar wie Wasser, sagte einer
meiner neuern Freunde vor ein paar Jahren einmal), so brauchten die Leute
nichts als "zu hoch" zu überschlagen, hatten also von jeder Nummer einen
Genuß. Gerade an einem solchen Lokalblatt aber ist den Parteiführern meist
wenig gelegen. Parteien, die in den höhern Schichten wurzeln, sind namentlich
in einem Staate mit allgemeinem Wahlrecht in der unangenehmen Lage, ihre
Wählerschaft aus den untern Schichten ergänzen zu müssen, aus Schichten
also, mit denen sie nicht Interessengemeinschaft verbindet, sondern von denen
sie ein Jnteressengegeusatz trennt, des Abstandes der Bildung, der Denkungsart
und der Lebensgewohnheiten nicht zu gedenken. Unter diesen Umständen können
sie rückhaltlose Offenheit und Wahrhaftigkeit bei ihrem Redakteur so wenig
brauchen wie ein selbständiges Urteil und selbständige Überzeugung bei den
Wählermnsfen. Das Lokalblatt soll ihnen, soweit es eine politische Bedeutung
hat, als Werkzeug für die Wahlen dienen; es hat dabei vor allem die Partei¬
phrasen zu handhaben und die im Augenblick gefährliche Gegenpartei herunter-
zureißen, dann unbequeme Thatsachen zu verschweigen oder zu verschleiern,
im gegebnen Augenblick die Hatz mitzumachen und den erforderlichen Furor zu
erzeugen, in keinem Falle aber Klarheit zu verbreiten.") Mein Prinzipal bekam
die unter solchen Umständen unvermeidliche Ungunst einflußreicher Leute zu
spüren und kündigte mir daher im Sommer 1388.



(Schluß folgt)




") Die Saku-M/ Rovivn bemerkt in der Nummer vom ", November 18V7, die Rede"
und Gegenreden der Ministeriellen wie die der Opposition seien in der letzten Zeit so schwächlich
gewesen, daß der ganze Streit dadurch einen theatralischen Anstrich bekommen habe, und fügt
hinzu: Natürlich weiß der Unterichtete, daß bei Wahlreden immer nur Theater gespielt wird,
aber es ist nicht gut, wenn die Schauspieler dieses ihr Geheimnis der "Populäre" enthüllen.
Endlich den Beruf gefunden

gelegenheiten des öffentlichen Lebens zu verschaffen und zu diesem Zwecke selbst
fleißig lernt, oder ob man bloß Redensarten macht oder wohl gar Begeisterung
wie Entrüstung nur heuchelt und den dummen Kerl von Leser oder Zuhörer
hinter seinein Rücken auslacht. Dem strebsamen gemeinen Manne ist sein
Lokal- oder Parteiblatt, was der geistig geweckten Frau aus dem Volke die
Predigt ist; sie schätzt eine „ausgearbeitete" Predigt sehr hoch und zürnt dem
Prediger, der schlecht vorbereitet oder unvorbereitet koste. Und da ich mich
bemühe, stets gemeinverständlich zu schreiben (klar wie Wasser, sagte einer
meiner neuern Freunde vor ein paar Jahren einmal), so brauchten die Leute
nichts als „zu hoch" zu überschlagen, hatten also von jeder Nummer einen
Genuß. Gerade an einem solchen Lokalblatt aber ist den Parteiführern meist
wenig gelegen. Parteien, die in den höhern Schichten wurzeln, sind namentlich
in einem Staate mit allgemeinem Wahlrecht in der unangenehmen Lage, ihre
Wählerschaft aus den untern Schichten ergänzen zu müssen, aus Schichten
also, mit denen sie nicht Interessengemeinschaft verbindet, sondern von denen
sie ein Jnteressengegeusatz trennt, des Abstandes der Bildung, der Denkungsart
und der Lebensgewohnheiten nicht zu gedenken. Unter diesen Umständen können
sie rückhaltlose Offenheit und Wahrhaftigkeit bei ihrem Redakteur so wenig
brauchen wie ein selbständiges Urteil und selbständige Überzeugung bei den
Wählermnsfen. Das Lokalblatt soll ihnen, soweit es eine politische Bedeutung
hat, als Werkzeug für die Wahlen dienen; es hat dabei vor allem die Partei¬
phrasen zu handhaben und die im Augenblick gefährliche Gegenpartei herunter-
zureißen, dann unbequeme Thatsachen zu verschweigen oder zu verschleiern,
im gegebnen Augenblick die Hatz mitzumachen und den erforderlichen Furor zu
erzeugen, in keinem Falle aber Klarheit zu verbreiten.") Mein Prinzipal bekam
die unter solchen Umständen unvermeidliche Ungunst einflußreicher Leute zu
spüren und kündigte mir daher im Sommer 1388.



(Schluß folgt)




") Die Saku-M/ Rovivn bemerkt in der Nummer vom », November 18V7, die Rede»
und Gegenreden der Ministeriellen wie die der Opposition seien in der letzten Zeit so schwächlich
gewesen, daß der ganze Streit dadurch einen theatralischen Anstrich bekommen habe, und fügt
hinzu: Natürlich weiß der Unterichtete, daß bei Wahlreden immer nur Theater gespielt wird,
aber es ist nicht gut, wenn die Schauspieler dieses ihr Geheimnis der „Populäre" enthüllen.
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[0581] Endlich den Beruf gefunden gelegenheiten des öffentlichen Lebens zu verschaffen und zu diesem Zwecke selbst fleißig lernt, oder ob man bloß Redensarten macht oder wohl gar Begeisterung wie Entrüstung nur heuchelt und den dummen Kerl von Leser oder Zuhörer hinter seinein Rücken auslacht. Dem strebsamen gemeinen Manne ist sein Lokal- oder Parteiblatt, was der geistig geweckten Frau aus dem Volke die Predigt ist; sie schätzt eine „ausgearbeitete" Predigt sehr hoch und zürnt dem Prediger, der schlecht vorbereitet oder unvorbereitet koste. Und da ich mich bemühe, stets gemeinverständlich zu schreiben (klar wie Wasser, sagte einer meiner neuern Freunde vor ein paar Jahren einmal), so brauchten die Leute nichts als „zu hoch" zu überschlagen, hatten also von jeder Nummer einen Genuß. Gerade an einem solchen Lokalblatt aber ist den Parteiführern meist wenig gelegen. Parteien, die in den höhern Schichten wurzeln, sind namentlich in einem Staate mit allgemeinem Wahlrecht in der unangenehmen Lage, ihre Wählerschaft aus den untern Schichten ergänzen zu müssen, aus Schichten also, mit denen sie nicht Interessengemeinschaft verbindet, sondern von denen sie ein Jnteressengegeusatz trennt, des Abstandes der Bildung, der Denkungsart und der Lebensgewohnheiten nicht zu gedenken. Unter diesen Umständen können sie rückhaltlose Offenheit und Wahrhaftigkeit bei ihrem Redakteur so wenig brauchen wie ein selbständiges Urteil und selbständige Überzeugung bei den Wählermnsfen. Das Lokalblatt soll ihnen, soweit es eine politische Bedeutung hat, als Werkzeug für die Wahlen dienen; es hat dabei vor allem die Partei¬ phrasen zu handhaben und die im Augenblick gefährliche Gegenpartei herunter- zureißen, dann unbequeme Thatsachen zu verschweigen oder zu verschleiern, im gegebnen Augenblick die Hatz mitzumachen und den erforderlichen Furor zu erzeugen, in keinem Falle aber Klarheit zu verbreiten.") Mein Prinzipal bekam die unter solchen Umständen unvermeidliche Ungunst einflußreicher Leute zu spüren und kündigte mir daher im Sommer 1388. (Schluß folgt) ") Die Saku-M/ Rovivn bemerkt in der Nummer vom », November 18V7, die Rede» und Gegenreden der Ministeriellen wie die der Opposition seien in der letzten Zeit so schwächlich gewesen, daß der ganze Streit dadurch einen theatralischen Anstrich bekommen habe, und fügt hinzu: Natürlich weiß der Unterichtete, daß bei Wahlreden immer nur Theater gespielt wird, aber es ist nicht gut, wenn die Schauspieler dieses ihr Geheimnis der „Populäre" enthüllen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/581>, abgerufen am 26.06.2024.