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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

allem aber bestand damals, kein konfessioneller Gegensatz; waren doch Cister-
ziensermönche die Germcmisatorcn -- unabsichtliche Germanisatoren; die Germa¬
nisation ergab sich als Nebenerfolg ihrer sonstigen Knlturthätigkeit. Wo die
Deutschen in Feindschaft mit den Slawen lebten, wie zwischen Unterelbe und
Ostsee, da blieb nichts übrig als Ausrottung der Slawen mit Feuer und
Schwert, oder die Herstellung eines Verhältnisses wie in den baltischen Provinzen,
wo die Deutschen als Herren die leibeignen Letten und Esthen regierten, ohne
sich mit ihnen zu vermischen. Also Entnationalisirung und Assimilirung sind
Prozesse, die nur im stillen und auf friedlichem Wege vor sich gehen, in Zeiten,
wo sich die Leute ihrer Nationalität gar nicht bewußt sind, niemals in Zeiten
fanatisch erregten Nationalgefühls. Bekanntlich ist es Joseph II. gewesen, der
das heutige österreichische Elend verschuldet hat, indem er in den beinahe
vollendeten friedlichen Prozeß gewaltsam eingriff und durch schroffe Unter¬
drückung den Resten der Slawen ihre Nationalität wieder zum Bewußtsein
brachte. Auch von den Nationalitäten gilt, was sein Nachfolger Leopold von
den Rechten sagte: mein Bruder wollte alle Sonderrechte ausrotten; die Folge
davon ist, daß jetzt jedermann seine alten Rechte bis auf Karl den Großen
zurückfordert.

So befand ich mich denn so ziemlich in allem wesentlichen im Gegensatz
zur Regierung und sah mich in dem Konflikt des Jahres 1887 ans der Seite der
Mehrheit Richter-Windthorst-Grillenberger, vor der alle guten Patrioten einen
so heftigen Abscheu empfanden. Ehe ich aber die tragikomische Geschichte des
mich betreffenden Teiles dieses Konflikts erzähle, will ich vorher einiges über
meine äußere Lage berichten. Herr Letzel hatte mir vierteljährlich 450 Mark
zugesagt. Nach einem halben Jahre jedoch, zu Ostern 1883, erklärte er mir,
der erwartete Abonnentenznwachs sei leider nicht eingetreten; wenn ich die
Redaktion fortführen wolle, müsse ich mich mit 250 Mark begnügen, mehr
könne er nicht aufbringen. Ich ließ mirs gefallen; ein paar hundert Mark
hatte ich ja zuzusetzen, und die gute Kreisel "kochte, wusch und rollte mich"
billig. Auch blieb ich nicht lange auf diesem geringen Einkommen sitzen.
Gleich im ersten Vierteljahre erhöhte es sich um zehn Mark. Zu meinem
Glück nämlich bescherte uns das Frühjahr 1883 ein großes Wasser. Nach
Schluß einer Notstandskomitcesitzung sagte mir einer der Stadtgewaltigen:
aus allen Städten und Dörfern haben die Zeitungen lange Berichte gebracht,
bloß über Reiße hat man nirgends ein Wort gelesen, und wir haben doch
von allen Städten die allerschönste Überschwemmung gehabt; wollen Sie nicht
einen Bericht an die Schlesische schicken. -- I warum denn nicht! Ich that
es also und bekam am 1. Juli zehn Mark dasür mit der Bitte, regelmäßig
über die in Reiße vorfallenden Mordthaten, Einbrüche, Feuersbrünste. Jubiläen,
Wahlkämpfe und sonstige Staatsaktionen und Familienfeste zu berichten. Das
Honorar wurde später von zehn auf zwanzig Pfennige für die Zeile erhöht,


Endlich den Beruf gefunden

allem aber bestand damals, kein konfessioneller Gegensatz; waren doch Cister-
ziensermönche die Germcmisatorcn — unabsichtliche Germanisatoren; die Germa¬
nisation ergab sich als Nebenerfolg ihrer sonstigen Knlturthätigkeit. Wo die
Deutschen in Feindschaft mit den Slawen lebten, wie zwischen Unterelbe und
Ostsee, da blieb nichts übrig als Ausrottung der Slawen mit Feuer und
Schwert, oder die Herstellung eines Verhältnisses wie in den baltischen Provinzen,
wo die Deutschen als Herren die leibeignen Letten und Esthen regierten, ohne
sich mit ihnen zu vermischen. Also Entnationalisirung und Assimilirung sind
Prozesse, die nur im stillen und auf friedlichem Wege vor sich gehen, in Zeiten,
wo sich die Leute ihrer Nationalität gar nicht bewußt sind, niemals in Zeiten
fanatisch erregten Nationalgefühls. Bekanntlich ist es Joseph II. gewesen, der
das heutige österreichische Elend verschuldet hat, indem er in den beinahe
vollendeten friedlichen Prozeß gewaltsam eingriff und durch schroffe Unter¬
drückung den Resten der Slawen ihre Nationalität wieder zum Bewußtsein
brachte. Auch von den Nationalitäten gilt, was sein Nachfolger Leopold von
den Rechten sagte: mein Bruder wollte alle Sonderrechte ausrotten; die Folge
davon ist, daß jetzt jedermann seine alten Rechte bis auf Karl den Großen
zurückfordert.

So befand ich mich denn so ziemlich in allem wesentlichen im Gegensatz
zur Regierung und sah mich in dem Konflikt des Jahres 1887 ans der Seite der
Mehrheit Richter-Windthorst-Grillenberger, vor der alle guten Patrioten einen
so heftigen Abscheu empfanden. Ehe ich aber die tragikomische Geschichte des
mich betreffenden Teiles dieses Konflikts erzähle, will ich vorher einiges über
meine äußere Lage berichten. Herr Letzel hatte mir vierteljährlich 450 Mark
zugesagt. Nach einem halben Jahre jedoch, zu Ostern 1883, erklärte er mir,
der erwartete Abonnentenznwachs sei leider nicht eingetreten; wenn ich die
Redaktion fortführen wolle, müsse ich mich mit 250 Mark begnügen, mehr
könne er nicht aufbringen. Ich ließ mirs gefallen; ein paar hundert Mark
hatte ich ja zuzusetzen, und die gute Kreisel „kochte, wusch und rollte mich"
billig. Auch blieb ich nicht lange auf diesem geringen Einkommen sitzen.
Gleich im ersten Vierteljahre erhöhte es sich um zehn Mark. Zu meinem
Glück nämlich bescherte uns das Frühjahr 1883 ein großes Wasser. Nach
Schluß einer Notstandskomitcesitzung sagte mir einer der Stadtgewaltigen:
aus allen Städten und Dörfern haben die Zeitungen lange Berichte gebracht,
bloß über Reiße hat man nirgends ein Wort gelesen, und wir haben doch
von allen Städten die allerschönste Überschwemmung gehabt; wollen Sie nicht
einen Bericht an die Schlesische schicken. — I warum denn nicht! Ich that
es also und bekam am 1. Juli zehn Mark dasür mit der Bitte, regelmäßig
über die in Reiße vorfallenden Mordthaten, Einbrüche, Feuersbrünste. Jubiläen,
Wahlkämpfe und sonstige Staatsaktionen und Familienfeste zu berichten. Das
Honorar wurde später von zehn auf zwanzig Pfennige für die Zeile erhöht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/573>, abgerufen am 26.06.2024.