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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

verkauft Hütte. Er verarge es den in Not befindlichen Rittergutsbesitzern
nicht im mindesten, wenn sie alles aufbieten, sich zu halten, aber von
jedem der vorgeschlagnen Mittel pflegt er lächelnd zu sagen: wird nicht viel
helfen! Er hat sie alle mit seiner ruhigen klaren Überlegung und an der Hand
der Erfahrung geprüft, diese Mittel, von der Doppelwährung bis zu den Korn¬
silos, und gefunden, daß die einen gar nichts taugen, und daß man sich von
den andern nicht viel versprechen darf. Dem Bunde der Landwirte ist er bei¬
getreten, weil er es für seine Pflicht hält, sich an allem zu beteiligen, was
die Landwirtschaft möglicherweise fördern kann, aber aus seiner Mißbilligung
der demagogischen Manieren des Bundes macht er kein Hehl, und daß irgend
ein Bund oder eine Regierung die Getreidepreise machen könne, das glaubt er
nicht. In der Politik hält er es nicht mit der Zentrumspartei, sondern, als
Verehrer Bismarcks, mit den "Liberalen."^) Als ich nun im Anfange der
achtziger Jahre in das Geschrei über den drohenden Untergang der Land¬
wirtschaft einzustimmen Miene machte, lachte er mich aus, und dasselbe thaten
andre Bauern, die weit weniger gebildet und deren Güter viel kleiner waren.
So geriet denn mein Glaube, daß eine großartige Aktion zur Rettung der
Landwirtschaft ein Beweis hoher Staatskunst sei, ins Schwanken.

Die kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 hatte mich selbstver¬
ständlich mit Begeisterung für Bismarck erfüllt; diese kühlte sich jedoch in dem
Maße ab, als die Ausführung fortschritt. Die Großartigkeit und Kühnheit
des Gedankens unsrer Arbeiterversicherung kann ja kein Mensch bestreikn, und
die Energie, mit der Bismarck dieses sein letztes Lebenswerk durchgeführt hat,
muß man bewundern, aber im Grunde genommen ist dieses gewaltige Werk
doch weiter nichts als die den heutigen Verhältnissen angepaßte Armenver-
sorgung oder, etwas genauer ausgedrückt, Versorgung der Arbeitsunfähigen,
und berührt die sozialen Schwierigkeiten gar nicht. Daß diesen mit den un¬
klaren Idealen, die aus dem Ausdrucke: Zusammenfassung der realen Kräfte
des Volkslebens in korporativen Verbänden, hervorzuschimmern schienen, nicht
beizukommen sei, wurde mir im Laufe der Jahre immer deutlicher, und es
bildete sich in mir die Überzeugung aus, daß vorderhand nur zwei lösbare
Aufgaben vorlagen: nach außen Erweiterung der Reichsgrenzen, zur Ver¬
sorgung eines Teiles der Besitzlosen mit Land, im Innern kräftiger Arbeiterschutz
und die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit für die Arbeiter in ihrem Kampfe
um bessere Arbeitsbedingungen. Die sozialdemokratische Partei hielt ich, als vor¬
läufig einzige Arbeiterpartei, für eine Notwendigkeit, während ich den Sozialismus




Er ist Katholik, aber nicht besonders kirchlich gesinnt, was ich weder lobe noch tadle;
ich teile es nur als eine Merkwürdigkeit mit, weil die katholischen Bauern -- Pardon! Guts¬
besitzer -- unsrer Gegend fast durchweg streng kirchlich und eifrige Parteigänger des Zentrums sind.
Die Flaggenhissungen begrüßte ich zwar mit Freuden, aber ohne sonderliche Befriedigung,
da ich in Afrika unser zukünftiges Kolonialland nicht zu erkennen vermochte.
Endlich den Beruf gefunden

verkauft Hütte. Er verarge es den in Not befindlichen Rittergutsbesitzern
nicht im mindesten, wenn sie alles aufbieten, sich zu halten, aber von
jedem der vorgeschlagnen Mittel pflegt er lächelnd zu sagen: wird nicht viel
helfen! Er hat sie alle mit seiner ruhigen klaren Überlegung und an der Hand
der Erfahrung geprüft, diese Mittel, von der Doppelwährung bis zu den Korn¬
silos, und gefunden, daß die einen gar nichts taugen, und daß man sich von
den andern nicht viel versprechen darf. Dem Bunde der Landwirte ist er bei¬
getreten, weil er es für seine Pflicht hält, sich an allem zu beteiligen, was
die Landwirtschaft möglicherweise fördern kann, aber aus seiner Mißbilligung
der demagogischen Manieren des Bundes macht er kein Hehl, und daß irgend
ein Bund oder eine Regierung die Getreidepreise machen könne, das glaubt er
nicht. In der Politik hält er es nicht mit der Zentrumspartei, sondern, als
Verehrer Bismarcks, mit den „Liberalen."^) Als ich nun im Anfange der
achtziger Jahre in das Geschrei über den drohenden Untergang der Land¬
wirtschaft einzustimmen Miene machte, lachte er mich aus, und dasselbe thaten
andre Bauern, die weit weniger gebildet und deren Güter viel kleiner waren.
So geriet denn mein Glaube, daß eine großartige Aktion zur Rettung der
Landwirtschaft ein Beweis hoher Staatskunst sei, ins Schwanken.

Die kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 hatte mich selbstver¬
ständlich mit Begeisterung für Bismarck erfüllt; diese kühlte sich jedoch in dem
Maße ab, als die Ausführung fortschritt. Die Großartigkeit und Kühnheit
des Gedankens unsrer Arbeiterversicherung kann ja kein Mensch bestreikn, und
die Energie, mit der Bismarck dieses sein letztes Lebenswerk durchgeführt hat,
muß man bewundern, aber im Grunde genommen ist dieses gewaltige Werk
doch weiter nichts als die den heutigen Verhältnissen angepaßte Armenver-
sorgung oder, etwas genauer ausgedrückt, Versorgung der Arbeitsunfähigen,
und berührt die sozialen Schwierigkeiten gar nicht. Daß diesen mit den un¬
klaren Idealen, die aus dem Ausdrucke: Zusammenfassung der realen Kräfte
des Volkslebens in korporativen Verbänden, hervorzuschimmern schienen, nicht
beizukommen sei, wurde mir im Laufe der Jahre immer deutlicher, und es
bildete sich in mir die Überzeugung aus, daß vorderhand nur zwei lösbare
Aufgaben vorlagen: nach außen Erweiterung der Reichsgrenzen, zur Ver¬
sorgung eines Teiles der Besitzlosen mit Land, im Innern kräftiger Arbeiterschutz
und die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit für die Arbeiter in ihrem Kampfe
um bessere Arbeitsbedingungen. Die sozialdemokratische Partei hielt ich, als vor¬
läufig einzige Arbeiterpartei, für eine Notwendigkeit, während ich den Sozialismus




Er ist Katholik, aber nicht besonders kirchlich gesinnt, was ich weder lobe noch tadle;
ich teile es nur als eine Merkwürdigkeit mit, weil die katholischen Bauern — Pardon! Guts¬
besitzer — unsrer Gegend fast durchweg streng kirchlich und eifrige Parteigänger des Zentrums sind.
Die Flaggenhissungen begrüßte ich zwar mit Freuden, aber ohne sonderliche Befriedigung,
da ich in Afrika unser zukünftiges Kolonialland nicht zu erkennen vermochte.
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[0540] Endlich den Beruf gefunden verkauft Hütte. Er verarge es den in Not befindlichen Rittergutsbesitzern nicht im mindesten, wenn sie alles aufbieten, sich zu halten, aber von jedem der vorgeschlagnen Mittel pflegt er lächelnd zu sagen: wird nicht viel helfen! Er hat sie alle mit seiner ruhigen klaren Überlegung und an der Hand der Erfahrung geprüft, diese Mittel, von der Doppelwährung bis zu den Korn¬ silos, und gefunden, daß die einen gar nichts taugen, und daß man sich von den andern nicht viel versprechen darf. Dem Bunde der Landwirte ist er bei¬ getreten, weil er es für seine Pflicht hält, sich an allem zu beteiligen, was die Landwirtschaft möglicherweise fördern kann, aber aus seiner Mißbilligung der demagogischen Manieren des Bundes macht er kein Hehl, und daß irgend ein Bund oder eine Regierung die Getreidepreise machen könne, das glaubt er nicht. In der Politik hält er es nicht mit der Zentrumspartei, sondern, als Verehrer Bismarcks, mit den „Liberalen."^) Als ich nun im Anfange der achtziger Jahre in das Geschrei über den drohenden Untergang der Land¬ wirtschaft einzustimmen Miene machte, lachte er mich aus, und dasselbe thaten andre Bauern, die weit weniger gebildet und deren Güter viel kleiner waren. So geriet denn mein Glaube, daß eine großartige Aktion zur Rettung der Landwirtschaft ein Beweis hoher Staatskunst sei, ins Schwanken. Die kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 hatte mich selbstver¬ ständlich mit Begeisterung für Bismarck erfüllt; diese kühlte sich jedoch in dem Maße ab, als die Ausführung fortschritt. Die Großartigkeit und Kühnheit des Gedankens unsrer Arbeiterversicherung kann ja kein Mensch bestreikn, und die Energie, mit der Bismarck dieses sein letztes Lebenswerk durchgeführt hat, muß man bewundern, aber im Grunde genommen ist dieses gewaltige Werk doch weiter nichts als die den heutigen Verhältnissen angepaßte Armenver- sorgung oder, etwas genauer ausgedrückt, Versorgung der Arbeitsunfähigen, und berührt die sozialen Schwierigkeiten gar nicht. Daß diesen mit den un¬ klaren Idealen, die aus dem Ausdrucke: Zusammenfassung der realen Kräfte des Volkslebens in korporativen Verbänden, hervorzuschimmern schienen, nicht beizukommen sei, wurde mir im Laufe der Jahre immer deutlicher, und es bildete sich in mir die Überzeugung aus, daß vorderhand nur zwei lösbare Aufgaben vorlagen: nach außen Erweiterung der Reichsgrenzen, zur Ver¬ sorgung eines Teiles der Besitzlosen mit Land, im Innern kräftiger Arbeiterschutz und die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit für die Arbeiter in ihrem Kampfe um bessere Arbeitsbedingungen. Die sozialdemokratische Partei hielt ich, als vor¬ läufig einzige Arbeiterpartei, für eine Notwendigkeit, während ich den Sozialismus Er ist Katholik, aber nicht besonders kirchlich gesinnt, was ich weder lobe noch tadle; ich teile es nur als eine Merkwürdigkeit mit, weil die katholischen Bauern — Pardon! Guts¬ besitzer — unsrer Gegend fast durchweg streng kirchlich und eifrige Parteigänger des Zentrums sind. Die Flaggenhissungen begrüßte ich zwar mit Freuden, aber ohne sonderliche Befriedigung, da ich in Afrika unser zukünftiges Kolonialland nicht zu erkennen vermochte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/540>, abgerufen am 26.06.2024.