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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Das schwarze Zeitalter

mersch ist eher ohne Blut zu denken als ohne Tinte und Druckerschwärze.
Und schwarz ist alles, was er um sich sieht. Über seinen Niederlassungen
lagert wie eine unzerreißbare Decke die rußgcschwängerte Atmosphäre der
Fabriken. Wenn die moderne Männerwelt ihr Festgewand anlegt, erscheint
sie in schwarzen Röcken und schwarzen Beinkleidern, schwarzen Hüten und
schwarzen Schuhen. Die eingewurzelte Abneigung gegen die Farbe geht so
weit, daß sogar die seltne Gelegenheit, sie in frühere Rechte wieder einzusetzen,
ungenutzt bleibt. Es war gewiß ein glücklicher Gedanke, die Neugestaltung
der deutschen Rechtspflege auf der Grundlage der öffentlichen Gerichtsverhand¬
lung durch die Einführung einer Amtstracht für Richter und Anwälte zu
vervollständigen. Aber es war bezeichnend für die Farbenscheu, in deren
Bann unser Zeitalter steht, daß man die alte Juristenfarbe, die rote Blut-
farbe, geflissentlich mied und auf keinen sinnreichern Einfall kam, als die Amts-
kleiduug der protestantischen Geistlichen in den Gerichtssaal zu verpflanzen
und dergestalt dem ungefälligen, allen gesunden Augen längst zur Ermüdung
vorgeführten Schwarz einen neuen Typus auszuliefern.

Die sich von früh bis spät in diesem schwärzlichen Element bewegen und
darin wohl sühlen können, sind ohne Zweifel selbst schon von ihm infizirt.
Es sind Tintenfische in Menschengestalt. Man kann aber von ihrem heitern
Behagen weit entfernt sein, ohne darum auf der andern Seite einem hoffnungs¬
losen Pessimismus zu verfalle". Etwas andres ist es, die Schäden seiner
Zeit erkennen, etwas andres, an ihr verzweifeln. Wir sind ein farbenmüdes
Geschlecht; aber wir haben uns der überhandnehmenden Einförmigkeit noch
nicht auf Gnade und Ungnade ergeben. Nicht bloß die Natur prangt un¬
bekümmert um die Stumpfheit unsrer überreizten Sinne heute wie immer in
unerschöpflicher Farbenfülle, auch den menschlichen Verhältnissen ist noch ein
ansehnlicher Bestand von Farben verblieben. Zum Krieger gehört ein bunter
Rock, und zum Weibe ein buntes Kleid. Diese ältesten Verbündeten der Welt
haben schon bisher dem farbenfeindlichen Gleichheitsfanatismus der Neuzeit
erfolgreich Widerstand geleistet. Neben ihnen erscheint aber gerade in der
Gegenwart eine dritte Macht auf dem Plan, die, älter als das Menschen¬
geschlecht, doch erst in unsern Tagen seinen Zwecken dienstbar wird: die
Elektrizität. Luftreinigend wirkte sie von jeher, wo immer ihr Leuchten auf¬
flammte. Luftreinigend im eigentlichsten Sinne scheint sie künftig auch im
Dienst des Menschen wirken zu sollen. Indem sie den Rauch und den Ruß
verdrängt und die ragenden Fabrikschlote niederlegt, wird sie das äußere Bild
unsrer Kultur durchaus verändern. Vielleicht noch nachhaltiger wird sie die
Menschen selbst beeinflussen, wenn diese ihr das Geheimnis absehen, daß die
stärksten Kräfte ohne Lärm arbeiten. Denn wenn erst das nervenzerrüttende
Getöse verstummt sein wird, mit dem die Menschheit von heute ihre Tausch¬
werte anfertigt und umsetzt, dann wird auch wieder Ruhe in die Gemüter
einkehren und das zwecklose Herumfahren abnehmen, das unsern jetzigen Zu-


Das schwarze Zeitalter

mersch ist eher ohne Blut zu denken als ohne Tinte und Druckerschwärze.
Und schwarz ist alles, was er um sich sieht. Über seinen Niederlassungen
lagert wie eine unzerreißbare Decke die rußgcschwängerte Atmosphäre der
Fabriken. Wenn die moderne Männerwelt ihr Festgewand anlegt, erscheint
sie in schwarzen Röcken und schwarzen Beinkleidern, schwarzen Hüten und
schwarzen Schuhen. Die eingewurzelte Abneigung gegen die Farbe geht so
weit, daß sogar die seltne Gelegenheit, sie in frühere Rechte wieder einzusetzen,
ungenutzt bleibt. Es war gewiß ein glücklicher Gedanke, die Neugestaltung
der deutschen Rechtspflege auf der Grundlage der öffentlichen Gerichtsverhand¬
lung durch die Einführung einer Amtstracht für Richter und Anwälte zu
vervollständigen. Aber es war bezeichnend für die Farbenscheu, in deren
Bann unser Zeitalter steht, daß man die alte Juristenfarbe, die rote Blut-
farbe, geflissentlich mied und auf keinen sinnreichern Einfall kam, als die Amts-
kleiduug der protestantischen Geistlichen in den Gerichtssaal zu verpflanzen
und dergestalt dem ungefälligen, allen gesunden Augen längst zur Ermüdung
vorgeführten Schwarz einen neuen Typus auszuliefern.

Die sich von früh bis spät in diesem schwärzlichen Element bewegen und
darin wohl sühlen können, sind ohne Zweifel selbst schon von ihm infizirt.
Es sind Tintenfische in Menschengestalt. Man kann aber von ihrem heitern
Behagen weit entfernt sein, ohne darum auf der andern Seite einem hoffnungs¬
losen Pessimismus zu verfalle«. Etwas andres ist es, die Schäden seiner
Zeit erkennen, etwas andres, an ihr verzweifeln. Wir sind ein farbenmüdes
Geschlecht; aber wir haben uns der überhandnehmenden Einförmigkeit noch
nicht auf Gnade und Ungnade ergeben. Nicht bloß die Natur prangt un¬
bekümmert um die Stumpfheit unsrer überreizten Sinne heute wie immer in
unerschöpflicher Farbenfülle, auch den menschlichen Verhältnissen ist noch ein
ansehnlicher Bestand von Farben verblieben. Zum Krieger gehört ein bunter
Rock, und zum Weibe ein buntes Kleid. Diese ältesten Verbündeten der Welt
haben schon bisher dem farbenfeindlichen Gleichheitsfanatismus der Neuzeit
erfolgreich Widerstand geleistet. Neben ihnen erscheint aber gerade in der
Gegenwart eine dritte Macht auf dem Plan, die, älter als das Menschen¬
geschlecht, doch erst in unsern Tagen seinen Zwecken dienstbar wird: die
Elektrizität. Luftreinigend wirkte sie von jeher, wo immer ihr Leuchten auf¬
flammte. Luftreinigend im eigentlichsten Sinne scheint sie künftig auch im
Dienst des Menschen wirken zu sollen. Indem sie den Rauch und den Ruß
verdrängt und die ragenden Fabrikschlote niederlegt, wird sie das äußere Bild
unsrer Kultur durchaus verändern. Vielleicht noch nachhaltiger wird sie die
Menschen selbst beeinflussen, wenn diese ihr das Geheimnis absehen, daß die
stärksten Kräfte ohne Lärm arbeiten. Denn wenn erst das nervenzerrüttende
Getöse verstummt sein wird, mit dem die Menschheit von heute ihre Tausch¬
werte anfertigt und umsetzt, dann wird auch wieder Ruhe in die Gemüter
einkehren und das zwecklose Herumfahren abnehmen, das unsern jetzigen Zu-


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[0052] Das schwarze Zeitalter mersch ist eher ohne Blut zu denken als ohne Tinte und Druckerschwärze. Und schwarz ist alles, was er um sich sieht. Über seinen Niederlassungen lagert wie eine unzerreißbare Decke die rußgcschwängerte Atmosphäre der Fabriken. Wenn die moderne Männerwelt ihr Festgewand anlegt, erscheint sie in schwarzen Röcken und schwarzen Beinkleidern, schwarzen Hüten und schwarzen Schuhen. Die eingewurzelte Abneigung gegen die Farbe geht so weit, daß sogar die seltne Gelegenheit, sie in frühere Rechte wieder einzusetzen, ungenutzt bleibt. Es war gewiß ein glücklicher Gedanke, die Neugestaltung der deutschen Rechtspflege auf der Grundlage der öffentlichen Gerichtsverhand¬ lung durch die Einführung einer Amtstracht für Richter und Anwälte zu vervollständigen. Aber es war bezeichnend für die Farbenscheu, in deren Bann unser Zeitalter steht, daß man die alte Juristenfarbe, die rote Blut- farbe, geflissentlich mied und auf keinen sinnreichern Einfall kam, als die Amts- kleiduug der protestantischen Geistlichen in den Gerichtssaal zu verpflanzen und dergestalt dem ungefälligen, allen gesunden Augen längst zur Ermüdung vorgeführten Schwarz einen neuen Typus auszuliefern. Die sich von früh bis spät in diesem schwärzlichen Element bewegen und darin wohl sühlen können, sind ohne Zweifel selbst schon von ihm infizirt. Es sind Tintenfische in Menschengestalt. Man kann aber von ihrem heitern Behagen weit entfernt sein, ohne darum auf der andern Seite einem hoffnungs¬ losen Pessimismus zu verfalle«. Etwas andres ist es, die Schäden seiner Zeit erkennen, etwas andres, an ihr verzweifeln. Wir sind ein farbenmüdes Geschlecht; aber wir haben uns der überhandnehmenden Einförmigkeit noch nicht auf Gnade und Ungnade ergeben. Nicht bloß die Natur prangt un¬ bekümmert um die Stumpfheit unsrer überreizten Sinne heute wie immer in unerschöpflicher Farbenfülle, auch den menschlichen Verhältnissen ist noch ein ansehnlicher Bestand von Farben verblieben. Zum Krieger gehört ein bunter Rock, und zum Weibe ein buntes Kleid. Diese ältesten Verbündeten der Welt haben schon bisher dem farbenfeindlichen Gleichheitsfanatismus der Neuzeit erfolgreich Widerstand geleistet. Neben ihnen erscheint aber gerade in der Gegenwart eine dritte Macht auf dem Plan, die, älter als das Menschen¬ geschlecht, doch erst in unsern Tagen seinen Zwecken dienstbar wird: die Elektrizität. Luftreinigend wirkte sie von jeher, wo immer ihr Leuchten auf¬ flammte. Luftreinigend im eigentlichsten Sinne scheint sie künftig auch im Dienst des Menschen wirken zu sollen. Indem sie den Rauch und den Ruß verdrängt und die ragenden Fabrikschlote niederlegt, wird sie das äußere Bild unsrer Kultur durchaus verändern. Vielleicht noch nachhaltiger wird sie die Menschen selbst beeinflussen, wenn diese ihr das Geheimnis absehen, daß die stärksten Kräfte ohne Lärm arbeiten. Denn wenn erst das nervenzerrüttende Getöse verstummt sein wird, mit dem die Menschheit von heute ihre Tausch¬ werte anfertigt und umsetzt, dann wird auch wieder Ruhe in die Gemüter einkehren und das zwecklose Herumfahren abnehmen, das unsern jetzigen Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/52>, abgerufen am 26.06.2024.