Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik

gliedern -- abgesehen von diesem und jenem gelegentlich beschäftigten wissen¬
schaftlichen Hilfsarbeiter --, über hundertsiebzig etatmäßigen, festangestellten
Burcaubecimten und etwa hundert ständigen Bureauhilfsarbeitern. Die Ver¬
mehrung der wissenschaftlichen Arbeitskräfte, deren Zahl schon zu Anfang für
unzureichend erklärt worden war, ist also hinter der der Bureauarbeiter ganz
auffallend zurückgeblieben. Wenn man aber die vor fünfundzwanzig Jahren
geübte Kritik näher prüft, kann man ihr in der Hauptsache nicht zustimmen.
Erstens lag das praktische Bedürfnis der Reichsverwaltung nach einer eignen
Statistik damals so ziemlich im Dunkeln, soweit nicht die subalternen Aufgaben
des alten Zentralbureaus in Betracht kamen, d. h. die Zusammenstellung der
Volkszühlungsergebnisse sür das Reich, die Erhebungen über den Warenverkehr
mit dem Auslande und über die Ertrüge der gemeinsamen Zölle und Steuern
und die Sammlung statistischer Angaben über die Bergwerke, Hütten und Salinen.
Wenn auch der Artikel 4 der Reichsverfassung die Angelegenheiten bezeichnet,
die der Beaufsichtigung durch das Reich und seiner Gesetzgebung unterliegen,
so hatte doch das Reich seine Aufgaben und Befugnisse auf den betreffenden
Gebieten erst in Angriff zu nehmen, was selbst heute noch nicht durchweg ge¬
schehen ist, ehe sich für die praktische Arbeit des neuen statistischen Amts greif¬
barer Stoff daraus ergab. Daran hat niemand gedacht, und bei der Natur
des neuen Reichs konnte auch niemand daran denken, das statistische Reichsamt
als eine Zentralstelle der gesamten amtlichen Statistik im Reich den stati¬
stischen Ämtern der Einzelstaaten überzuordnen, sondern die amtliche Laudes-
statistik. die sich zum Teil vortrefflich bewährt hatte, blieb uneingeschränkt
in Thätigkeit und kam natürlich auch dein statistischen Bedürfnis des
Reichs vielfach zu statten. Endlich schien es besonders anfangs nötig, daß
einzelne Reichsbehörden sich selbst ihre Statistik machten, wie das z. B. bei
der Reichspost, beim Reichsgesundheitsamt, beim Reichsversicherungsamt usw.
noch heute der Fall ist und in gewissem Umfange immer der Fall sein
wird. Aber auch in Bezug auf die wissenschaftlichen Aufgaben des neuen
Amts stand man damals im Grunde genommen vor einer noch offnen Frage.
Der Wissenschaft dienten doch mehr oder weniger auch die statistischen
Landesämter. Dann ist aber überhaupt die Verbindung der freien wissen¬
schaftlichen Forschung und Verwertung der Forschungsergebnisse mit der streng
amtlichen Aufgabe im Dienst der Staatsleitung in den statistischen Ämtern
keine so ganz leichte Sache, vollends für ein so junges, aus selbständigen
Staaten zusammengefügtes Gebilde, wie es das deutsche Reich war. Auch der
Gedanke, die statistischen Ämter gleichsam als Lehrmittel mit der Universität
in Verbindung zu bringen wie die Kliniken, war beim statistischen Reichsamt
am wenigsten leicht auszuführen. Mau mußte also 1872 klein anfangen und
sich die Möglichkeit offen halten, nach Bedürfnis zu erweitern. Und diesem Zweck
hat immerhin die erste Dienstanweisung und die ganze anfängliche Organisation


Grcnzboicn IV 1897 f>4
Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik

gliedern — abgesehen von diesem und jenem gelegentlich beschäftigten wissen¬
schaftlichen Hilfsarbeiter —, über hundertsiebzig etatmäßigen, festangestellten
Burcaubecimten und etwa hundert ständigen Bureauhilfsarbeitern. Die Ver¬
mehrung der wissenschaftlichen Arbeitskräfte, deren Zahl schon zu Anfang für
unzureichend erklärt worden war, ist also hinter der der Bureauarbeiter ganz
auffallend zurückgeblieben. Wenn man aber die vor fünfundzwanzig Jahren
geübte Kritik näher prüft, kann man ihr in der Hauptsache nicht zustimmen.
Erstens lag das praktische Bedürfnis der Reichsverwaltung nach einer eignen
Statistik damals so ziemlich im Dunkeln, soweit nicht die subalternen Aufgaben
des alten Zentralbureaus in Betracht kamen, d. h. die Zusammenstellung der
Volkszühlungsergebnisse sür das Reich, die Erhebungen über den Warenverkehr
mit dem Auslande und über die Ertrüge der gemeinsamen Zölle und Steuern
und die Sammlung statistischer Angaben über die Bergwerke, Hütten und Salinen.
Wenn auch der Artikel 4 der Reichsverfassung die Angelegenheiten bezeichnet,
die der Beaufsichtigung durch das Reich und seiner Gesetzgebung unterliegen,
so hatte doch das Reich seine Aufgaben und Befugnisse auf den betreffenden
Gebieten erst in Angriff zu nehmen, was selbst heute noch nicht durchweg ge¬
schehen ist, ehe sich für die praktische Arbeit des neuen statistischen Amts greif¬
barer Stoff daraus ergab. Daran hat niemand gedacht, und bei der Natur
des neuen Reichs konnte auch niemand daran denken, das statistische Reichsamt
als eine Zentralstelle der gesamten amtlichen Statistik im Reich den stati¬
stischen Ämtern der Einzelstaaten überzuordnen, sondern die amtliche Laudes-
statistik. die sich zum Teil vortrefflich bewährt hatte, blieb uneingeschränkt
in Thätigkeit und kam natürlich auch dein statistischen Bedürfnis des
Reichs vielfach zu statten. Endlich schien es besonders anfangs nötig, daß
einzelne Reichsbehörden sich selbst ihre Statistik machten, wie das z. B. bei
der Reichspost, beim Reichsgesundheitsamt, beim Reichsversicherungsamt usw.
noch heute der Fall ist und in gewissem Umfange immer der Fall sein
wird. Aber auch in Bezug auf die wissenschaftlichen Aufgaben des neuen
Amts stand man damals im Grunde genommen vor einer noch offnen Frage.
Der Wissenschaft dienten doch mehr oder weniger auch die statistischen
Landesämter. Dann ist aber überhaupt die Verbindung der freien wissen¬
schaftlichen Forschung und Verwertung der Forschungsergebnisse mit der streng
amtlichen Aufgabe im Dienst der Staatsleitung in den statistischen Ämtern
keine so ganz leichte Sache, vollends für ein so junges, aus selbständigen
Staaten zusammengefügtes Gebilde, wie es das deutsche Reich war. Auch der
Gedanke, die statistischen Ämter gleichsam als Lehrmittel mit der Universität
in Verbindung zu bringen wie die Kliniken, war beim statistischen Reichsamt
am wenigsten leicht auszuführen. Mau mußte also 1872 klein anfangen und
sich die Möglichkeit offen halten, nach Bedürfnis zu erweitern. Und diesem Zweck
hat immerhin die erste Dienstanweisung und die ganze anfängliche Organisation


Grcnzboicn IV 1897 f>4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226745"/>
          <fw type="header" place="top"> Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1256" prev="#ID_1255" next="#ID_1257"> gliedern &#x2014; abgesehen von diesem und jenem gelegentlich beschäftigten wissen¬<lb/>
schaftlichen Hilfsarbeiter &#x2014;, über hundertsiebzig etatmäßigen, festangestellten<lb/>
Burcaubecimten und etwa hundert ständigen Bureauhilfsarbeitern. Die Ver¬<lb/>
mehrung der wissenschaftlichen Arbeitskräfte, deren Zahl schon zu Anfang für<lb/>
unzureichend erklärt worden war, ist also hinter der der Bureauarbeiter ganz<lb/>
auffallend zurückgeblieben. Wenn man aber die vor fünfundzwanzig Jahren<lb/>
geübte Kritik näher prüft, kann man ihr in der Hauptsache nicht zustimmen.<lb/>
Erstens lag das praktische Bedürfnis der Reichsverwaltung nach einer eignen<lb/>
Statistik damals so ziemlich im Dunkeln, soweit nicht die subalternen Aufgaben<lb/>
des alten Zentralbureaus in Betracht kamen, d. h. die Zusammenstellung der<lb/>
Volkszühlungsergebnisse sür das Reich, die Erhebungen über den Warenverkehr<lb/>
mit dem Auslande und über die Ertrüge der gemeinsamen Zölle und Steuern<lb/>
und die Sammlung statistischer Angaben über die Bergwerke, Hütten und Salinen.<lb/>
Wenn auch der Artikel 4 der Reichsverfassung die Angelegenheiten bezeichnet,<lb/>
die der Beaufsichtigung durch das Reich und seiner Gesetzgebung unterliegen,<lb/>
so hatte doch das Reich seine Aufgaben und Befugnisse auf den betreffenden<lb/>
Gebieten erst in Angriff zu nehmen, was selbst heute noch nicht durchweg ge¬<lb/>
schehen ist, ehe sich für die praktische Arbeit des neuen statistischen Amts greif¬<lb/>
barer Stoff daraus ergab. Daran hat niemand gedacht, und bei der Natur<lb/>
des neuen Reichs konnte auch niemand daran denken, das statistische Reichsamt<lb/>
als eine Zentralstelle der gesamten amtlichen Statistik im Reich den stati¬<lb/>
stischen Ämtern der Einzelstaaten überzuordnen, sondern die amtliche Laudes-<lb/>
statistik. die sich zum Teil vortrefflich bewährt hatte, blieb uneingeschränkt<lb/>
in Thätigkeit und kam natürlich auch dein statistischen Bedürfnis des<lb/>
Reichs vielfach zu statten. Endlich schien es besonders anfangs nötig, daß<lb/>
einzelne Reichsbehörden sich selbst ihre Statistik machten, wie das z. B. bei<lb/>
der Reichspost, beim Reichsgesundheitsamt, beim Reichsversicherungsamt usw.<lb/>
noch heute der Fall ist und in gewissem Umfange immer der Fall sein<lb/>
wird. Aber auch in Bezug auf die wissenschaftlichen Aufgaben des neuen<lb/>
Amts stand man damals im Grunde genommen vor einer noch offnen Frage.<lb/>
Der Wissenschaft dienten doch mehr oder weniger auch die statistischen<lb/>
Landesämter. Dann ist aber überhaupt die Verbindung der freien wissen¬<lb/>
schaftlichen Forschung und Verwertung der Forschungsergebnisse mit der streng<lb/>
amtlichen Aufgabe im Dienst der Staatsleitung in den statistischen Ämtern<lb/>
keine so ganz leichte Sache, vollends für ein so junges, aus selbständigen<lb/>
Staaten zusammengefügtes Gebilde, wie es das deutsche Reich war. Auch der<lb/>
Gedanke, die statistischen Ämter gleichsam als Lehrmittel mit der Universität<lb/>
in Verbindung zu bringen wie die Kliniken, war beim statistischen Reichsamt<lb/>
am wenigsten leicht auszuführen. Mau mußte also 1872 klein anfangen und<lb/>
sich die Möglichkeit offen halten, nach Bedürfnis zu erweitern. Und diesem Zweck<lb/>
hat immerhin die erste Dienstanweisung und die ganze anfängliche Organisation</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzboicn IV 1897 f&gt;4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik gliedern — abgesehen von diesem und jenem gelegentlich beschäftigten wissen¬ schaftlichen Hilfsarbeiter —, über hundertsiebzig etatmäßigen, festangestellten Burcaubecimten und etwa hundert ständigen Bureauhilfsarbeitern. Die Ver¬ mehrung der wissenschaftlichen Arbeitskräfte, deren Zahl schon zu Anfang für unzureichend erklärt worden war, ist also hinter der der Bureauarbeiter ganz auffallend zurückgeblieben. Wenn man aber die vor fünfundzwanzig Jahren geübte Kritik näher prüft, kann man ihr in der Hauptsache nicht zustimmen. Erstens lag das praktische Bedürfnis der Reichsverwaltung nach einer eignen Statistik damals so ziemlich im Dunkeln, soweit nicht die subalternen Aufgaben des alten Zentralbureaus in Betracht kamen, d. h. die Zusammenstellung der Volkszühlungsergebnisse sür das Reich, die Erhebungen über den Warenverkehr mit dem Auslande und über die Ertrüge der gemeinsamen Zölle und Steuern und die Sammlung statistischer Angaben über die Bergwerke, Hütten und Salinen. Wenn auch der Artikel 4 der Reichsverfassung die Angelegenheiten bezeichnet, die der Beaufsichtigung durch das Reich und seiner Gesetzgebung unterliegen, so hatte doch das Reich seine Aufgaben und Befugnisse auf den betreffenden Gebieten erst in Angriff zu nehmen, was selbst heute noch nicht durchweg ge¬ schehen ist, ehe sich für die praktische Arbeit des neuen statistischen Amts greif¬ barer Stoff daraus ergab. Daran hat niemand gedacht, und bei der Natur des neuen Reichs konnte auch niemand daran denken, das statistische Reichsamt als eine Zentralstelle der gesamten amtlichen Statistik im Reich den stati¬ stischen Ämtern der Einzelstaaten überzuordnen, sondern die amtliche Laudes- statistik. die sich zum Teil vortrefflich bewährt hatte, blieb uneingeschränkt in Thätigkeit und kam natürlich auch dein statistischen Bedürfnis des Reichs vielfach zu statten. Endlich schien es besonders anfangs nötig, daß einzelne Reichsbehörden sich selbst ihre Statistik machten, wie das z. B. bei der Reichspost, beim Reichsgesundheitsamt, beim Reichsversicherungsamt usw. noch heute der Fall ist und in gewissem Umfange immer der Fall sein wird. Aber auch in Bezug auf die wissenschaftlichen Aufgaben des neuen Amts stand man damals im Grunde genommen vor einer noch offnen Frage. Der Wissenschaft dienten doch mehr oder weniger auch die statistischen Landesämter. Dann ist aber überhaupt die Verbindung der freien wissen¬ schaftlichen Forschung und Verwertung der Forschungsergebnisse mit der streng amtlichen Aufgabe im Dienst der Staatsleitung in den statistischen Ämtern keine so ganz leichte Sache, vollends für ein so junges, aus selbständigen Staaten zusammengefügtes Gebilde, wie es das deutsche Reich war. Auch der Gedanke, die statistischen Ämter gleichsam als Lehrmittel mit der Universität in Verbindung zu bringen wie die Kliniken, war beim statistischen Reichsamt am wenigsten leicht auszuführen. Mau mußte also 1872 klein anfangen und sich die Möglichkeit offen halten, nach Bedürfnis zu erweitern. Und diesem Zweck hat immerhin die erste Dienstanweisung und die ganze anfängliche Organisation Grcnzboicn IV 1897 f>4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/515>, abgerufen am 26.06.2024.