Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anthropologische Fragen

liehen Zeiten waren die Germanen mit dem römischen Katholizismus im
Widerspruch; nur mit Widerstreben nahmen sie das Christentum an, dann
waren sie Arianer, im Mittelalter Ketzer und später Protestante"; und dieser
Gegensatz reicht bis in die Tage des Deutsch- und des Altkatholizismus. Der
asiatische Rnndkopf ist ein geborner Autoritätsmensch: der Despotismus
Attilas wie derjenige Dschingischans, der türkischen Sultane und der chine¬
sischen Himmelssvhue, desgleichen die Verkörperung der religiösen Gemeinschaft
in dem tibetauischen Dalai-Lama, wie die in dein russischen Zaren und dein
römischen Papste, sie alle treffen bei dem Rundköpfe vorbereitete Hirnzellen,
die das Individuum und das ganze Volk sich willig fügen heißen. Die Oppo¬
sition Döllingers und andrer katholischen Theologen gegen das Unfehlbarkeits¬
dogma war ein Protest des deutschen Gewissens gegen die Bestrebungen der
Rundköpfe. Die Opponenten dachten nur nicht daran, daß das religiöse Gefühl
der rundköpfigen Menge eine solche Autorität haben muß." Und Ammon
denkt nicht daran, daß dem Geschichtskundigen bei diesem historischen Potpourri
übel werde" muß. Der Geschichtskundige weiß, daß der Gegensatz gegen die
Asiaten nicht erst in den Deutschen, sondern schon in den Hellenen hervor¬
getreten ist, daß der Anschluß der Germanen an diese oder jene Form des Christen¬
tums von geographischen Verhältnissen und politischen Erwägungen abgehangen
hat, daß gerade die Asiaten sich eher lebendig rösten als zum Christentum
zwingen lassen würden, daß es i" Frankreich und Italien noch mehr als in
Deutschland von Ketzern gewimmelt hat, und daß die katholischen Italiener
der Renaissance die autoritätsfeindlichsten Individualisten der Welt gewesen sind.
Wir können nicht noch einmal wiederholen, was vor Jahren in den Grenz-
boten über die Unterschiede der Konfessionen gesagt worden ist; die Entscheidung
der Völker dafür, soweit sie ihnen nicht von den Gewalthabern abgenommen
worden ist, hat weit mehr von Knltusfragen als von dogmatischen abgehangen;
für den Katholizismus giebt bei den Romanen ihr vorherrschender Formensinn
den Ausschlag. Der Unbequemlichkeit selbständiger Entscheidung unterzieht sich
der Durchschnittsmensch aller Schädelformen nur sehr ungern, wenn er in
kritischen Zeiten dazu gezwungen wird; ist die Entscheidung für eine neue Kirche
oder Sekte getroffen, so werden deren Glaubenssätze von den folgenden Ge¬
schlechtern ebenso mechanisch angeeignet und auf die Autorität der Lehrer hin
geglaubt wie in der alten Kirche. Über Glaubeussütze nach eignem begrün¬
detem Urteil zu entscheiden, ist der gemeine Mann, ist selbst der gebildete Nicht-
theolvge meistens gar nicht in der Lage; wie viele von ihnen haben wohl
-- von der Begabung gar nicht zu reden -- die Zeit und die Hilfsmittel,
Bibel und Kirchengeschichte nach der Berechtigung eines Dogmas zu durch¬
forschen? Trifft einer eine selbständige Entscheidung, so bestimmt ihn nicht
die klare Einsicht in die Wahrheit oder der Irrtum eines Dogmas, sondern die
Zuneigung zu dem gesamten Kirchentum oder die Abneigung dagegen. Das


Grenzboten IV 1897 54
Anthropologische Fragen

liehen Zeiten waren die Germanen mit dem römischen Katholizismus im
Widerspruch; nur mit Widerstreben nahmen sie das Christentum an, dann
waren sie Arianer, im Mittelalter Ketzer und später Protestante»; und dieser
Gegensatz reicht bis in die Tage des Deutsch- und des Altkatholizismus. Der
asiatische Rnndkopf ist ein geborner Autoritätsmensch: der Despotismus
Attilas wie derjenige Dschingischans, der türkischen Sultane und der chine¬
sischen Himmelssvhue, desgleichen die Verkörperung der religiösen Gemeinschaft
in dem tibetauischen Dalai-Lama, wie die in dein russischen Zaren und dein
römischen Papste, sie alle treffen bei dem Rundköpfe vorbereitete Hirnzellen,
die das Individuum und das ganze Volk sich willig fügen heißen. Die Oppo¬
sition Döllingers und andrer katholischen Theologen gegen das Unfehlbarkeits¬
dogma war ein Protest des deutschen Gewissens gegen die Bestrebungen der
Rundköpfe. Die Opponenten dachten nur nicht daran, daß das religiöse Gefühl
der rundköpfigen Menge eine solche Autorität haben muß." Und Ammon
denkt nicht daran, daß dem Geschichtskundigen bei diesem historischen Potpourri
übel werde» muß. Der Geschichtskundige weiß, daß der Gegensatz gegen die
Asiaten nicht erst in den Deutschen, sondern schon in den Hellenen hervor¬
getreten ist, daß der Anschluß der Germanen an diese oder jene Form des Christen¬
tums von geographischen Verhältnissen und politischen Erwägungen abgehangen
hat, daß gerade die Asiaten sich eher lebendig rösten als zum Christentum
zwingen lassen würden, daß es i» Frankreich und Italien noch mehr als in
Deutschland von Ketzern gewimmelt hat, und daß die katholischen Italiener
der Renaissance die autoritätsfeindlichsten Individualisten der Welt gewesen sind.
Wir können nicht noch einmal wiederholen, was vor Jahren in den Grenz-
boten über die Unterschiede der Konfessionen gesagt worden ist; die Entscheidung
der Völker dafür, soweit sie ihnen nicht von den Gewalthabern abgenommen
worden ist, hat weit mehr von Knltusfragen als von dogmatischen abgehangen;
für den Katholizismus giebt bei den Romanen ihr vorherrschender Formensinn
den Ausschlag. Der Unbequemlichkeit selbständiger Entscheidung unterzieht sich
der Durchschnittsmensch aller Schädelformen nur sehr ungern, wenn er in
kritischen Zeiten dazu gezwungen wird; ist die Entscheidung für eine neue Kirche
oder Sekte getroffen, so werden deren Glaubenssätze von den folgenden Ge¬
schlechtern ebenso mechanisch angeeignet und auf die Autorität der Lehrer hin
geglaubt wie in der alten Kirche. Über Glaubeussütze nach eignem begrün¬
detem Urteil zu entscheiden, ist der gemeine Mann, ist selbst der gebildete Nicht-
theolvge meistens gar nicht in der Lage; wie viele von ihnen haben wohl
— von der Begabung gar nicht zu reden — die Zeit und die Hilfsmittel,
Bibel und Kirchengeschichte nach der Berechtigung eines Dogmas zu durch¬
forschen? Trifft einer eine selbständige Entscheidung, so bestimmt ihn nicht
die klare Einsicht in die Wahrheit oder der Irrtum eines Dogmas, sondern die
Zuneigung zu dem gesamten Kirchentum oder die Abneigung dagegen. Das


Grenzboten IV 1897 54
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226665"/>
          <fw type="header" place="top"> Anthropologische Fragen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067" next="#ID_1069"> liehen Zeiten waren die Germanen mit dem römischen Katholizismus im<lb/>
Widerspruch; nur mit Widerstreben nahmen sie das Christentum an, dann<lb/>
waren sie Arianer, im Mittelalter Ketzer und später Protestante»; und dieser<lb/>
Gegensatz reicht bis in die Tage des Deutsch- und des Altkatholizismus. Der<lb/>
asiatische Rnndkopf ist ein geborner Autoritätsmensch: der Despotismus<lb/>
Attilas wie derjenige Dschingischans, der türkischen Sultane und der chine¬<lb/>
sischen Himmelssvhue, desgleichen die Verkörperung der religiösen Gemeinschaft<lb/>
in dem tibetauischen Dalai-Lama, wie die in dein russischen Zaren und dein<lb/>
römischen Papste, sie alle treffen bei dem Rundköpfe vorbereitete Hirnzellen,<lb/>
die das Individuum und das ganze Volk sich willig fügen heißen. Die Oppo¬<lb/>
sition Döllingers und andrer katholischen Theologen gegen das Unfehlbarkeits¬<lb/>
dogma war ein Protest des deutschen Gewissens gegen die Bestrebungen der<lb/>
Rundköpfe. Die Opponenten dachten nur nicht daran, daß das religiöse Gefühl<lb/>
der rundköpfigen Menge eine solche Autorität haben muß." Und Ammon<lb/>
denkt nicht daran, daß dem Geschichtskundigen bei diesem historischen Potpourri<lb/>
übel werde» muß. Der Geschichtskundige weiß, daß der Gegensatz gegen die<lb/>
Asiaten nicht erst in den Deutschen, sondern schon in den Hellenen hervor¬<lb/>
getreten ist, daß der Anschluß der Germanen an diese oder jene Form des Christen¬<lb/>
tums von geographischen Verhältnissen und politischen Erwägungen abgehangen<lb/>
hat, daß gerade die Asiaten sich eher lebendig rösten als zum Christentum<lb/>
zwingen lassen würden, daß es i» Frankreich und Italien noch mehr als in<lb/>
Deutschland von Ketzern gewimmelt hat, und daß die katholischen Italiener<lb/>
der Renaissance die autoritätsfeindlichsten Individualisten der Welt gewesen sind.<lb/>
Wir können nicht noch einmal wiederholen, was vor Jahren in den Grenz-<lb/>
boten über die Unterschiede der Konfessionen gesagt worden ist; die Entscheidung<lb/>
der Völker dafür, soweit sie ihnen nicht von den Gewalthabern abgenommen<lb/>
worden ist, hat weit mehr von Knltusfragen als von dogmatischen abgehangen;<lb/>
für den Katholizismus giebt bei den Romanen ihr vorherrschender Formensinn<lb/>
den Ausschlag. Der Unbequemlichkeit selbständiger Entscheidung unterzieht sich<lb/>
der Durchschnittsmensch aller Schädelformen nur sehr ungern, wenn er in<lb/>
kritischen Zeiten dazu gezwungen wird; ist die Entscheidung für eine neue Kirche<lb/>
oder Sekte getroffen, so werden deren Glaubenssätze von den folgenden Ge¬<lb/>
schlechtern ebenso mechanisch angeeignet und auf die Autorität der Lehrer hin<lb/>
geglaubt wie in der alten Kirche. Über Glaubeussütze nach eignem begrün¬<lb/>
detem Urteil zu entscheiden, ist der gemeine Mann, ist selbst der gebildete Nicht-<lb/>
theolvge meistens gar nicht in der Lage; wie viele von ihnen haben wohl<lb/>
&#x2014; von der Begabung gar nicht zu reden &#x2014; die Zeit und die Hilfsmittel,<lb/>
Bibel und Kirchengeschichte nach der Berechtigung eines Dogmas zu durch¬<lb/>
forschen? Trifft einer eine selbständige Entscheidung, so bestimmt ihn nicht<lb/>
die klare Einsicht in die Wahrheit oder der Irrtum eines Dogmas, sondern die<lb/>
Zuneigung zu dem gesamten Kirchentum oder die Abneigung dagegen. Das</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1897 54</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] Anthropologische Fragen liehen Zeiten waren die Germanen mit dem römischen Katholizismus im Widerspruch; nur mit Widerstreben nahmen sie das Christentum an, dann waren sie Arianer, im Mittelalter Ketzer und später Protestante»; und dieser Gegensatz reicht bis in die Tage des Deutsch- und des Altkatholizismus. Der asiatische Rnndkopf ist ein geborner Autoritätsmensch: der Despotismus Attilas wie derjenige Dschingischans, der türkischen Sultane und der chine¬ sischen Himmelssvhue, desgleichen die Verkörperung der religiösen Gemeinschaft in dem tibetauischen Dalai-Lama, wie die in dein russischen Zaren und dein römischen Papste, sie alle treffen bei dem Rundköpfe vorbereitete Hirnzellen, die das Individuum und das ganze Volk sich willig fügen heißen. Die Oppo¬ sition Döllingers und andrer katholischen Theologen gegen das Unfehlbarkeits¬ dogma war ein Protest des deutschen Gewissens gegen die Bestrebungen der Rundköpfe. Die Opponenten dachten nur nicht daran, daß das religiöse Gefühl der rundköpfigen Menge eine solche Autorität haben muß." Und Ammon denkt nicht daran, daß dem Geschichtskundigen bei diesem historischen Potpourri übel werde» muß. Der Geschichtskundige weiß, daß der Gegensatz gegen die Asiaten nicht erst in den Deutschen, sondern schon in den Hellenen hervor¬ getreten ist, daß der Anschluß der Germanen an diese oder jene Form des Christen¬ tums von geographischen Verhältnissen und politischen Erwägungen abgehangen hat, daß gerade die Asiaten sich eher lebendig rösten als zum Christentum zwingen lassen würden, daß es i» Frankreich und Italien noch mehr als in Deutschland von Ketzern gewimmelt hat, und daß die katholischen Italiener der Renaissance die autoritätsfeindlichsten Individualisten der Welt gewesen sind. Wir können nicht noch einmal wiederholen, was vor Jahren in den Grenz- boten über die Unterschiede der Konfessionen gesagt worden ist; die Entscheidung der Völker dafür, soweit sie ihnen nicht von den Gewalthabern abgenommen worden ist, hat weit mehr von Knltusfragen als von dogmatischen abgehangen; für den Katholizismus giebt bei den Romanen ihr vorherrschender Formensinn den Ausschlag. Der Unbequemlichkeit selbständiger Entscheidung unterzieht sich der Durchschnittsmensch aller Schädelformen nur sehr ungern, wenn er in kritischen Zeiten dazu gezwungen wird; ist die Entscheidung für eine neue Kirche oder Sekte getroffen, so werden deren Glaubenssätze von den folgenden Ge¬ schlechtern ebenso mechanisch angeeignet und auf die Autorität der Lehrer hin geglaubt wie in der alten Kirche. Über Glaubeussütze nach eignem begrün¬ detem Urteil zu entscheiden, ist der gemeine Mann, ist selbst der gebildete Nicht- theolvge meistens gar nicht in der Lage; wie viele von ihnen haben wohl — von der Begabung gar nicht zu reden — die Zeit und die Hilfsmittel, Bibel und Kirchengeschichte nach der Berechtigung eines Dogmas zu durch¬ forschen? Trifft einer eine selbständige Entscheidung, so bestimmt ihn nicht die klare Einsicht in die Wahrheit oder der Irrtum eines Dogmas, sondern die Zuneigung zu dem gesamten Kirchentum oder die Abneigung dagegen. Das Grenzboten IV 1897 54

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/435>, abgerufen am 28.09.2024.