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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

Stellung das germanische Element noch unter den Bauern vertreten, muß also
die Eigenschaften der Rundschädel angenommen haben, weil es sonst in diesem
Stande sein Fortkommen nicht fände. Woraus folgt, daß jahrhundertelanger
Druck aus den Nachkommen eines Herrenvolks geduldige Fröhner machen kann,
wie wahrscheinlich auch eine dauernd günstige Stellung aus den Nachkommen
von Knechten zum Herrschen taugliche Gebieter machen kann. Es wäre zu
untersuchen, ob die herrschende Aristokratie an der Ostseeküste von Wismar bis
Reval aus lauter Laugköpfen, die gehorsame Bauern- und Tagelvhnerschcift
aber auch im deutschen Anteil aus lauter Rundköpfen besteht. Diese Land¬
schaften sind, obwohl sie immer unter Fürsten gestanden haben, seit der Ein¬
wanderung der deutschen Herren Adelsrepubliken gewesen und sind es einiger¬
maßen heute noch. Die Herren sind allerdings nicht allein tapfere Verteidiger
des Vaterlands im Kriege, sondern auch Verteidiger der gesellschaftlichen Ord¬
nung im Frieden, aber nur der Ordnung, die ihnen die Alleinherrschaft im
Lande sichert; bequeme Unterthanen, Verteidiger einer Ordnung, die auch die
neuen Vevölkerungsschichten des modernen Staats zu ihrem Rechte kommen
läßt, das sind sie nicht, die preußischen Könige haben immer ihre liebe Not
mit ihnen gehabt. Wenn ferner Ammon die Rundköpfe einerseits als geduldige
Schvllentleber, fleißige Arbeiter und fügsame Unterthanen, andrerseits als
Demokraten schildert, die keinen hervorragenden Mann über sich dulden wollen,
so schreibt er ihnen widersprechende Eigenschaften zu. Die Russen, die Muster¬
bilder der ersten Charakteristik sind, denken gar nicht daran, eine demokratische
Republik aufzurichten; sie küssen die Hand, die die Knute über sie schwingt,
mag es die ihres Gutsherrn sein oder die eines Beamten ihres angebeteten
Zaren. Zu Nihilisten sind einige von ihnen geworden nicht durch ihre Rund-
kopsigkeit, sondern durch die Ausnahme der Ideen des Westens in ihre wie
immer gestalteten Köpfe. Demokraten, wir meinen nicht Maulmacher, die
demokratisch klingendes Zeug schwatzen, sondern echte Demokraten, sind stets
Männer von starkem Unabhängigkeitssinn, einer Eigenschaft, die nach Ammons
Meinung mit den langen Schädeln verbunden ist. Athen und Florenz haben
nur darum die am meisten demokratischen Gemeinwesen sein können, die die
Geschichte kennt, weil ihr kleines Volk aus lauter Aristokraten bestand, das
heißt aus lauter hochbegabten und hochgebildeten Menschen, von denen jeder
auf eignen Füßen zu steheu und andre Menschen zu beherrschen imstande war.
Sehr natürlich, daß sie einander politisch gleich sein wollten, weil sie einander
in der Begabung gleich waren! Ähnlich steht die Sache in Bauernrepubliken.
Wirkliche Demokratien entstehen also nur in solchen Städten und kleinen Ländern,



Die Einteilung in Herrenmenschen und Sklaven ist selbstverständlich so ungenügend
wie jede andre Zweischnchteltheorie, denn es giebt auch in dieser Hinsicht unzählige Abstufungen
und Mischungen; allermindestens muß man zwischen die beiden Hnuptklnssen noch die Klasse der
Unabhängigen einschicken, die niemals Herr und niemals Knecht sein wollen.
Anthropologische Fragen

Stellung das germanische Element noch unter den Bauern vertreten, muß also
die Eigenschaften der Rundschädel angenommen haben, weil es sonst in diesem
Stande sein Fortkommen nicht fände. Woraus folgt, daß jahrhundertelanger
Druck aus den Nachkommen eines Herrenvolks geduldige Fröhner machen kann,
wie wahrscheinlich auch eine dauernd günstige Stellung aus den Nachkommen
von Knechten zum Herrschen taugliche Gebieter machen kann. Es wäre zu
untersuchen, ob die herrschende Aristokratie an der Ostseeküste von Wismar bis
Reval aus lauter Laugköpfen, die gehorsame Bauern- und Tagelvhnerschcift
aber auch im deutschen Anteil aus lauter Rundköpfen besteht. Diese Land¬
schaften sind, obwohl sie immer unter Fürsten gestanden haben, seit der Ein¬
wanderung der deutschen Herren Adelsrepubliken gewesen und sind es einiger¬
maßen heute noch. Die Herren sind allerdings nicht allein tapfere Verteidiger
des Vaterlands im Kriege, sondern auch Verteidiger der gesellschaftlichen Ord¬
nung im Frieden, aber nur der Ordnung, die ihnen die Alleinherrschaft im
Lande sichert; bequeme Unterthanen, Verteidiger einer Ordnung, die auch die
neuen Vevölkerungsschichten des modernen Staats zu ihrem Rechte kommen
läßt, das sind sie nicht, die preußischen Könige haben immer ihre liebe Not
mit ihnen gehabt. Wenn ferner Ammon die Rundköpfe einerseits als geduldige
Schvllentleber, fleißige Arbeiter und fügsame Unterthanen, andrerseits als
Demokraten schildert, die keinen hervorragenden Mann über sich dulden wollen,
so schreibt er ihnen widersprechende Eigenschaften zu. Die Russen, die Muster¬
bilder der ersten Charakteristik sind, denken gar nicht daran, eine demokratische
Republik aufzurichten; sie küssen die Hand, die die Knute über sie schwingt,
mag es die ihres Gutsherrn sein oder die eines Beamten ihres angebeteten
Zaren. Zu Nihilisten sind einige von ihnen geworden nicht durch ihre Rund-
kopsigkeit, sondern durch die Ausnahme der Ideen des Westens in ihre wie
immer gestalteten Köpfe. Demokraten, wir meinen nicht Maulmacher, die
demokratisch klingendes Zeug schwatzen, sondern echte Demokraten, sind stets
Männer von starkem Unabhängigkeitssinn, einer Eigenschaft, die nach Ammons
Meinung mit den langen Schädeln verbunden ist. Athen und Florenz haben
nur darum die am meisten demokratischen Gemeinwesen sein können, die die
Geschichte kennt, weil ihr kleines Volk aus lauter Aristokraten bestand, das
heißt aus lauter hochbegabten und hochgebildeten Menschen, von denen jeder
auf eignen Füßen zu steheu und andre Menschen zu beherrschen imstande war.
Sehr natürlich, daß sie einander politisch gleich sein wollten, weil sie einander
in der Begabung gleich waren! Ähnlich steht die Sache in Bauernrepubliken.
Wirkliche Demokratien entstehen also nur in solchen Städten und kleinen Ländern,



Die Einteilung in Herrenmenschen und Sklaven ist selbstverständlich so ungenügend
wie jede andre Zweischnchteltheorie, denn es giebt auch in dieser Hinsicht unzählige Abstufungen
und Mischungen; allermindestens muß man zwischen die beiden Hnuptklnssen noch die Klasse der
Unabhängigen einschicken, die niemals Herr und niemals Knecht sein wollen.
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[0432] Anthropologische Fragen Stellung das germanische Element noch unter den Bauern vertreten, muß also die Eigenschaften der Rundschädel angenommen haben, weil es sonst in diesem Stande sein Fortkommen nicht fände. Woraus folgt, daß jahrhundertelanger Druck aus den Nachkommen eines Herrenvolks geduldige Fröhner machen kann, wie wahrscheinlich auch eine dauernd günstige Stellung aus den Nachkommen von Knechten zum Herrschen taugliche Gebieter machen kann. Es wäre zu untersuchen, ob die herrschende Aristokratie an der Ostseeküste von Wismar bis Reval aus lauter Laugköpfen, die gehorsame Bauern- und Tagelvhnerschcift aber auch im deutschen Anteil aus lauter Rundköpfen besteht. Diese Land¬ schaften sind, obwohl sie immer unter Fürsten gestanden haben, seit der Ein¬ wanderung der deutschen Herren Adelsrepubliken gewesen und sind es einiger¬ maßen heute noch. Die Herren sind allerdings nicht allein tapfere Verteidiger des Vaterlands im Kriege, sondern auch Verteidiger der gesellschaftlichen Ord¬ nung im Frieden, aber nur der Ordnung, die ihnen die Alleinherrschaft im Lande sichert; bequeme Unterthanen, Verteidiger einer Ordnung, die auch die neuen Vevölkerungsschichten des modernen Staats zu ihrem Rechte kommen läßt, das sind sie nicht, die preußischen Könige haben immer ihre liebe Not mit ihnen gehabt. Wenn ferner Ammon die Rundköpfe einerseits als geduldige Schvllentleber, fleißige Arbeiter und fügsame Unterthanen, andrerseits als Demokraten schildert, die keinen hervorragenden Mann über sich dulden wollen, so schreibt er ihnen widersprechende Eigenschaften zu. Die Russen, die Muster¬ bilder der ersten Charakteristik sind, denken gar nicht daran, eine demokratische Republik aufzurichten; sie küssen die Hand, die die Knute über sie schwingt, mag es die ihres Gutsherrn sein oder die eines Beamten ihres angebeteten Zaren. Zu Nihilisten sind einige von ihnen geworden nicht durch ihre Rund- kopsigkeit, sondern durch die Ausnahme der Ideen des Westens in ihre wie immer gestalteten Köpfe. Demokraten, wir meinen nicht Maulmacher, die demokratisch klingendes Zeug schwatzen, sondern echte Demokraten, sind stets Männer von starkem Unabhängigkeitssinn, einer Eigenschaft, die nach Ammons Meinung mit den langen Schädeln verbunden ist. Athen und Florenz haben nur darum die am meisten demokratischen Gemeinwesen sein können, die die Geschichte kennt, weil ihr kleines Volk aus lauter Aristokraten bestand, das heißt aus lauter hochbegabten und hochgebildeten Menschen, von denen jeder auf eignen Füßen zu steheu und andre Menschen zu beherrschen imstande war. Sehr natürlich, daß sie einander politisch gleich sein wollten, weil sie einander in der Begabung gleich waren! Ähnlich steht die Sache in Bauernrepubliken. Wirkliche Demokratien entstehen also nur in solchen Städten und kleinen Ländern, Die Einteilung in Herrenmenschen und Sklaven ist selbstverständlich so ungenügend wie jede andre Zweischnchteltheorie, denn es giebt auch in dieser Hinsicht unzählige Abstufungen und Mischungen; allermindestens muß man zwischen die beiden Hnuptklnssen noch die Klasse der Unabhängigen einschicken, die niemals Herr und niemals Knecht sein wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/432>, abgerufen am 29.06.2024.