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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zwei philosophische Systeme

gruppirung der Atome so vorgenommen werden, daß sich aus ihr, als der
ersten Ursache, die zum Ziele führende Kette von Ursachen und Wirkungen
entspann, sodaß also der Weltzweck wiederum die Grundursache der ersten
Ursache oder die eigentliche erste Ursache gewesen ist. Hartmann charakterisirt
sehr gut das anfänglich als Opposition gegen falsche teleologische Systeme
einigermaßen gerechtfertigte, in feinen spätern Stadien aber nur durch Denk-
schwäche oder durch die Unfähigkeit zu feineren Denken erklärbare Widerstreben
der Naturforscher gegen die Teleologie und ihre vergeblichen Bemühungen,
durch neue Ausdrücke wie Zielstrebigkeit oder immanente Teleologie dem Zweck
zu entrinnen. Die Teleologie ist nicht immanent, sondern transcendere, d. h.
der Endzweck der Welt und daher anch die Weltursachesind nicht in der
Reihe der Erscheinungen zu finden, sondern müssen außerhalb gesucht werden.
Im Seelenleben, hebt Hartmann mit Recht hervor, ist die Zwecksetzung das
wichtigste; von ihr hängt die Lebhaftigkeit und Wirksamkeit des Seelenlebens,
hängt auch die Herrschaft der Vernunft über die niedern Triebe ab. Ein
Mechanismus der°Vorstellungen. wie ihn Herbart beschreibt, wo es rein von
der engern oder lockern Verknüpfung der Gedächtnisbilder abhängt, welches von
ihnen im nächsten Augenblick durch eine Sinneswahrnehmung oder durch das
eben im Bewußtsein gegenwärtige hervorgerufen werden wird, ein solcher
Mechanismus ist zwar vorhanden, aber ungestört arbeitet er doch nur in
Stunden, wo man sich ganz passiv verhält, im wachen Träumen; für ge¬
wöhnlich greift der nach Zwecken thätige Wille fortwährend, bald hemmend,
bald beschleunigend, bald ändernd in den Mechanismus ein.

Bis dahin nun, wo das Metaphysische anfängt, wird jeder denkende Leser
dem kundigen Führer durch die Wirrsale der Erkenntnistheorie mit Vergnügen
folgen, aber am Rande dieses Abgrunds, der am Schlüsse jedes Kapitels gähnt,
werden doch Wohl die meisten scheu werden. Seine Ansicht über die Natur
des Absoluten gehört nicht zu denen, die er im Laufe seiner Studien berichtigt
hat. Er bleibt' dabei, daß dein Absoluten zwei Attribute zukommen, nicht, wie
Spinoza wollte, Denken und Ausdehnung, sondern der Wille und das "Logische,"
und daß diese beiden Attribute durch eine unverantwortliche Dummheit des
Absoluten zu Weltprinzipicn, zu den Grundursachen der Welt geworden sind.
In demselben Augenblicke, wo der schlummernde Wille des Absoluten seine
Freiheit bewies -- eine Freiheit, die sonst nirgends vorkommt, und deren Be¬
thätigung auf diesen einen Akt beschränkt bleibt -- und zu wollen anfing, er¬
wachte auch sein Geschwister, das "Logische", durchschaute sofort die unsägliche



Hartmann unterscheidet die Weltnrsnche vom Weltgrunde. Weltbund ist das Wesen
des Absoluten, in dein die Möglichkeit deS Willensentschlusses zur Weltschöpfung liegt; Ursache
ist dieser Entschluß, die einzige Ursache, die nicht Wirkung ist, während die letzte Veränderung,die Rückkehr der Welt ins Nichts, die einzige Wirkung sein wird, die nicht wieder Ursache ist.
S. 428 bis 42".
Zwei philosophische Systeme

gruppirung der Atome so vorgenommen werden, daß sich aus ihr, als der
ersten Ursache, die zum Ziele führende Kette von Ursachen und Wirkungen
entspann, sodaß also der Weltzweck wiederum die Grundursache der ersten
Ursache oder die eigentliche erste Ursache gewesen ist. Hartmann charakterisirt
sehr gut das anfänglich als Opposition gegen falsche teleologische Systeme
einigermaßen gerechtfertigte, in feinen spätern Stadien aber nur durch Denk-
schwäche oder durch die Unfähigkeit zu feineren Denken erklärbare Widerstreben
der Naturforscher gegen die Teleologie und ihre vergeblichen Bemühungen,
durch neue Ausdrücke wie Zielstrebigkeit oder immanente Teleologie dem Zweck
zu entrinnen. Die Teleologie ist nicht immanent, sondern transcendere, d. h.
der Endzweck der Welt und daher anch die Weltursachesind nicht in der
Reihe der Erscheinungen zu finden, sondern müssen außerhalb gesucht werden.
Im Seelenleben, hebt Hartmann mit Recht hervor, ist die Zwecksetzung das
wichtigste; von ihr hängt die Lebhaftigkeit und Wirksamkeit des Seelenlebens,
hängt auch die Herrschaft der Vernunft über die niedern Triebe ab. Ein
Mechanismus der°Vorstellungen. wie ihn Herbart beschreibt, wo es rein von
der engern oder lockern Verknüpfung der Gedächtnisbilder abhängt, welches von
ihnen im nächsten Augenblick durch eine Sinneswahrnehmung oder durch das
eben im Bewußtsein gegenwärtige hervorgerufen werden wird, ein solcher
Mechanismus ist zwar vorhanden, aber ungestört arbeitet er doch nur in
Stunden, wo man sich ganz passiv verhält, im wachen Träumen; für ge¬
wöhnlich greift der nach Zwecken thätige Wille fortwährend, bald hemmend,
bald beschleunigend, bald ändernd in den Mechanismus ein.

Bis dahin nun, wo das Metaphysische anfängt, wird jeder denkende Leser
dem kundigen Führer durch die Wirrsale der Erkenntnistheorie mit Vergnügen
folgen, aber am Rande dieses Abgrunds, der am Schlüsse jedes Kapitels gähnt,
werden doch Wohl die meisten scheu werden. Seine Ansicht über die Natur
des Absoluten gehört nicht zu denen, die er im Laufe seiner Studien berichtigt
hat. Er bleibt' dabei, daß dein Absoluten zwei Attribute zukommen, nicht, wie
Spinoza wollte, Denken und Ausdehnung, sondern der Wille und das „Logische,"
und daß diese beiden Attribute durch eine unverantwortliche Dummheit des
Absoluten zu Weltprinzipicn, zu den Grundursachen der Welt geworden sind.
In demselben Augenblicke, wo der schlummernde Wille des Absoluten seine
Freiheit bewies — eine Freiheit, die sonst nirgends vorkommt, und deren Be¬
thätigung auf diesen einen Akt beschränkt bleibt — und zu wollen anfing, er¬
wachte auch sein Geschwister, das „Logische", durchschaute sofort die unsägliche



Hartmann unterscheidet die Weltnrsnche vom Weltgrunde. Weltbund ist das Wesen
des Absoluten, in dein die Möglichkeit deS Willensentschlusses zur Weltschöpfung liegt; Ursache
ist dieser Entschluß, die einzige Ursache, die nicht Wirkung ist, während die letzte Veränderung,die Rückkehr der Welt ins Nichts, die einzige Wirkung sein wird, die nicht wieder Ursache ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/35>, abgerufen am 26.06.2024.