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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm Jenson als, Lyriker

So könnte die Überschrift des Hauptkapitels seiner Lyrik lauten. Dieser
Todesgedanke, dieses dauernde Denken an die allgemeine Vergänglichkeit zieht
durch einen großen Teil seiner Gedichte. Fast selbstquälerisch erinnert er
immer wieder daran, wie wenig Hoffnungen sich uns erfüllen, und wie wir
selbst für den kleinen Teil des gehofften Glücks, der uns vielleicht zufällt, mit
schwerem Leid büßen müssen. Er kaun die Sonne nicht sehen, ohne daran
zu denken, daß sie untergeht. Neben den Menschen geht ihm ein Zähler her,
der unsre Schritte, unsre Atemzüge, unsers Herzens Schläge zählt. Mehr als
einmal spricht er von der Zeit nach dem Tode. In einem, unruhvollen Schlaf
im Felde träumt er, wie ein Brief, der seinen Tod meldet, in die Heimat
gelangt, und welchen Eindruck er hervorruft. Sogar, einen heimlichen Besuch
bei den Seinen nach dem Tode malt er sich aus. Und doch lehnt sich alles
in ihm gegen den Tod auf:

Da wirds nicht schlafen mich lassen
Im dunkeln, engen Gemach,
Allmächtig wird es mich fassen,
Mein Herz wird allzuwach.
Es wird aus der Brust mir drängen
Ein göttlicher Sehnsuchtstrieb
Und meine Kammer zersprengen --
Ich hatte die Sonne zu lieb.

Kein Wunder, daß diese Gedanken oft zu der zersetzenden Reflexion seines
Landsmanns Hebbel ausarten:

Warum uns mühen und ruhelos jagen, warum uns begeistern und erglühen,
wenn von uns und unsers Geistes Trachten doch nur toter Staub und Moder
übrig bleibt! Sind wir deshalb mit der Vernunft beschenkt worden, daß wir
all dieses Jammers nur umso deutlicher bewußt werden!

Warum denn uns nur sehend werden lassen,
Das; wir den Blick in seinen Abgrund senken
Und das Entsetzen der Bernichtnng fassen?
Wir, ärmer als der Halm, der Baum, das Tier,
Die um uns an des Dnseins Freude prasselt

Wilhelm Jenson als, Lyriker

So könnte die Überschrift des Hauptkapitels seiner Lyrik lauten. Dieser
Todesgedanke, dieses dauernde Denken an die allgemeine Vergänglichkeit zieht
durch einen großen Teil seiner Gedichte. Fast selbstquälerisch erinnert er
immer wieder daran, wie wenig Hoffnungen sich uns erfüllen, und wie wir
selbst für den kleinen Teil des gehofften Glücks, der uns vielleicht zufällt, mit
schwerem Leid büßen müssen. Er kaun die Sonne nicht sehen, ohne daran
zu denken, daß sie untergeht. Neben den Menschen geht ihm ein Zähler her,
der unsre Schritte, unsre Atemzüge, unsers Herzens Schläge zählt. Mehr als
einmal spricht er von der Zeit nach dem Tode. In einem, unruhvollen Schlaf
im Felde träumt er, wie ein Brief, der seinen Tod meldet, in die Heimat
gelangt, und welchen Eindruck er hervorruft. Sogar, einen heimlichen Besuch
bei den Seinen nach dem Tode malt er sich aus. Und doch lehnt sich alles
in ihm gegen den Tod auf:

Da wirds nicht schlafen mich lassen
Im dunkeln, engen Gemach,
Allmächtig wird es mich fassen,
Mein Herz wird allzuwach.
Es wird aus der Brust mir drängen
Ein göttlicher Sehnsuchtstrieb
Und meine Kammer zersprengen —
Ich hatte die Sonne zu lieb.

Kein Wunder, daß diese Gedanken oft zu der zersetzenden Reflexion seines
Landsmanns Hebbel ausarten:

Warum uns mühen und ruhelos jagen, warum uns begeistern und erglühen,
wenn von uns und unsers Geistes Trachten doch nur toter Staub und Moder
übrig bleibt! Sind wir deshalb mit der Vernunft beschenkt worden, daß wir
all dieses Jammers nur umso deutlicher bewußt werden!

Warum denn uns nur sehend werden lassen,
Das; wir den Blick in seinen Abgrund senken
Und das Entsetzen der Bernichtnng fassen?
Wir, ärmer als der Halm, der Baum, das Tier,
Die um uns an des Dnseins Freude prasselt

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[0334] Wilhelm Jenson als, Lyriker So könnte die Überschrift des Hauptkapitels seiner Lyrik lauten. Dieser Todesgedanke, dieses dauernde Denken an die allgemeine Vergänglichkeit zieht durch einen großen Teil seiner Gedichte. Fast selbstquälerisch erinnert er immer wieder daran, wie wenig Hoffnungen sich uns erfüllen, und wie wir selbst für den kleinen Teil des gehofften Glücks, der uns vielleicht zufällt, mit schwerem Leid büßen müssen. Er kaun die Sonne nicht sehen, ohne daran zu denken, daß sie untergeht. Neben den Menschen geht ihm ein Zähler her, der unsre Schritte, unsre Atemzüge, unsers Herzens Schläge zählt. Mehr als einmal spricht er von der Zeit nach dem Tode. In einem, unruhvollen Schlaf im Felde träumt er, wie ein Brief, der seinen Tod meldet, in die Heimat gelangt, und welchen Eindruck er hervorruft. Sogar, einen heimlichen Besuch bei den Seinen nach dem Tode malt er sich aus. Und doch lehnt sich alles in ihm gegen den Tod auf: Da wirds nicht schlafen mich lassen Im dunkeln, engen Gemach, Allmächtig wird es mich fassen, Mein Herz wird allzuwach. Es wird aus der Brust mir drängen Ein göttlicher Sehnsuchtstrieb Und meine Kammer zersprengen — Ich hatte die Sonne zu lieb. Kein Wunder, daß diese Gedanken oft zu der zersetzenden Reflexion seines Landsmanns Hebbel ausarten: Warum uns mühen und ruhelos jagen, warum uns begeistern und erglühen, wenn von uns und unsers Geistes Trachten doch nur toter Staub und Moder übrig bleibt! Sind wir deshalb mit der Vernunft beschenkt worden, daß wir all dieses Jammers nur umso deutlicher bewußt werden! Warum denn uns nur sehend werden lassen, Das; wir den Blick in seinen Abgrund senken Und das Entsetzen der Bernichtnng fassen? Wir, ärmer als der Halm, der Baum, das Tier, Die um uns an des Dnseins Freude prasselt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/334>, abgerufen am 26.06.2024.