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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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"Österreich und die deutsche Wirtschaftspolitik

Österreich ist eben grundsätzlich ein andres, als das zu jedem andern Nachbar¬
staat, nicht weil das ehemalige Reichs- und Bundesländer sind -- das waren
die Schweiz und Holland auch, und wir stehen doch völlig anders zu ihnen --,
sondern weil die acht Millionen unsrer Stammesgenossen, die da drüben leben,
nicht, wie die Schweizer und Holländer, das Bewußtsein ihrer Zusammen¬
gehörigkeit mit uns verloren haben und gar keine Deutschen mehr sein wollen,
sondern weil sie sich durchaus als Angehörige unsrer Nation fühlen. Darum
liegt das völkerrechtliche deutsch-österreichische Bündnis, das schon die Patrioten
der Paulskirche neben den engern staatsrechtlichen Verband des deutschen
Reiches stellen wollten, so sehr in der Natur der Dinge, daß Bismarck schon
auf dem Schlachtfelde von Königgrätz diesen Gedanken ausgesprochen hat, und
daß er, als er es 1879 in der jetzigen Form geschlossen hatte, damit umging,
es durch die Parlamente beider Reiche als unerschütterliche Grundlage ihrer
auswärtigen Beziehungen bestätigen zu lassen.

Aus diesem Bündnis erwächst uns aber noch eine andre und nähere Ver¬
pflichtung, uns um die österreichischen Verhältnisse zu kümmern, nämlich eine,
die sich aus unserm unmittelbaren eignen Interesse ergiebt. Es ist kein Zufall,
daß es Fürst Bismarck mit einem ungarischen Staatsmanne, dem Grafen Andrassy,
zustande gebracht hat, und daß er sich auf Österreich erst nach dem Sturze seines
alten Gegners, des Grafen Beust, verlassen zu können geglaubt hat. In der That,
neben der deutschen Verfassungspartei von ehedem waren nur die Magyaren
zuverlässige Bundesgenossen, und unser Kaiser hat recht Wohl gewußt, wes¬
halb er sie letzthin in Budapest als ein politisch reifes Volk bezeichnet hat,
wenn anders diesen Namen ein solches verdient, das seine nationalen Inter¬
essen begreift und darnach handelt. Die Polen sind überall unsre Feinde, auch
in Österreich, die Tschechen aber liebäugeln schon ganz offen in der dreistesten
Weise mit den Franzosen, und -- sie dürfen es ungestraft; ja sie macheu gar
kein Hehl daraus, daß sie, wenn sie ans Ruder kämen, eine ganz andre, also
eine deutschfeindliche Politik verfolgen würden. Unser Bund mit Österreich
hat also seine Stützen nur in den nationalgesinnteu Deutschen und in den
Mcigharen; die Slawen sind ihm feind, und uicht minder die Klerikalen, die
dieses neue Deutschland unter preußischer Führung hassen und verabscheuen
als ihren geschwornen Gegner. Und diese Klerikalen haben den größten Teil
des österreichischen Adels für sich. Darüber täusche man sich nicht. Unsre
Feinde sind also mächtig in Österreich, sie sind mächtig auch in der Wiener
Hofburg. Wie der Vatikan zum deutschen Reiche steht, ist offenkundig, und
mit dankenswerter Ehrlichkeit hat letzthin der OsssrvÄwrö Komano verraten,
wohin sein Bestreben zielt, als er die diplomatische Klugheit Leos XIII. pries,
der den französisch-russischen Zweibund vermittelt und damit bewirkt habe,
daß -- Baiern aus der Stellung eines "Vasallenstaats" herausgehoben worden
sei. Also nicht nur an der Isolirung, sondern auch an der Lockerung unsers


«Österreich und die deutsche Wirtschaftspolitik

Österreich ist eben grundsätzlich ein andres, als das zu jedem andern Nachbar¬
staat, nicht weil das ehemalige Reichs- und Bundesländer sind — das waren
die Schweiz und Holland auch, und wir stehen doch völlig anders zu ihnen —,
sondern weil die acht Millionen unsrer Stammesgenossen, die da drüben leben,
nicht, wie die Schweizer und Holländer, das Bewußtsein ihrer Zusammen¬
gehörigkeit mit uns verloren haben und gar keine Deutschen mehr sein wollen,
sondern weil sie sich durchaus als Angehörige unsrer Nation fühlen. Darum
liegt das völkerrechtliche deutsch-österreichische Bündnis, das schon die Patrioten
der Paulskirche neben den engern staatsrechtlichen Verband des deutschen
Reiches stellen wollten, so sehr in der Natur der Dinge, daß Bismarck schon
auf dem Schlachtfelde von Königgrätz diesen Gedanken ausgesprochen hat, und
daß er, als er es 1879 in der jetzigen Form geschlossen hatte, damit umging,
es durch die Parlamente beider Reiche als unerschütterliche Grundlage ihrer
auswärtigen Beziehungen bestätigen zu lassen.

Aus diesem Bündnis erwächst uns aber noch eine andre und nähere Ver¬
pflichtung, uns um die österreichischen Verhältnisse zu kümmern, nämlich eine,
die sich aus unserm unmittelbaren eignen Interesse ergiebt. Es ist kein Zufall,
daß es Fürst Bismarck mit einem ungarischen Staatsmanne, dem Grafen Andrassy,
zustande gebracht hat, und daß er sich auf Österreich erst nach dem Sturze seines
alten Gegners, des Grafen Beust, verlassen zu können geglaubt hat. In der That,
neben der deutschen Verfassungspartei von ehedem waren nur die Magyaren
zuverlässige Bundesgenossen, und unser Kaiser hat recht Wohl gewußt, wes¬
halb er sie letzthin in Budapest als ein politisch reifes Volk bezeichnet hat,
wenn anders diesen Namen ein solches verdient, das seine nationalen Inter¬
essen begreift und darnach handelt. Die Polen sind überall unsre Feinde, auch
in Österreich, die Tschechen aber liebäugeln schon ganz offen in der dreistesten
Weise mit den Franzosen, und — sie dürfen es ungestraft; ja sie macheu gar
kein Hehl daraus, daß sie, wenn sie ans Ruder kämen, eine ganz andre, also
eine deutschfeindliche Politik verfolgen würden. Unser Bund mit Österreich
hat also seine Stützen nur in den nationalgesinnteu Deutschen und in den
Mcigharen; die Slawen sind ihm feind, und uicht minder die Klerikalen, die
dieses neue Deutschland unter preußischer Führung hassen und verabscheuen
als ihren geschwornen Gegner. Und diese Klerikalen haben den größten Teil
des österreichischen Adels für sich. Darüber täusche man sich nicht. Unsre
Feinde sind also mächtig in Österreich, sie sind mächtig auch in der Wiener
Hofburg. Wie der Vatikan zum deutschen Reiche steht, ist offenkundig, und
mit dankenswerter Ehrlichkeit hat letzthin der OsssrvÄwrö Komano verraten,
wohin sein Bestreben zielt, als er die diplomatische Klugheit Leos XIII. pries,
der den französisch-russischen Zweibund vermittelt und damit bewirkt habe,
daß — Baiern aus der Stellung eines „Vasallenstaats" herausgehoben worden
sei. Also nicht nur an der Isolirung, sondern auch an der Lockerung unsers


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[0311] «Österreich und die deutsche Wirtschaftspolitik Österreich ist eben grundsätzlich ein andres, als das zu jedem andern Nachbar¬ staat, nicht weil das ehemalige Reichs- und Bundesländer sind — das waren die Schweiz und Holland auch, und wir stehen doch völlig anders zu ihnen —, sondern weil die acht Millionen unsrer Stammesgenossen, die da drüben leben, nicht, wie die Schweizer und Holländer, das Bewußtsein ihrer Zusammen¬ gehörigkeit mit uns verloren haben und gar keine Deutschen mehr sein wollen, sondern weil sie sich durchaus als Angehörige unsrer Nation fühlen. Darum liegt das völkerrechtliche deutsch-österreichische Bündnis, das schon die Patrioten der Paulskirche neben den engern staatsrechtlichen Verband des deutschen Reiches stellen wollten, so sehr in der Natur der Dinge, daß Bismarck schon auf dem Schlachtfelde von Königgrätz diesen Gedanken ausgesprochen hat, und daß er, als er es 1879 in der jetzigen Form geschlossen hatte, damit umging, es durch die Parlamente beider Reiche als unerschütterliche Grundlage ihrer auswärtigen Beziehungen bestätigen zu lassen. Aus diesem Bündnis erwächst uns aber noch eine andre und nähere Ver¬ pflichtung, uns um die österreichischen Verhältnisse zu kümmern, nämlich eine, die sich aus unserm unmittelbaren eignen Interesse ergiebt. Es ist kein Zufall, daß es Fürst Bismarck mit einem ungarischen Staatsmanne, dem Grafen Andrassy, zustande gebracht hat, und daß er sich auf Österreich erst nach dem Sturze seines alten Gegners, des Grafen Beust, verlassen zu können geglaubt hat. In der That, neben der deutschen Verfassungspartei von ehedem waren nur die Magyaren zuverlässige Bundesgenossen, und unser Kaiser hat recht Wohl gewußt, wes¬ halb er sie letzthin in Budapest als ein politisch reifes Volk bezeichnet hat, wenn anders diesen Namen ein solches verdient, das seine nationalen Inter¬ essen begreift und darnach handelt. Die Polen sind überall unsre Feinde, auch in Österreich, die Tschechen aber liebäugeln schon ganz offen in der dreistesten Weise mit den Franzosen, und — sie dürfen es ungestraft; ja sie macheu gar kein Hehl daraus, daß sie, wenn sie ans Ruder kämen, eine ganz andre, also eine deutschfeindliche Politik verfolgen würden. Unser Bund mit Österreich hat also seine Stützen nur in den nationalgesinnteu Deutschen und in den Mcigharen; die Slawen sind ihm feind, und uicht minder die Klerikalen, die dieses neue Deutschland unter preußischer Führung hassen und verabscheuen als ihren geschwornen Gegner. Und diese Klerikalen haben den größten Teil des österreichischen Adels für sich. Darüber täusche man sich nicht. Unsre Feinde sind also mächtig in Österreich, sie sind mächtig auch in der Wiener Hofburg. Wie der Vatikan zum deutschen Reiche steht, ist offenkundig, und mit dankenswerter Ehrlichkeit hat letzthin der OsssrvÄwrö Komano verraten, wohin sein Bestreben zielt, als er die diplomatische Klugheit Leos XIII. pries, der den französisch-russischen Zweibund vermittelt und damit bewirkt habe, daß — Baiern aus der Stellung eines „Vasallenstaats" herausgehoben worden sei. Also nicht nur an der Isolirung, sondern auch an der Lockerung unsers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/311>, abgerufen am 26.06.2024.