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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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sächsischen Staats, selbst wenn sein künstlerisches Gefühl gegen solche Aufgaben
trotzig auffuhr. Es wäre also ein Unrecht gegen den Toten, wenn man ihm
allein zur Last legen wollte, was andre mit ihm verschuldet haben, und
vollends, wenn man ihm gar den Vorwurf machen wollte, daß er nicht scharf
und weit genug in die Zukunft geblickt hätte.

Auch Dresden will jetzt eine Ausstellungsstadt sein wie München und Berlin.
Es ist lange genug hinter den beiden Nebenbuhlerinnen aus dem Kunstmarkt
zurückgeblieben, obwohl es als Kunststadt ältern Ruhm hat als sie, und seine
Ansprüche haben durch das Wachstum der Stadt und durch die Hebung des
Wohlstandes der Bewohner eine sichere materielle Grundlage gewonnen. Mit
der Erweiterung der Stadtgrenzen und der Verschönerung und der größern
Auslüftung der innern Stadt ist auch ein andrer Geist in die Bevölkerung
eingedrungen, der sich politisch sogar zu revolutionären Äußerungen erdreistet
hat und selbst auf den friedlichem Gebieten der Kunst und Litteratur eine
aufsässige Miene zeigt. Zuerst waren es zwei oder drei Männer in hoch¬
gebietender Stellung, die den Kampf gegen den Konservatismus in den Kunst-
anschauungeu der Dresdner aufnahmen, dann gesellten sich zu ihnen journa¬
listische Kampfhähne, und unter diesem doppelten Schutze thaten mehrere gleich
fortschrittlich gesinnte Kunsthändler Ausstellungsräume auf, in denen immer
das Neueste vom Neuen unter dem Beifallsgeschrei der radikalen Kunstkritiker
dem verblüfften Publikum gezeigt wurde.

Zur weitern Vervollständigung dieses Werks wurde eine Reform der
Kunstakademie unternommen, indem man Künstler, die als Verfechter der neuen
Richtung viel gerühmt wurden, zu Lehrern berief. Diese gewagten Versuche
sind uicht immer geglückt. Die weisen Herren haben nicht mit der Unbeständig¬
keit dieser Übermenschen gerechnet, die sich nur widerwillig in die Regeln des
akademischen Unterrichts fügen, und es ist fraglich, ob die. die geblieben sind,
"och lange aushalten werden. Ein Mann wie Gotthardt Kühl braucht andre
Luft zum Atmen als die Dresdner, wenn er nicht in philisterhafter Bieder-
weierei untergehen will, und Wallots schöpferische Kraft, die am Neichstags-
gebüude gelernt hat, ihre Schwingen bis zu den Wolken zu erheben, wird auch
bald erlahmen, wenn ihm außer seiner Lehrthütigkeit an der Akademie und an
der technischen Hochschule nur Nutzbauten übertragen werden, bei denen der
Künstler hinter dem Werkmeister zurücktritt.

Bei dem großen Aufschwung, den Dresden in den letzten Jahren genommen
hat, wollen wir aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß unsre Befürchtungen,
die namentlich aus dem Mißverhältnis zwischen Wollen und Können erwachsen
sind, unbegründet sein werden, und der äußere Erfolg der ersten internationalen
Kunstausstellung'in Dresden unterstützt diese Hoffnung. Die Dresdner haben
mit ihren Lokal- und Sonderausstellungen in den letzten Jahren zwar immer
em kleines, aber doch ein freundliches Glück gehabt, weil sie gute Rechner und


sächsischen Staats, selbst wenn sein künstlerisches Gefühl gegen solche Aufgaben
trotzig auffuhr. Es wäre also ein Unrecht gegen den Toten, wenn man ihm
allein zur Last legen wollte, was andre mit ihm verschuldet haben, und
vollends, wenn man ihm gar den Vorwurf machen wollte, daß er nicht scharf
und weit genug in die Zukunft geblickt hätte.

Auch Dresden will jetzt eine Ausstellungsstadt sein wie München und Berlin.
Es ist lange genug hinter den beiden Nebenbuhlerinnen aus dem Kunstmarkt
zurückgeblieben, obwohl es als Kunststadt ältern Ruhm hat als sie, und seine
Ansprüche haben durch das Wachstum der Stadt und durch die Hebung des
Wohlstandes der Bewohner eine sichere materielle Grundlage gewonnen. Mit
der Erweiterung der Stadtgrenzen und der Verschönerung und der größern
Auslüftung der innern Stadt ist auch ein andrer Geist in die Bevölkerung
eingedrungen, der sich politisch sogar zu revolutionären Äußerungen erdreistet
hat und selbst auf den friedlichem Gebieten der Kunst und Litteratur eine
aufsässige Miene zeigt. Zuerst waren es zwei oder drei Männer in hoch¬
gebietender Stellung, die den Kampf gegen den Konservatismus in den Kunst-
anschauungeu der Dresdner aufnahmen, dann gesellten sich zu ihnen journa¬
listische Kampfhähne, und unter diesem doppelten Schutze thaten mehrere gleich
fortschrittlich gesinnte Kunsthändler Ausstellungsräume auf, in denen immer
das Neueste vom Neuen unter dem Beifallsgeschrei der radikalen Kunstkritiker
dem verblüfften Publikum gezeigt wurde.

Zur weitern Vervollständigung dieses Werks wurde eine Reform der
Kunstakademie unternommen, indem man Künstler, die als Verfechter der neuen
Richtung viel gerühmt wurden, zu Lehrern berief. Diese gewagten Versuche
sind uicht immer geglückt. Die weisen Herren haben nicht mit der Unbeständig¬
keit dieser Übermenschen gerechnet, die sich nur widerwillig in die Regeln des
akademischen Unterrichts fügen, und es ist fraglich, ob die. die geblieben sind,
«och lange aushalten werden. Ein Mann wie Gotthardt Kühl braucht andre
Luft zum Atmen als die Dresdner, wenn er nicht in philisterhafter Bieder-
weierei untergehen will, und Wallots schöpferische Kraft, die am Neichstags-
gebüude gelernt hat, ihre Schwingen bis zu den Wolken zu erheben, wird auch
bald erlahmen, wenn ihm außer seiner Lehrthütigkeit an der Akademie und an
der technischen Hochschule nur Nutzbauten übertragen werden, bei denen der
Künstler hinter dem Werkmeister zurücktritt.

Bei dem großen Aufschwung, den Dresden in den letzten Jahren genommen
hat, wollen wir aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß unsre Befürchtungen,
die namentlich aus dem Mißverhältnis zwischen Wollen und Können erwachsen
sind, unbegründet sein werden, und der äußere Erfolg der ersten internationalen
Kunstausstellung'in Dresden unterstützt diese Hoffnung. Die Dresdner haben
mit ihren Lokal- und Sonderausstellungen in den letzten Jahren zwar immer
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[0227] sächsischen Staats, selbst wenn sein künstlerisches Gefühl gegen solche Aufgaben trotzig auffuhr. Es wäre also ein Unrecht gegen den Toten, wenn man ihm allein zur Last legen wollte, was andre mit ihm verschuldet haben, und vollends, wenn man ihm gar den Vorwurf machen wollte, daß er nicht scharf und weit genug in die Zukunft geblickt hätte. Auch Dresden will jetzt eine Ausstellungsstadt sein wie München und Berlin. Es ist lange genug hinter den beiden Nebenbuhlerinnen aus dem Kunstmarkt zurückgeblieben, obwohl es als Kunststadt ältern Ruhm hat als sie, und seine Ansprüche haben durch das Wachstum der Stadt und durch die Hebung des Wohlstandes der Bewohner eine sichere materielle Grundlage gewonnen. Mit der Erweiterung der Stadtgrenzen und der Verschönerung und der größern Auslüftung der innern Stadt ist auch ein andrer Geist in die Bevölkerung eingedrungen, der sich politisch sogar zu revolutionären Äußerungen erdreistet hat und selbst auf den friedlichem Gebieten der Kunst und Litteratur eine aufsässige Miene zeigt. Zuerst waren es zwei oder drei Männer in hoch¬ gebietender Stellung, die den Kampf gegen den Konservatismus in den Kunst- anschauungeu der Dresdner aufnahmen, dann gesellten sich zu ihnen journa¬ listische Kampfhähne, und unter diesem doppelten Schutze thaten mehrere gleich fortschrittlich gesinnte Kunsthändler Ausstellungsräume auf, in denen immer das Neueste vom Neuen unter dem Beifallsgeschrei der radikalen Kunstkritiker dem verblüfften Publikum gezeigt wurde. Zur weitern Vervollständigung dieses Werks wurde eine Reform der Kunstakademie unternommen, indem man Künstler, die als Verfechter der neuen Richtung viel gerühmt wurden, zu Lehrern berief. Diese gewagten Versuche sind uicht immer geglückt. Die weisen Herren haben nicht mit der Unbeständig¬ keit dieser Übermenschen gerechnet, die sich nur widerwillig in die Regeln des akademischen Unterrichts fügen, und es ist fraglich, ob die. die geblieben sind, «och lange aushalten werden. Ein Mann wie Gotthardt Kühl braucht andre Luft zum Atmen als die Dresdner, wenn er nicht in philisterhafter Bieder- weierei untergehen will, und Wallots schöpferische Kraft, die am Neichstags- gebüude gelernt hat, ihre Schwingen bis zu den Wolken zu erheben, wird auch bald erlahmen, wenn ihm außer seiner Lehrthütigkeit an der Akademie und an der technischen Hochschule nur Nutzbauten übertragen werden, bei denen der Künstler hinter dem Werkmeister zurücktritt. Bei dem großen Aufschwung, den Dresden in den letzten Jahren genommen hat, wollen wir aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß unsre Befürchtungen, die namentlich aus dem Mißverhältnis zwischen Wollen und Können erwachsen sind, unbegründet sein werden, und der äußere Erfolg der ersten internationalen Kunstausstellung'in Dresden unterstützt diese Hoffnung. Die Dresdner haben mit ihren Lokal- und Sonderausstellungen in den letzten Jahren zwar immer em kleines, aber doch ein freundliches Glück gehabt, weil sie gute Rechner und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/227>, abgerufen am 22.07.2024.