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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

ist es eine Hemmung, wenn sie nicht befriedigt werden, er hat das größte Interesse
daran, daß Abhilfe geschaffen werde, er ist nicht imstande, sein Amt mit Erfolg
zu verwalten, wenn er keinen politischen Einfluß auf den Inhalt der Gesetze hat.
Dazu nun muß er der Vertrauensmann des Bundesrath und des Reichstags
sein, und das ist nnr möglich auf Grund von Eigenschaften, von denen wieder
der Satz gilt, daß sie sich nicht verleihen lassen; der Reichskanzler muß sie
selbst erwerben oder als eigne Ausstattung mitbringen. Ihr Besitz verlangt
einen ganzen Mann, und der hat eignen Willen. Der Reichskanzler ist ja ge¬
halten, seinen Willen wie seine Kraft dem kaiserlichen Befehl, der ihn ans
Ruder berufen hat und davon wieder abrufen kam,, dienstbar zu machen; aber
er darf nicht darauf verzichten, ans den Inhalt des Befehls einzuwirken, und
er braucht für die eigene Entschließung und die eigne Thätigkeit breiten und
freien Raum. Beides muß jedem Reichskanzler gesichert sein, sonst stockt das
Leben des Reichs. Nur um den Preis dieser Stockung kann der Kaiser im
Politischen Sinne sein eigner Kanzler sein.

Das Gewicht des Reichskanzlers im Bundesrat wird verstärkt, wenn er
darin über die zahlreichen Stimmen Preußens verfügt; das ersetzt ja nicht das
Vertrauen, aber ergänzt es durch greifbare Macht. Darüber ist uoch eine Be¬
merkung nachzuholen. Fürst Bismarck hat es 1873 für möglich erklärt, daß
der Reichskanzler ganz aus dem preußischen Ministerium ausscheide, denn er
müsse das volle Vertrauen des Kaisers, der verbündeten Regierungen, des
Reichstags haben, und dies gebe ihm thatsächlich eine so große Autorität, daß
die siebzehn preußische" Stimmen gar nicht dauernd gegen seine Meinung ab¬
gegeben werden könnten; er habe ja anch indirekte, aber nachdrückliche Mittel,
auf die Entschließungen in Preußen einzuwirken, darunter sei die Knbinettsfragc
nur das äußerste, keineswegs das einzige. Die Ausführungen sind hier nur
angedeutet; um sie vollständig zu würdigen, muß man die betreffende Rede
^ vom 25. Januar 1873 -- nachlesen. Der geistige Genuß davon ist groß,
aber Fürst Bismarck hat den Gedanken später für immer verworfen und sogar
bis zu seinem Abgang unablässig daran gearbeitet, daß sich die innige Ver¬
bindung des Reichs und Preußens noch in andern Ämtern ausdrücke, daß sie,
dem Einfluß des Personenwechsels entzogen, zu eiuer ständigen Einrichtung
werde. Was dem damaligen Gedanken Bedeutung giebt, ist also nicht die
Praktische Seite, sondern die Thatsache, daß in diesem Falle wirklich einmal
Fürst Bismarck einen Zustand ins Auge gefaßt hat, der, wenn überhaupt, nur
auf seine gewaltige Persönlichkeit anwendbar ist. Davor hat er sich sonst immer
bewahrt. Es ist ja richtig, daß das Verfassungswerk den Stempel des ersten
Kanzlers trägt, aber es ist so gestaltet und ausgebaut, daß kein Kanzler ein
Stück davon entbehren kann; es fordert wohl noch weitern Ausbau, aber der
Grundplan ist auf die Dauer augelegt, nicht auf bestimmte Personen berechnet.

Daß der Reichskanzler Einfluß auf die Gesetzgebung hat, überhaupt in


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

ist es eine Hemmung, wenn sie nicht befriedigt werden, er hat das größte Interesse
daran, daß Abhilfe geschaffen werde, er ist nicht imstande, sein Amt mit Erfolg
zu verwalten, wenn er keinen politischen Einfluß auf den Inhalt der Gesetze hat.
Dazu nun muß er der Vertrauensmann des Bundesrath und des Reichstags
sein, und das ist nnr möglich auf Grund von Eigenschaften, von denen wieder
der Satz gilt, daß sie sich nicht verleihen lassen; der Reichskanzler muß sie
selbst erwerben oder als eigne Ausstattung mitbringen. Ihr Besitz verlangt
einen ganzen Mann, und der hat eignen Willen. Der Reichskanzler ist ja ge¬
halten, seinen Willen wie seine Kraft dem kaiserlichen Befehl, der ihn ans
Ruder berufen hat und davon wieder abrufen kam,, dienstbar zu machen; aber
er darf nicht darauf verzichten, ans den Inhalt des Befehls einzuwirken, und
er braucht für die eigene Entschließung und die eigne Thätigkeit breiten und
freien Raum. Beides muß jedem Reichskanzler gesichert sein, sonst stockt das
Leben des Reichs. Nur um den Preis dieser Stockung kann der Kaiser im
Politischen Sinne sein eigner Kanzler sein.

Das Gewicht des Reichskanzlers im Bundesrat wird verstärkt, wenn er
darin über die zahlreichen Stimmen Preußens verfügt; das ersetzt ja nicht das
Vertrauen, aber ergänzt es durch greifbare Macht. Darüber ist uoch eine Be¬
merkung nachzuholen. Fürst Bismarck hat es 1873 für möglich erklärt, daß
der Reichskanzler ganz aus dem preußischen Ministerium ausscheide, denn er
müsse das volle Vertrauen des Kaisers, der verbündeten Regierungen, des
Reichstags haben, und dies gebe ihm thatsächlich eine so große Autorität, daß
die siebzehn preußische» Stimmen gar nicht dauernd gegen seine Meinung ab¬
gegeben werden könnten; er habe ja anch indirekte, aber nachdrückliche Mittel,
auf die Entschließungen in Preußen einzuwirken, darunter sei die Knbinettsfragc
nur das äußerste, keineswegs das einzige. Die Ausführungen sind hier nur
angedeutet; um sie vollständig zu würdigen, muß man die betreffende Rede
^ vom 25. Januar 1873 — nachlesen. Der geistige Genuß davon ist groß,
aber Fürst Bismarck hat den Gedanken später für immer verworfen und sogar
bis zu seinem Abgang unablässig daran gearbeitet, daß sich die innige Ver¬
bindung des Reichs und Preußens noch in andern Ämtern ausdrücke, daß sie,
dem Einfluß des Personenwechsels entzogen, zu eiuer ständigen Einrichtung
werde. Was dem damaligen Gedanken Bedeutung giebt, ist also nicht die
Praktische Seite, sondern die Thatsache, daß in diesem Falle wirklich einmal
Fürst Bismarck einen Zustand ins Auge gefaßt hat, der, wenn überhaupt, nur
auf seine gewaltige Persönlichkeit anwendbar ist. Davor hat er sich sonst immer
bewahrt. Es ist ja richtig, daß das Verfassungswerk den Stempel des ersten
Kanzlers trägt, aber es ist so gestaltet und ausgebaut, daß kein Kanzler ein
Stück davon entbehren kann; es fordert wohl noch weitern Ausbau, aber der
Grundplan ist auf die Dauer augelegt, nicht auf bestimmte Personen berechnet.

Daß der Reichskanzler Einfluß auf die Gesetzgebung hat, überhaupt in


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[0221] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium ist es eine Hemmung, wenn sie nicht befriedigt werden, er hat das größte Interesse daran, daß Abhilfe geschaffen werde, er ist nicht imstande, sein Amt mit Erfolg zu verwalten, wenn er keinen politischen Einfluß auf den Inhalt der Gesetze hat. Dazu nun muß er der Vertrauensmann des Bundesrath und des Reichstags sein, und das ist nnr möglich auf Grund von Eigenschaften, von denen wieder der Satz gilt, daß sie sich nicht verleihen lassen; der Reichskanzler muß sie selbst erwerben oder als eigne Ausstattung mitbringen. Ihr Besitz verlangt einen ganzen Mann, und der hat eignen Willen. Der Reichskanzler ist ja ge¬ halten, seinen Willen wie seine Kraft dem kaiserlichen Befehl, der ihn ans Ruder berufen hat und davon wieder abrufen kam,, dienstbar zu machen; aber er darf nicht darauf verzichten, ans den Inhalt des Befehls einzuwirken, und er braucht für die eigene Entschließung und die eigne Thätigkeit breiten und freien Raum. Beides muß jedem Reichskanzler gesichert sein, sonst stockt das Leben des Reichs. Nur um den Preis dieser Stockung kann der Kaiser im Politischen Sinne sein eigner Kanzler sein. Das Gewicht des Reichskanzlers im Bundesrat wird verstärkt, wenn er darin über die zahlreichen Stimmen Preußens verfügt; das ersetzt ja nicht das Vertrauen, aber ergänzt es durch greifbare Macht. Darüber ist uoch eine Be¬ merkung nachzuholen. Fürst Bismarck hat es 1873 für möglich erklärt, daß der Reichskanzler ganz aus dem preußischen Ministerium ausscheide, denn er müsse das volle Vertrauen des Kaisers, der verbündeten Regierungen, des Reichstags haben, und dies gebe ihm thatsächlich eine so große Autorität, daß die siebzehn preußische» Stimmen gar nicht dauernd gegen seine Meinung ab¬ gegeben werden könnten; er habe ja anch indirekte, aber nachdrückliche Mittel, auf die Entschließungen in Preußen einzuwirken, darunter sei die Knbinettsfragc nur das äußerste, keineswegs das einzige. Die Ausführungen sind hier nur angedeutet; um sie vollständig zu würdigen, muß man die betreffende Rede ^ vom 25. Januar 1873 — nachlesen. Der geistige Genuß davon ist groß, aber Fürst Bismarck hat den Gedanken später für immer verworfen und sogar bis zu seinem Abgang unablässig daran gearbeitet, daß sich die innige Ver¬ bindung des Reichs und Preußens noch in andern Ämtern ausdrücke, daß sie, dem Einfluß des Personenwechsels entzogen, zu eiuer ständigen Einrichtung werde. Was dem damaligen Gedanken Bedeutung giebt, ist also nicht die Praktische Seite, sondern die Thatsache, daß in diesem Falle wirklich einmal Fürst Bismarck einen Zustand ins Auge gefaßt hat, der, wenn überhaupt, nur auf seine gewaltige Persönlichkeit anwendbar ist. Davor hat er sich sonst immer bewahrt. Es ist ja richtig, daß das Verfassungswerk den Stempel des ersten Kanzlers trägt, aber es ist so gestaltet und ausgebaut, daß kein Kanzler ein Stück davon entbehren kann; es fordert wohl noch weitern Ausbau, aber der Grundplan ist auf die Dauer augelegt, nicht auf bestimmte Personen berechnet. Daß der Reichskanzler Einfluß auf die Gesetzgebung hat, überhaupt in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/221>, abgerufen am 29.06.2024.