Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.24 Pfennige stillt der Niederbaier seinen ersten Durst mit einem Liter frischen Hier wäre ja nun der Ort, um von der oft gerühmten und verspotteten 24 Pfennige stillt der Niederbaier seinen ersten Durst mit einem Liter frischen Hier wäre ja nun der Ort, um von der oft gerühmten und verspotteten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226423"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_466" prev="#ID_465"> 24 Pfennige stillt der Niederbaier seinen ersten Durst mit einem Liter frischen<lb/> Bieres. Um diesen Preis giebt es auch in den weinreichsten Gegenden Öster¬<lb/> reichs keinen trinkbaren Wein. Schon das ist ein Grund, warum der Öster¬<lb/> reicher noch weniger spart als der Baier. Dann kommt aber die Sorge für<lb/> das Essen; die wird ernst genommen, oft leider ernster als jede andre. Frau<lb/> Sorge steht am Herd der deutsch-österreichischen Familie, nicht als Armut,<lb/> nein als Verschwenderin von Fleisch, Mehl und Schmalz, sie sorgt, daß die<lb/> Schnitzel, die Bauschet, das Gebackne und am Spieß Gebratne, das Luft-<lb/> gselchte und das Rauchgselchte, das Saure und das Eingmachte, die Knötel,<lb/> die Rocken, die Nudeln, die Strudel, die Schnarren, die Stranden, und wie<lb/> alle die künstlichen Erzeugnisse heißen, in tadelloser Güte auf den Tisch kommen.<lb/> Die Gastfreundschaft, auch in einfachen Familien, leidet unter dem Bestreben<lb/> der Hausfrauen, ihren Tisch nur mit dem Besten zu besetzen. Es ist mir vor¬<lb/> gekommen, daß ich mit dem Hausherrn allein zu Tische saß, weil die Hausfrau<lb/> über dem ganzen Essen nicht in der Küche abkommen konnte. So mag die im<lb/> niedern Bürgerstand Baierns und Österreichs einst weitverbreitete Sitte ent¬<lb/> standen sein, daß der Mann überhaupt allein zu Tische saß. Dennoch ist in<lb/> den bessern Kreisen in Österreich die Geselligkeit noch nicht so in Schlemmerei<lb/> und Protzerei ausgeartet wie in Deutschland. In Baiern ißt man auch viel,<lb/> aber nicht so gut wie in Österreich. Zum Biere würden auch manche Fein¬<lb/> heiten der österreichischen Küche gar nicht Passen; dagegen sind die eigentüm¬<lb/> lichsten Erzeugnisse der bairischen Küche, die Mannichfaltigkeit der Würste, der<lb/> Sauersleische und Tellerfleische, der Knötel, des „Abgebrannten" bestimmt,<lb/> zum Bier genossen zu werden. Man braucht keinen Physiologen zu fragen, um<lb/> zu begreifen, daß zu einem bittersüßen, gehaltreichen Getränk, das nicht voll<lb/> ausgegoren ist und nach altem Brauch mit 7 bis 8 Grad Wärme getrunken<lb/> wird, keine feinen Speisen passen. Was die bairische Küche an Feinheit und<lb/> oft auch an Schmackhaftigkeit zu wenig hat, ersetzt ihr das Bier; ein fetter<lb/> Kalbsnierenbraten mit „Grösten" (gerösteten Kartoffeln) braucht Bier, um ganz<lb/> genossen zu werden. Für manchen Geschmack ist überhaupt das Biertrinken<lb/> die Hauptsache beim Essen, und so versteht man auch die keineswegs dem<lb/> Mythus angehörigen Münchner Hofgeschichten, die von Prinzen erzählen, die<lb/> auf die Dienste ihres Hvfkochs abends verzichten, um sich eine Portion Kalbs¬<lb/> braten mit einer Maß frischen Bieres im „Bauerngirgl" oder im „Landenden"<lb/> holen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Hier wäre ja nun der Ort, um von der oft gerühmten und verspotteten<lb/> Viergleichheit der bairischen Gesellschaft zu reden. Ich ziehe es aber vor, oft<lb/> gesagtes nicht zu wiederholen, denn diese Gleichheit liegt nicht darin, daß Fürst<lb/> und Bettler ihre Maß für 24 Pfennige trinken; dem bairischen Vier sind andre<lb/> Seiten abzugewinnen. Ist es nicht eine große Sache, daß es gelungen ist,<lb/> ein der Verfälschung und Verteuerung ungewöhnlich ausgesetztes Volksgcnuß-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0193]
24 Pfennige stillt der Niederbaier seinen ersten Durst mit einem Liter frischen
Bieres. Um diesen Preis giebt es auch in den weinreichsten Gegenden Öster¬
reichs keinen trinkbaren Wein. Schon das ist ein Grund, warum der Öster¬
reicher noch weniger spart als der Baier. Dann kommt aber die Sorge für
das Essen; die wird ernst genommen, oft leider ernster als jede andre. Frau
Sorge steht am Herd der deutsch-österreichischen Familie, nicht als Armut,
nein als Verschwenderin von Fleisch, Mehl und Schmalz, sie sorgt, daß die
Schnitzel, die Bauschet, das Gebackne und am Spieß Gebratne, das Luft-
gselchte und das Rauchgselchte, das Saure und das Eingmachte, die Knötel,
die Rocken, die Nudeln, die Strudel, die Schnarren, die Stranden, und wie
alle die künstlichen Erzeugnisse heißen, in tadelloser Güte auf den Tisch kommen.
Die Gastfreundschaft, auch in einfachen Familien, leidet unter dem Bestreben
der Hausfrauen, ihren Tisch nur mit dem Besten zu besetzen. Es ist mir vor¬
gekommen, daß ich mit dem Hausherrn allein zu Tische saß, weil die Hausfrau
über dem ganzen Essen nicht in der Küche abkommen konnte. So mag die im
niedern Bürgerstand Baierns und Österreichs einst weitverbreitete Sitte ent¬
standen sein, daß der Mann überhaupt allein zu Tische saß. Dennoch ist in
den bessern Kreisen in Österreich die Geselligkeit noch nicht so in Schlemmerei
und Protzerei ausgeartet wie in Deutschland. In Baiern ißt man auch viel,
aber nicht so gut wie in Österreich. Zum Biere würden auch manche Fein¬
heiten der österreichischen Küche gar nicht Passen; dagegen sind die eigentüm¬
lichsten Erzeugnisse der bairischen Küche, die Mannichfaltigkeit der Würste, der
Sauersleische und Tellerfleische, der Knötel, des „Abgebrannten" bestimmt,
zum Bier genossen zu werden. Man braucht keinen Physiologen zu fragen, um
zu begreifen, daß zu einem bittersüßen, gehaltreichen Getränk, das nicht voll
ausgegoren ist und nach altem Brauch mit 7 bis 8 Grad Wärme getrunken
wird, keine feinen Speisen passen. Was die bairische Küche an Feinheit und
oft auch an Schmackhaftigkeit zu wenig hat, ersetzt ihr das Bier; ein fetter
Kalbsnierenbraten mit „Grösten" (gerösteten Kartoffeln) braucht Bier, um ganz
genossen zu werden. Für manchen Geschmack ist überhaupt das Biertrinken
die Hauptsache beim Essen, und so versteht man auch die keineswegs dem
Mythus angehörigen Münchner Hofgeschichten, die von Prinzen erzählen, die
auf die Dienste ihres Hvfkochs abends verzichten, um sich eine Portion Kalbs¬
braten mit einer Maß frischen Bieres im „Bauerngirgl" oder im „Landenden"
holen zu lassen.
Hier wäre ja nun der Ort, um von der oft gerühmten und verspotteten
Viergleichheit der bairischen Gesellschaft zu reden. Ich ziehe es aber vor, oft
gesagtes nicht zu wiederholen, denn diese Gleichheit liegt nicht darin, daß Fürst
und Bettler ihre Maß für 24 Pfennige trinken; dem bairischen Vier sind andre
Seiten abzugewinnen. Ist es nicht eine große Sache, daß es gelungen ist,
ein der Verfälschung und Verteuerung ungewöhnlich ausgesetztes Volksgcnuß-
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